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»JUGOSLAWIEN - KEIN MODELL FUR UNS«

aus DER SPIEGEL 22/1970

SPIEGEL: Herr Dr. Schleyer, teilen Sie die Meinung, daß die westdeutsche Wirtschaft unter der sozialliberalen Regierung einen gefährlichen Kurs steuert? In einem Mitteilungsblatt des Arbeitgeberverbandes in Braunschweig beispielsweise heißt es, die SPD wolle in der Bundesrepublik eine Art jugoslawischen Sozialismus einführen.

SCHLEYER: Ich kenne diese Äußerung des Arbeitgeberverbandes Braunschweig nicht und müßte zunächst wissen, womit die Vermutung begründet wird.

SPIEGEL: Die Arbeitgeber führen dafür Herbert Wehner als Kronzeugen an, von dem es heißt, daß er mehr zum jugoslawischen Modell des Sozialismus neige als zum schwedischen, weil dieser jugoslawische Sozialismus -- wie es im Text heißt -- eine tragbare Brücke zu Osteuropa bilden könnte.

SCHLEYER: Da muß man sich zunächst einmal klar werden, wie die jugoslawische Wirtschaft überhaupt geordnet ist. Sie unterscheidet sich sicher wesentlich von der Ordnung der übrigen östlichen sozialistischen Staaten, denn das Eigentum an den Produktionsmitteln gehört in Jugoslawien bekanntlich dem Kollektiv der Arbeiter.

SPIEGEL: Die Produktionsmittel gehören der Gesellschaft, so ist der offizielle Terminus.

SCHLEYER: Ja, praktisch gehört das Einzelunternehmen dem Kollektiv der dort Tätigen. Man muß Kollektiv sagen, weil es auch in Jugoslawien kein Individualeigentum gibt. Das heißt, der Arbeitnehmer, der aus einem Unternehmen ausscheidet, nimmt nicht etwa ein Teileigentum mit oder kann es veräußern, sondern er

* Mit Werner Funk und Leo Brawand. scheidet aus dem Kollektiv aus und damit auch aus dem Eigentum des Kollektivs am Unternehmen. Das ist, glaube ich, der wesentliche Unterschied zwischen der staatskapitalistischen Wirtschaftsordnung der übrigen Oststaaten und dem jugoslawischen Modell. Dieses Modell würde mit Sicherheit nicht in unsere Gesellschaftsordnung passen, ich sehe aber auch keine Anzeichen zu einer Veränderung in irgendwelchen Maßnahmen, Äußerungen oder Plänen offizieller Stellen.

SPIEGEL: Aber in Ihrem Jahresbericht der Arbeitgeberverbände warnen Sie die neue Regierung vor einem angeblichen Trend zum Kollektivismus, der doch bedeuten würde, daß man das uneingeschränkte Privateigentum in irgendeiner Weise mit Auflagen versieht, Sehen Sie einen Trend dieser Regierung in Richtung auf ein solches System?

SCHLEYER: Die Warnung, die die Bundesvereinigung in ihrem Jahresbericht ausgesprochen hat, ist eine ganz allgemeine. Sie bezieht sich auf gewisse Tendenzen, die nicht mit der derzeitigen Regierung unmittelbar in Verbindung gebracht werden können, zum Beispiel sicher nicht mit dem zweiten Koalitionspartner, der FDP. Ein gewisser stärkerer Einfluß kollektiver Gruppen auf die Wirtschaft ist etwas völlig anderes als das jugoslawische Modell.

SPIEGEL: Das ist auch nur als Stichwort gebraucht ...

SCHLEYER: ... gemeint ist beispielsweise ein stärkerer Einfluß der Gewerkschaften über eine paritätische Mitbestimmung auf die Unternehmen.

SPIEGEL: Der Vorsitzende des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft, Ernst Meyer, stimmt in den Chor der Pessimisten ein, indem er sagt: »Alles marschiert in der Richtung, die Unternehmer-Initiative einzuschränken und den Einfluß des Staates zu vergrößern.« Er zählt auf: die Mitbestimmung, die Sie eben nennen, die Fusionskontrolle und die Kartellgesetznovelle. Meyer warnt, die Quittung dafür werde der deutschen Volkswirtschaft eines Tages noch präsentiert werden.

