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RUDOLF AUGSTEIN Journalisten beim Bund

Von Rudolf Augstein
aus DER SPIEGEL 6/1981

Zweimal hat der SPIEGEL einen wichtigen Mann in die Politik gehen lassen müssen, beide Male mit Bedauern, beide mit Hoffnung. Beide haben in der Politik mehr geleistet, als von ihnen aufgrund ihrer Stellung hätte erwartet werden können: die Staatssekretäre Conrad Ahlers und Günter Gaus.

Über die liebenswürdigen Eigenschaften des »guten Kumpels« Conrad Ahlers ist genug gesprochen und geschrieben worden. Nicht aber genug über seine gar nicht zu unterschätzende Wirksamkeit im Bonner Geflecht der Großen und anschließend der sozialliberalen Koalition. In den beiden so gegensätzlichen Koalitionen hielt er Fäden zusammen und spannte Drähte, die sonst abgerissen wären. Man geht nicht zu weit, wenn man sich fragt, ob die Koalition Brandt/Scheel ohne ihn die triumphalen Wahlen von 1972 noch erreicht hätte. Als er am 18. Dezember des vergangenen Jahres mit 58 Jahren starb, hatte er die Arbeit eines 70jährigen hinter sich.

Auch Günter Gaus, der zweite Staatssekretär aus SPIEGEL-Reihen, hat sich nicht wie ein pflichtgetreuer Beamter verhalten, sondern wie ein Politiker, mit dem man zu rechnen hat, bis zum Ende seiner Amtszeit in Bundesdiensten. Was er in Ost-Berlin und namentlich gegen Schluß seiner Amtszeit getan und gesagt hat, war mehr, als er seitens der offiziellen Politik Spielraum hatte, und dennoch weniger, als die Tatsachen uns allen gebieten (Regierungssprecher Lothar Ruehl, ehedem Kollege von Ahlers und Gaus im SPIEGEL: »Seine private Meinung").

Natürlich muß es eines Tages zu einer völkerrechtlichen Anerkennung der DDR seitens der Bundesrepublik kommen, und die DDR kann sich dann bei der EG als Mitgliedsland bewerben. Das realitätsferne Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird dem nicht auf ewig im Wege stehen können.

Natürlich gibt es jetzt schon eine Staatsbürgerschaft der DDR, und natürlich werden wir uns irgendwann dazu verstehen, daß zwar jeder DDR-Deutsche zu uns kommen und bei uns Asyl suchen kann, wenn er kann, daß aber die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik ihm hier eigens verliehen werden muß. Die jetzige Konstruktion hat emotional etwas für sich, wird sich aber auf Dauer wie ein Blinddarm ausnehmen, der, weil unnütz und schädlich, operiert werden kann.

Man muß Schlimmes fürchten, wenn dem Nachfolger von Günter Gaus, wenn Staatssekretär Klaus Bölling die folgenden Einstandsworte über die Lippen kommen: »Kein Deutscher kann sich aus der Pflicht entlassen fühlen, darüber nachzudenken, wie diese Nation irgendwann unter politischen Bedingungen, die wir uns heute noch nicht vorstellen können, wieder zusammenfindet.« Kein Deutscher hat nämlich diese unsinnige Pflicht, über politische Bedingungen nachzudenken, die er sich gar nicht vorstellen kann.

Dies ist schädliches Gerede, hinter dem noch nicht einmal eine Absicht steckt, es sei denn, was wohl ausgeschlossen werden kann, unser Ständiger Vertreter in Ost-Berlin wollte sich einer CDU/FDP/CSU-Regierung empfehlen.

Gott Dank denkt kein vernünftiger Deutscher über solch nicht vorstellbare Dinge nach. Es verhält sich nämlich so, daß dieses nicht Vorstellbare auf eine einzige Weise doch sehr vorstellbar ist, nämlich in Gestalt eines kernigen Krieges, der all solche Überlegungen hinfällig machen dürfte.

Gewiß geht Gaus zu weit, wenn er neuerdings vorschlägt, man solle den Begriff der Nation gegenüber der DDR ruhen lassen. Man soll ihn nicht aggressiv gegen die DDR kehren, aber sich doch darüber im klaren sein, daß die Nation ein Gebilde eigener Wirksamkeit ist, kaum auf einen Begriff zu bringen, nicht anzufeuern, mit Hintergedanken, und auch nicht zur Ruhe zu bringen.

Die beiden ehemaligen Staatssekretäre, die der SPIEGEL für den Bund freigeben mußte, hatten Mut. Günter Gaus bewies ihn zuletzt, als er die Einberufung nach West-Berlin in ein ihm neues Minister-Ressort klaglos annahm.

Good-bye, Conny! Good luck, Günter!

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