Hausmitteilung Jewtuschenko
Datum: 2. Februar 1987
Zunächst bestellte sich der Dichter ein kräftiges britisches Frühstück und eine Flasche Whisky. Dann beantwortete er die Fragen der Interviewer. Hinterher schrieb er ihnen, mit Grünstift, zwei seiner Gedichte auf, stellte Übersetzung und Abdruck anheim, Honorar 1000 Mark.
Es war, Mai 1962 in einem Londoner Hotel, Jewgenij Jewtuschenkos erste Kooperation mit dem SPIEGEL. Das SPIEGEL-Gespräch, das einen SPIEGEL-Titel über den sowjetrussischen Lyriker ergänzte, war dessen erstes großes Interview im Westen, die Veröffentlichung seines »Liebesgedichts« im SPIEGEL ein Erstdruck. Damals galt »Schenja« als »zorniger junger Mann«, durchaus wohlgelitten im Reich des Entstalinisierers Chruschtschow. Dem SPIEGEL sagte er: »Wir haben Stalin aus dem Mausoleum entfernt. Aber aus unserem Fühlen und Denken ihn zu entfernen, das ist noch nicht so schnell gelungen.«
25 Jahre danach, in der Zwischenzeit oft mehr der »Kompromiß Kompromissowitsch«, wie er in einem seiner Gedichte steht, kommt Jewtuschenko wieder im SPIEGEL zu Wort und kann Fortschritte melden - ganz im Geiste Gorbatschows, was zu erwarten war. In einem größeren Artikel vertritt der Dichter die neue »Transparenz«-Politik: »Das russische Volk möchte nicht nach Anweisungen von oben leben ... es will das Recht, jeden, ungeachtet seiner Position, zu kritisieren« (Seite 118).
Jewtuschenko kritisiert »Männer von gestern«, die sich solchen Reformen widersetzen, und baut auf die junge, vom Stalinismus »unbefleckte Generation«, die »bei uns jetzt in viele führende Positionen aufsteigt«. Ausführlich beschreibt er das neue kulturpolitische Tauwetter in der Sowjet-Union, dabei auch den Film »Die Beichte«, dessen öffentliche Aufführung »noch vor zwei Jahren unvorstellbar gewesen wäre«. SPIEGEL-Redakteur Andreas Lorenz sah den Film letzte Woche in Moskau und berichtet über den Erfolg des diktaturkritischen Werkes (Seite 122).