SCHLEYER: Diese Gefahren würde ich bei einer Realisierung der Pläne, die Herr Meyer hier anschneidet, auch sehen. Aber ich würde diese Überlegungen und Sorgen nicht auf den Nenner bringen: Vormarsch in Richtung jugoslawische Wirtschaftsordnung.

SPIEGEL: Franz Josef Strauß beispielsweise hat es dagegen auf dem CSU-Treffen in Vilshofen ganz deutlich gesagt, er sehe den Zug zur Jugoslawisierung nun deutlicher als alles andere.

SCHLEYER: Ich kann nur eine eigene Aussage machen, und ich sehe einen ganz fundamentalen Unterschied zwischen den Grundprinzipien der jugoslawischen Gesellschaftsordnung und unserer, die sicher durch Mitbestimmung, durch Fusionskontrolle, vielleicht auch durch andere Maßnahmen unter eine sehr viel stärkere Kontrolle anderer Gruppen -- sei es Staat, sei es Gewerkschaften -- kommen könnte, die aber bis jetzt noch immer das Privateigentum anerkennt.

SPIEGEL: Das Modell Jugoslawien hat bei Strauß natürlich auch einen Buhmann-Effekt. Damit soll der Mittelstand oder die Industrie aufgeschreckt werden. Das ist wohl der Sinn der Übung.

SCHLEYER: Dafür war es auch die politische Rede eines Politikers.

SPIEGEL: Nehmen Sie einen Wirtschaftsdienst wie den von Platow; auch dort heißt es, aus allen Richtungen sei ein konzentrischer Angriff auf unsere Wirtschaftsordnung im Gange.

SCHLEYER: Daß mit dem Übergang von Entscheidungen, die bisher in der Wirtschaft beim Unternehmer lagen, und zwar bei den von den Eigentümern eingesetzten Unternehmern, auf andere Gruppen eine Aushöhlung des Eigentums verbunden sein könnte, diese Gefahr sehe ich durchaus. Das ist auch von mir wiederholt zum Ausdruck gebracht worden, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Thema Mitbestimmung.

SPIEGEL: In puncto Unternehmer-Status sind Sie offenbar sensibel. Wenn Sie schon die Mitbestimmung und die Fusionskontrolle als gravierende Eingriffe in die Verfügungsgewalt über Eigentum ansehen ...

SCHLEYER: Ich glaube, das sind ganz entscheidende Ansatzpunkte, und ich empfehle in diesem Zusammenhang, das Biedenkopf-Gutachten zu lesen, das ja Immerhin als ein einstimmiges Gutachten von in ihrer politischen Grundeinstellung unterschiedlichen Professoren zustande kam. Es kommt einstimmig zur Ablehnung der paritätischen Mitbestimmung. Hauptsächliche Begründung ist, daß die Entscheidungsfreiheit sichergestellt sein müßte und nicht im Wege des Kompromisses gefunden werden kann und daß die Entscheidung bei Abwägung der Interessenlage dann bei der Eigentümerseite liegen muß. Ich glaube also, das ist keine Frage der Sensibilität, sondern eine sehr nüchterne und harte Feststellung, weil anders die

Unternehmensführung nicht mehr funktioniert.

SPIEGEL: Wie finden Sie denn den Teil des Biedenkopf-Gutachtens, in dem über die grundsätzliche Nützlichkeit und das Funktionieren der paritätischen Mitbestimmung in der westdeutschen Montan-Industrie ein positives Urteil gefällt wird?

SCHLEYER: Das ist der Teil drei des Gutachtens, der sich mit dem Ergebnis der Anhörung befaßt und der sicher zu positiven Ergebnissen über das Funktionieren der Mitbestimmung im allgemeinen kommt; denn es werden auch die nach dem Betriebsverfassungsgesetz geführten Betriebe miterfaßt. Er kommt auch zu einigen bemerkenswerten Feststellungen, etwa daß er die Fremdsteuerung als nicht gegeben ansieht ...

