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»Joschi, alles klar ...«

Auch möchte ich nicht vergessen, Herrn Rechtsanwalt Geis für meine Verteidigung zu danken. Yossef Levy im Schlußwort vor dem Urteil
Von Gerhard Mauz
aus DER SPIEGEL 51/1973

Wem der große Wurf gelungen, eines Starverteidigers Mandant zu sein -- nun, der ziehe sich warm an. Denn, so das »Duden-Lexikon«, der »in Europa heimische Star (Sturnus vulgaris) ist bei uns Zug- u. Strichvogel": Es ist also dort, wo ein Star sich strafverteidigend betätigt, immer ziemlich viel ziehende und streichende Bewegung in der Luft. Und dabei kann man sich als angeklagter Mandant erkälten.

Am Montag beispielsweise streicht so ein Starverteidiger im Tiefflug über die Köpfe der Berufs- und Laienrichter hinweg und lehnt für seinen angeklagten Mandanten nicht nur einen der Richter, sondern, schließlich ist hier ein Starverteidiger am Werk, gleich das gesamte Gericht wegen Besorgnis der Refangenheit ab. Leuchtenden Auges erlebt es der Mandant und fühlt sich auf dem Holz der Angeklagtenbank wie auf einem französischen Bett.

Am Dienstag allerdings verwirft ein anderes Gericht die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, und das Gericht, das der Starverteidiger abzulehnen versuchte, setzt die Verhandlung fort. Nunmehr spürt der angeklagte Mandant des Strafverteidigers das Holz der Angeklagtenbank doch sehr: Denn noch am Montag hat sein Starverteidiger die Stadt verlassen, um am Dienstag in einer anderen Stadt in anderer Sache zu plädieren.

Wenn man sich einen Starverteidiger leisten kann, kann man ihn »sich meistens nicht leisten. Am Dienstag letzter Woche tritt vor einem der -- gegenwärtig neun -- Schwurgerichte des Landgerichts Frankfurt der Rechtsanwalt Egon Geis, Frankfurt, zum Plädoyer für seinen Mandanten Yossef Ezra Levy, 36, an. Mit Levy, der »Joschi« genannt wird, ist ulke Mira Bärbel Petersen, 31, angeklagt, die für ihre Freunde »Jasmin« heißt. Ilke Petersen wird vom Rechtsanwalt Rolf Bossi, München, verteidigt.

Rolf Bossi hat bereits am Donnerstag vorletzter Woche für Ilke Petersen plädiert. So ist es verständlich, daß er sich am Schlußtag von jemand vertreten läßt. Rolf Bossi muß am Dienstag irgendwo im Süden der Bundesrepublik tätig sein. Tags zuvor war er in Mönchengladbach am Werk.

Dort vertreten seit Montag letzter Woche Rolf Bossi und Egon Geis die »Geiselgangster« Günther Huboi und Gerhard Kukuk. Man hat Rolf Bossi und Egon Geis auf der Walstatt von Mönchengladbach am Montag letzter Woche abends auf dem Bildschirm sehen können. Sie haben in Mönchengladbach gleich am ersten Sitzungstag ein Feuerwerk am Tage, ein Bündel von Anträgen abgefeuert -- und zuletzt das gesamte Gericht wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Auf das Ergebnis ihrer Ablehnung konnten sie natürlich nicht warten.

Es macht nichts, daß die beiden Herren am Dienstag letzter Woche in Mönchengladbach fehlen, denn selbstverständlich sind sie dort vertreten. Die Leistung Rolf Bossis, an einem Tag an einem Ort tätig und an zwei anderen Orten vertreten zu sein, erreicht Egon Geis insofern, als er am Dienstag letzter Woche nicht nur in Frankfurt für Yossef Levy plädiert, sondern zwischen seinem Plädoyer und dem Urteil in der Strafsache Levy/Petersen auch noch in einer anderen Sache, in Offenbach, auftritt.

Egon Geis plädiert knapp 30 Minuten. Die Kürze des Plädoyers von Egon Geis ist darauf zurückzuführen, daß er überraschend und bestürzend auf Gegenkurs zu seinem bisherigen Kurs in dieser Strafsache geht.

Yossef Levy hat in den frühen Morgenstunden des 7. Februar 1970 in seiner Frankfurter Wohnung die Bardame Berthilia ("Betty") Gruber getötet. Levy war damals ein großer Mann im Frankfurter Bahnhofsmilieu. 1967 war er aus seiner Heimat Israel als Tourist eingereist, hatte ein Verhältnis mit »Betty« Gruber begonnen und war bei seinem Aufstieg von ihr mittels -- einschlägiger -- Beziehungen und auch mit Geld unterstützt worden.