SPIEGEL: ... die Steuerung durch die Gewerkschaften, was Sie selbst immer besonders herausgestellt haben.

SCHLEYER: Aber eines wird meistens übersehen: Im gleichen Absatz des Gutachtens steht, daß Versuche zur Fremdsteuerung durchaus feststellbar waren, nur blieben sie ohne Ergebnis.

SPIEGEL: Dann kann man sie doch auch nicht so ernst nehmen.

SCHLEYER: Was in einem kleinen Bereich vergeblich blieb und abgewehrt werden konnte, ist natürlich in einem System, das die gesamte Wirtschaft überzieht, wesentlich schwieriger zu verhindern.

SPIEGEL: Sie haben sich einen für Sie günstigen Teil des Gutachtens herausgenommen

SCHLEYER: ... der entscheidend ist, nämlich der ordnungspolitische Teil, weil er ordnungspolitische Argumentation bringt.

SPIEGEL: Die Grundidee auch des Biedenkopf-Gutachtens ist aber doch die: Die bisherige Mitbestimmung reicht nicht aus, sie muß erweitert werden. Sie dagegen haben nach Veröffentlichung des Gutachtens in einer Rede erklärt, nunmehr sei die Forderung nach Parität antiquiert.

SCHLEYER: Ansatzpunkt ist für mich die Situation des einzelnen im Betrieb, die ist zweifellos ausbaufähig, verbesserungsfähig. Und im übrigen gibt es eine natürliche Entwicklung, die dazu führt, daß der Sachverstand, der durch alle Schichten der Hierarchie im Betrieb geht, einen immer stärkeren Einfluß auf die Entscheidungsbildung bekommen wird und daß die wahre Mitbestimmung der Mitarbeiter in der Hierarchie des Unternehmens selbst liegen wird und nicht in den Aufsichtsorganen.

SPIEGEL: Sie haben scheinbar immer noch Angst davor, daß der DGB nicht die Arbeitnehmerrechte des einzelnen verbessern, sondern eine kleine Gruppe von Funktionären in wirtschaftliche Machtpositionen bringen will.

SCHLEYER: Diese Angst wäre nicht mehr begründet, wenn es unter der Parität bleibt. Sie wäre mindestens sehr stark eingeschränkt. Aber ich glaube, der DGB geht mit dieser Forderung an den echten Anliegen der Arbeitnehmer vorbei. Wir haben ja Vorschläge gemacht, die mehr der Stärkung der Rechte des einzelnen Arbeitnehmers, seiner Position im Betrieb dienen sollen. Vorschläge übrigens, die in der betrieblichen Praxis sehr weit gehen und sehr harte Anforderungen auch an die Unternehmensleitung stellen.

SPIEGEL: Ist nicht der Soupcon der Gewerkschaften berechtigt, daß Sie auf diesem Wege die Gewerkschaftsmitglieder ihrer Führung entfremden wollen? Nach den Septemberstreiks im letzten Herbst sind die Gewerkschaftsführungen ziemlich verunsichert, so daß Sie mit allen Vorschlägen, die die Stellung der Gewerkschaften als Organisation schwächen könnten, auf erbitterten politischen Widerstand gerade dieser Regierung stoßen werden.

SCHLEYER: Das sind zwei Dinge, die sehr ernst zu nehmen sind. Es sind an sich zwei unterschiedliche Gesichtspunkte. Einmal wollen wir auf keinen Fall den Einfluß der Vertreter der Arbeitnehmer im Betrieb mit unseren Vorschlägen schwächen. Die andere Frage ist, ob die Gewerkschaften als Erfahrung aus den wilden Streiks des letzten Jahres, der sie sicher allergisch gemacht hat, um ihre Position fürchten. Das ist sicher der Fall.

SPIEGEL: Auch deshalb werden sie auf die paritätische Mitbestimmung nicht verzichten.

SCHLEYER: Die ordnungspolitische Funktion der Gewerkschaften wurde zu keinem Zeitpunkt von uns bestritten. Es fragt sich nur: Zwingt nicht gerade die Mitbestimmung mit der Übernahme von Mitverantwortung im Unternehmen diejenigen Arbeitnehmer, die nicht zufrieden sind, dazu, sich eine außergewerkschaftliche Organisation aufzubauen? Diese Fälle wurden bei wilden Streiks beobachtet.

SPIEGEL: Offenbar kommen Ihnen diese Aufsplitterungstendenzen taktisch sehr zupaß.

SCHLEYER: Nein. Wir können überhaupt kein Interesse daran haben, eine außergewerkschaftliche Opposition, die Sprecher von Teilen der Belegschaft ist, zu fördern.

SPIEGEL: Aber es gefällt Ihnen zumindest, diese gewerkschaftliche Macht geschwächt zu sehen. Beispielsweise hofiert die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände auffällig die leitenden Angestellten und versucht, sie aus dem bisher relativ geschlossenen Bereich der Arbeitnehmerseite herauszulösen.

SCHLEYER: Die Frage der leitenden Angestellten liegt wieder auf einem anderen Gebiet. Sie verstehen sich heute als eine Gruppe, die eigene Interessen wahrnehmen will. Sie wollen diese Interessen nach ihren eigenen Aussagen -- es gibt ja Organisationen der leitenden Angestellten

durch eine eigene Repräsentation in den Unternehmungen wahrnehmen lassen, sich also nicht der Jurisdiktion des Betriebsrates unterstellen.

SPIEGEL: Und die Arbeitgeber fördern diese Gruppenbildung.

SCHLEYER: Wir haben in vielen Diskussionen und internen Beratungen die Auffassung gewonnen, daß es notwendig ist, diesen Vorstellungen der leitenden Angestellten entgegenzukommen. Sie sind zwar aus ihrer Funktion im Unternehmen als die in erster Linie Mitwirkenden an den ganzen Vorbereitungen der Entschei-

* Mit einer aufgeknüpften Puppe, die Hoesch-Generaldirektor Dr. Friedrich Herders darstellen soll.

dungen der Geschäftsleitung relativ nahestehend. Aber sie empfinden sich heute auch als eine selbständige Gruppe, die ein eigenes Gruppenbewußtsein entwickelt hat.

SPIEGEL: Herr Schleyer, Sie scheinen aber auf der Vorstellung zu beharren, die uns doch immer noch nach Patriarchat aussieht, nämlich daß der Unternehmer -- wie Sie das einmal gesagt haben -- nicht nur für die Belegschaft verantwortlich ist, sondern in höherem Sinne für das ganze Volk.

SCHLEYER: Die Unternehmensleitung, ja.

SPIEGEL: Ist es nicht recht hochmütig anzunehmen, daß sozusagen die Unternehmensleitung durch Gottes Fügung oder Einsicht weiß, was zum Wohl der Allgemeinheit richtig ist?

SCHLEYER: Wir haben uns niemals angemaßt, unfehlbar zu wissen, was im jeweiligen Zeitpunkt das Interesse der Allgemeinheit und der Öffentlichkeit ist. Wir haben nur die Verpflichtung empfunden -- und ich empfinde sie heute noch -, daß wir uns bemühen müssen, diesen jeweiligen Interessen der Allgemeinheit auch zu dienen, um das Wort zu gebrauchen.

SPIEGEL: Sie dienen der Allgemeinheit am besten, wenn Sie möglichst hohe Profite machen und investieren. Ist das richtig so?

SCHLEYER: Damit dienen wir zunächst einmal dem Unternehmen und der Sicherung der Arbeitsplätze, während die Verpflichtungen der Öffentlichkeit gegenüber ja viel weitgehender sind. Die liegen zum Beispiel in der Preispolitik.

SPIEGEL: Warum sollten die Unternehmer gegenüber der Regierung Brandt besonders preisdiszipliniert sein? Der frühere Konsensus, der bald 20 Jahre lang zwischen der Regierung und der Wirtschaft, insbesondere der Industrie, bestanden hat, den gibt es doch nicht mehr.