Als Yossef Levy sich später für Ilke ("Jasmin") Petersen zu interessieren begann, leistete »Betty« erbittert und ausdauernd Widerstand. Es kam zu verbalen und tätlichen Auseinandersetzungen. Am Nachmittag des 6. Februar 1970 suchte »Betty« die Nebenbuhlerin in deren Wohnung auf, man stritt und prügelte sich. Anschließend begab sich »Jasmin« in die Wohnung Yossef Levys, berichtete über den Vorfall und blieb über Nacht.

»Betty« war indessen mit Monika ("Micki") Turini und Georg Hartig, zwei weiteren Akteuren des Milieus, durch Lokale gezogen, hatte viel getrunken und wilde Reden geführt. Gegen vier Uhr früh am 7. Februar 1970 stand sie mit ihrer Begleitung vor Yossef Levys Wohnungstür und begehrte lärmend Einlaß. Als Yossef Levy endlich öffnete, scheint es zunächst um das Geld gegangen zu sein, das »Betty« zurückverlangte. Als dann aber im Hintergrund »Jasmin«, nur mit Büstenhalter und Slip bekleidet, sichtbar wurde, explodierte »Betty« endgültig.

»Scheißjude« und »Drecksjude« soll »Betty« geschrien haben und »Hitler hat vergessen, dich zu vergasen«. Yossef Levy, auch »Karate-Joschi« genannt, schlug zu. Er schlug auch noch zu, als »Betty«, durch die Wohnung fliehend, flehte, er solle aufhören.

Als »Betty« tot war, wurde ihre Begleitung weggeschickt. Sie gehörte zum Milieu, der Weg zur Polizei war nicht ihre Sache. Yossef Levy brachte die Leiche »Bettys« mit Hilfe von »Jasmin« zum Königstuhl bei Heidelberg, wo er sie im Wald vergrub, nachdem er das Gesicht mit Salzsäure unkenntlich gemacht hatte. Im Mai 1970 entdeckten Spaziergänger die Leiche. Doch erst sechs Monate später erkannte der Österreicher Friedrich Gruber in der Sendung »Aktenzeichen ... ungelöst, seine Tochter, als das hessische Landeskriminalamt den Kopf der Leiche vom Königstuhl rekonstruiert hatte.

Am 30. November 1970 wurde Yossef Levy, der zunächst jeden Zusammenhang mit »Bettys« Tod erfolgreich bestritten hatte, wegen Mordverdachts festgenommen. Er sprach von einer Erinnerungslücke, schwieg und blieb bis heute in U-Haft. »Jasmin«, inzwischen samt neunjährigem Sohn in die Vereinigten Staaten abgereist, kehrte freiwillig zurück und kam gleichfalls in U-Haft, doch schon Ende Februar 1971 wieder auf freien Fuß. Im Mai 1973 begann eine erste Hauptverhandlung gegen Yossef Levy und Ilke Petersen. Sie endete nach zwei Sitzungstagen.

Der Vorsitzende Richter Volker Schneider hatte gemeint, eine psychiatrisch-neurologische Untersuchung Yossef Levys könne innerhalb der Hauptverhandlung, allenfalls neben dieser her erfolgen. Strafverteidiger Egon Geis zertrümmerte diese Meinung: Yossef Levy sei 1956 als israelischer Soldat während des Sinai-Feldzuges schwer verwundet worden und habe eine Kopfverletzung erlitten, auf deren mögliche Folgen hin er gründlichst zu untersuchen sei. Es kann als ein Erfolg von Egon Geis gelten, daß die erste, unzureichend vorbereitete Hauptverhandlung im Mai dieses Jahres platzte. Am 25. Oktober startete ein anderes Frankfurter Schwurgericht unter Vorsitz des Richters Theodor Haller zum zweiten Anlauf. Doch es hat den Anschein, daß diesmal Egon Geis zu wenig Mühe auf die Vorbereitung gewandt hatte.

Yossef Levy schweigt auch vor dem neuen, zweiten Schwurgericht. Egon Geis spricht bewegend von »erheblich geschwächter Verteidigungsfähigkeit« seines Mandanten nach fast dreijähriger U-Haft. Yossef Levy habe zwar 1956 am Sinai-Feldzug teilgenommen, sei aber nicht verwundet worden laut Interpol, teilt die Staatsanwältin Adelheid Saal mit. Egon Geis beanstandet. daß man sich nicht direkt an die israelischen Militärbehörden gewendet hat: »Was ist für uns Interpol? Gar nichts ...«

Im Mai hatte Egon Geis den Professor Derwort, Gießen, als präsentes Beweismittel aufgeboten. Professor Derwort war damals eine große Hilfe: Er erklärte sich außerstande, Yossef Levy innerhalb der Hauptverhandlung oder neben ihr her zu begutachten.