SCHLEYER: Ich glaube, der Konsensus zwischen Wirtschaft und früheren Regierungen war nie so groß, wie es allgemein dargestellt wird.

SPIEGEL: Dieser Konsensus darf natürlich auch nie allzu deutlich werden, sonst wird er ja der Öffentlichkeit verdächtig.

SCHLEYER: Er war eben leider auch nicht vorhanden.

SPIEGEL: Na gut, aber zur gegenwärtigen Situation. Welche Steine legt Ihnen die Regierung Brandt noch in den Weg?

SCHLEYER: Wodurch ist die gegenwärtige Situation gekennzeichnet? Wir haben 1969 eine Veränderung des Kostenbildes gehabt durch die Lohnerhöhungen. Die Effektivlohnerhöhungen in 69 waren die höchsten, die wir seit 1960, wahrscheinlich seit Errichtung der Bundesrepublik hatten. Diese außerordentliche Kostenbelastung wird noch verstärkt durch gesetzgeberische Maßnahmen, die ebenfalls das Kostenbild betreffen. Die viel genannte Lohnfortzahlung, die Erhöhung der Versicherungsfreigrenzen, die jetzt kommende Veränderung bei der Krankenversicherung wirken ihrerseits natürlich auch sehr stark kostensteigernd. Dazu kommt die Aufwertung, die den Spielraum im Export wesentlich reduziert hat. Das fiel praktisch zusammen, die Lohnerhöhung fing im September an. All das bewirkt einen so merklichen Rückgang der Rendite in den Unternehmungen, daß meines Erachtens Investitionspläne, die aufgestellt und beschlossen sind, nun in ihrer Finanzierung bedroht sind.

SPIEGEL: Kommen diese Klagen nicht reichlich früh? Das sieht ja so aus, als ob Sie noch während der Hochkonjunktur, während die Auftragsbücher knallvoll sind, schon wieder vom Bund vorbereitend Investitionshaushalte zum Ankurbeln der Konjunktur sehen möchten?

SCHLEYER: Nein, der Bund soll noch gar nichts vorbereiten, sondern die Tatsache ist doch folgende: Was wir im Augenblick an Investitionen beschließen, im Mai 1970, kommt zur Realisierung Ende 1971. Wir haben mit Lieferzeiten zu rechnen, die im Schnitt bei 18 Monaten liegen. Bei Maschinen und Spezialanlagen geht es bis zu 20 und 22 Monaten. Wir müssen also heute disponieren für einen Zeitpunkt, der anderthalb Jahre weiterliegt.

SPIEGEL: Könnte es sein, daß Ihre Investitionssorgen ebenso wie die düsteren Bilder, die wir anfangs zitiert haben, aus taktischen Gründen so frühzeitig herausgestellt werden? Daß die Wirtschaft von der Überlegung ausgeht, die beispielsweise auf dem CSU-Parteitag eine Rolle spielte, nämlich: Wir müssen alles daran setzen, diese Regierung noch in diesem Jahr zu kippen -- Herr Barzel hat gesagt, eine bessere Regierung kriegen -, denn sonst sind die Brüder die nächsten dreieinhalb Jahre an der Regierung und können eben eine ganze Reihe jener Reformen durchsetzen, vor denen wir solche Angst haben.

SCHLEYER: Sie werden, glaube ich, keinen Verantwortlichen in der Wirtschaft finden, der an einer Rezession interessiert ist, sondern Sie werden eher die Auffassung finden, wie auch in den Rezessionszeiten 1966/1967, alle Anstrengungen zu machen, um trotzdem die Beschäftigung und den Umsatz in einem Betrieb aufrechtzuerhalten.

SPIEGEL: Dürfen wir Sie an das Wort von Herrn Schmücker erinnern, der in der Rezession auch erhebliche pädagogische gesamtvolkswirtschaftliche Vorteile gesehen hat, insofern nämlich, als die Arbeiter aus Angst um ihren Arbeitsplatz sich wieder mehr am Riemen reißen würden.

SCHLEYER: Man sollte politische Äußerungen als politische Äußerungen nehmen und nicht die Wirtschaft damit identifizieren, auch wenn es ein Wirtschafts-Ressortminister ist.

SPIEGEL: Herr Dr. Schleyer, in dem Katalog dessen, was die Industrie von dem Kabinett Brandt befürchtet, rangiert die Einengung der Möglichkeit von Firmenzusammenschlüssen ganz oben. Sehen Sie sich ernsthaft von der Novelle zum Kartellgesetz, die Karl Schiller jetzt vorlegt, bedroht?

SCHLEYER: Wenn die Fusionskontrolle in der Form, wie sie im Augenblick diskutiert wird, wie sie aber offensichtlich In der Koalition noch nicht verabschiedet Ist, zustande käme, dann würde sie einen entscheidenden Gesichtspunkt übersehen. Den nämlich, daß wir heute nicht mehr auf unseren Inländischen Marktanteil sehen dürfen, sondern daß wir uns als eine bestimmte Größe in der Weltkonkurrenz sehen müssen. Und wenn wir den Vergleich -- jetzt auf die Automobilindustrie bezogen -- mit der Weltproduktion sehen und mit den wenigen Großen, die diese Weltproduktion darstellen, dann sind wir -- Daimler-Benz -- Im Weltmarkt-Maßstab heute noch sehr, sehr klein, obwohl wir im Inland eine starke Stellung haben.

SPIEGEL: Nun ist die Novelle, die Im Wirtschaftsministerium konzipiert wurde, äußerst vorsichtig in der Formulierung. Fusionen von Firmen sollen nur dann verboten werden, wenn sie gesamtwirtschaftlich schädlich zu sein scheinen. Sehen Sie darin schon eine Bedrohung Ihrer unternehmerischen Freiheit?

SCHLEYER: Es ist immer problematisch, wenn solche gesetzlichen Bestimmungen eine reine Ermessensfrage als Kriterium beinhalten.

SPIEGEL: Mit Prozentzahlen, die den Marktanteil genau umreißen, wird in der Novelle immerhin auch operiert.

SCHLEYER: Aber immer nur bezogen auf den nationalen Markt.

SPIEGEL: Wir verstehen diesen Widerstand von fast allen Großfirmen und Industrieverbänden nicht. In England zum Beispiel besteht seit 1948 eine Monopolkommission, und die Genehmigung von Monopolen und Oligopolen Ist an ähnliche Kriterien gebunden wie in der neuen Novelle.

SCHLEYER: Ich weiß nicht, ob die Praxis einer Behörde in Deutschland die gleichen Maßstäbe anwenden würde wie die in England. In England hat zweifellos das System funktioniert, auch In der Automobilbranche. Dort ist ja ein neuer sehr großer Bereich durch Fusionen entstanden, während wir doch bei unseren sehr bescheidenen Zusammenschlüssen und Kooperationen In der Bundesrepublik immer sehr eingehende Begründungen abgeben mußten und durchaus nicht ohne Anfechtung blieben.

SPIEGEL: Wären Sie nicht mit der jetzt vorliegenden Novelle sogar sehr gut bedient, wenn Sie bedenken, daß In der SPD-Fraktion beispielsweise der Fraktionsspezialist für Kartellfragen, Lenders, die Novelle als viel zu zahm bezeichnet und sagt, die Fusionskontrolle müsse auf jeden Fall präventiv sein und auch in der Frage der Preisbindung müsse schärfer gegen die Industrie vorgegangen werden? Oder bauen Sie so sehr auf die FDP, die das abbremsen würde?

SCHLEYER: Ich baue im Augenblick auf die Einsicht aller Beteiligten, daß man hier ein Instrumentarium findet, das notwendige und wirtschaftlich vernünftige und damit auch niemand benachteiligende, auch keinen Konsumenten benachteiligende, Lösungen ermöglicht.