Doch das neue, zweite Schwurgericht bat Yossef Levy nicht durch Professor Derwort, Gießen, sondern durch Dr. Schneller, Eickelborn, psychiatrischneurologisch begutachten lassen. Hätte Egon Geis dessen vorläufiges, schriftliches Gutachten sorgfältig studiert: er hätte sich noch vor der neuen, zweiten Hauptverhandlung um einen zusätzlichen Gutachter, um einen Psychologen bemüht.

Das Gutachten von Dr. Schneller stützt nicht die These von Egon Geis, Yossef Levy habe, in ungewöhnlicher Situation auf unerträgliche Weise beschimpft, in der Frühe des 7. Februar 1970 einen »black out« erlitten und nicht gewußt, was er tat. Dr. Schneller wird vom Schwurgericht gehört. Ob Yossef Levy einen »black out« erlitt, ob er sich tatsächlich nicht erinnert, was an jenem Morgen geschah: Der Gutachter kann es nicht mit. Bestimmtheit sagen.

Für die Staatsanwaltschaft beantragt Adelheid Saal zwei Jahre Freiheitsstrafe gegen Ilke Petersen und 5000 Mark Geldstrafe. Gegen Yossef Levy läßt sie zwar von der Mordanklage ab, doch beantragt sie wegen Totschlags in einem besonders schweren Fall die lebenslange Freiheitsstrafe. Rolf Bossi plädiert anderthalb Stunden lang für Ilke Petersen. Mehr als Begünstigung lastet nicht mehr auf seiner Mandantin: Rolf Bossi kann brillieren -- er plädiert genaugenommen für Yossef Levy.

Alles, was Yossef Levy »Betty« zufügte, habe nicht auf Tötung gezielt. Yossef Levys Schläge hätten den Blutdruck »Beuys« in für den Angeklagten unvorhersehbarer Weise absinken lassen, so daß schon das kurze, für sich allein gleichfalls nicht tödliche Würgen in unvorhersehbarer Weise zum Tode führte. Zwar sei Yossef Levy schon früher beschimpft worden, auch von »Bettty«, doch in dieser Situation am frühen Morgen hätten die Schimpfworte eine andere, eine katastrophale Wirkung gehabt.

Egon Geis plädiert danach noch nicht. Nun lehnt er erst einmal Dr. Schneller wegen Besorgnis der Befangenheit ab und beantragt die Hinzuziehung eines Psychologen. Beide Anträge werden abgelehnt.

Am Dienstag letzter Woche plädiert Egon Geis. Dem Yossef Levy soll er vor dem Strafantrag der Anklage einmal gesagt haben: »Weihnachten bist du draußen.« Jetzt plädiert auch er auf Totschlag, auf eine Freiheitsstrafe, die er in das Ermessen des Gerichts stellt. Egon Geis plädiert sogar plötzlich gegen seinen Mandanten, gebraucht einen Kunstgriff, stellt sich sozusagen auf die Seite des Gerichts. Doch zu diesem Kunstgriff kann man sich nicht erst im Plädoyer entschließen.

Egon Geis spricht von der »undurchsichtigen Rolle« Levys im Bahnhofsmilieu. Er beklagt das Schweigen Yossef Levys: »Der Versuch, ihn in den Griff zu bekommen, schlägt fehl.« Yossef Levy sei nicht berechtigt, sich als Held des Sinai-Feldzuges »hochzuspielen.« Was Egon Geis vorbringt -- es wird erschlagen von der Tatsache, daß Egon Geis total und überraschend auf Gegenkurs geht.

Es gibt Verteidiger, die man Starverteidiger nennt. So sie vorbereitet sind und aus ihrem Repertoire eine bedachte Auswahl treffen: in Ordnung, bravo, bravissimo, mögen sie auch »Zug- u. Strichvögel« sein. Acht Monate für Ilke Petersen wegen Begünstigung. 5000 Mark Geldstrafe. Doch für Yossef Levy 15 Jahre Freiheitsstrafe. Vorsitzender Richter Haller: »Es ging hart am lebenslang vorbei ...« Ilke Petersen, genannt »Jasmin«, weint ein wenig. Yossef Levy zeigt keine Regung! »Joschi, alles klar«, ruft ihm Egon Geis zu: »Wir machen es wie besprochen.«

Was kann da noch »wie besprochen« geschehen? Nun soll es wohl die Revision bringen. Doch die Versäumnisse und Fehler eines Strafverteidigers lassen sich in der Revision kaum reparieren. Weihnachten wird Yossef Levy erst in vielen Jahren wieder in Freiheit sein.

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