SPIEGEL: Herr Schleyer, muß nicht ein kritischer Betrachter unserer Gesellschaftsordnung zu folgender These kommen: Man ist angetreten nach dem Zweiten Weltkrieg und wollte in unserem Land soziale Marktwirtschaft praktizieren. Der soziale Teil ist nur mit äußersten Einschränkungen als gelungen zu bezeichnen, wenn man etwa an die skandalöse Vermögenskonzentration denkt. Nun wollen Sie auch noch versuchen, die Marktwirtschaft -- was ja wohl heißt Wettbewerbswirtschaft -- einzuschränken, Wollen Sie im Ernst behaupten, daß die Preiserhöhungen beispielsweise von Volkswagen, Mercedes und Audi zum Jahresende sich ohne jede Absprache als eine ökonomische Zwangsläufigkeit ergeben haben?

SCHLEYER: Zur Vermögenskonzentration wäre viel zu sagen, doch dies würde hier zu weit führen. Die Funktion des Wettbewerbs haben wir nie bestritten, wir sehen In ihm sogar die entscheidende Kontrolle der Unternehmungen durch den Markt. In der gleichen Zeit, in der wir unsere Preise erhöhen mußten, sind in anderen Industriezweigen, zum Beispiel In der Stahlindustrie, auch die Preise erhöht worden. Das Ist einfach eine ökonomische Konsequenz aus der Kostenveränderung.

SPIEGEL: Und die Konsequenzen waren nicht etwa durch die Konzertierte Aktion Karl Schillers zu vermelden gewesen?

SCHLEYER: Wenn manche Kreise davon ausgehen, daß -- was Ich bestreite -- alles Übel mit der Nichtaufwertung der Mark anfing, dann müssen Sie zurückgehen auf das Jahr 1968, auf die Absicherungsgesetze, dann wäre dort der Zeitpunkt zum Handeln gewesen. Tatsache ist, daß wir in der Wirtschaftspolitik zuviel Konjunkturpolitik gemacht und uns darauf verlassen haben, im entscheidenden Moment mit irgendeinem Reglement eingreifen zu können. Tatsache ist weiter, daß die Koordination In der Wirtschaftspolitik, die eine der Aufgaben der Konzertierten Aktion sein sollte und sie auch zu Anfang war, nicht mehr funktioniert hat.

SPIEGEL: Weshalb hat denn die Konzertierte Aktion Ihres Erachtens die ursprüngliche Bedeutung und Einwirkung verloren?

SCHLEYER: Meines Erachtens, als sie zu stark unter politischem Einfluß stand.

SPIEGEL: Ist die Konzertierte Aktion überhaupt in schwierigen Situationen ein Mittel der Konjunkturpolitik und der Wirtschaftspolitik?

SCHLEYER: Sie könnte es sicher sein.

SPIEGEL: Wenn was wäre? Alle Menschen Engel?

SCHLEYER: Nein, aber wenn eine stärkere Abstimmung zwischen den einzelnen Teilnehmern der Konzertierten Aktion stattfinden würde, mit einer festen Inneren Einstellung zur Stabilität.

SPIEGEL: Würden Sie die neuen Vermögensbildungspläne der SPD -- in zehn Jahren für jeden Arbeiter ein Vermögen von 12 000 bis 13 000 Mark -- als eine gefährliche Bedrohung der Stabilität, insbesondere der Gewinn- und Kostensituation der Industrie sehen? Ein großer Teil der dafür nötigen Mittel soll ja durch eine jährliche Abgabe der Arbeitgeber aufgebracht werden.

SCHLEYER: Wir waren in unserem Haus mit die ersten, die das Vermögensbildungsgesetz wirklich mit großem Erfolg durchgeführt und gefördert haben.

SPIEGEL: Wollen Sie den Arbeitnehmern quasi die Mitbestimmung abkaufen?

SCHLEYER: Das wollen wir nicht. Das wäre auch ein schlechtes und untaugliches Mittel dazu.

SPIEGEL: Auch keine Daimler-Gratisaktien?

SCHLEYER: Gratisaktien oder richtiger Berichtigungsaktien haben wir an die Belegschaft nicht ausgegeben. Die Erfahrungen sind unterschiedlich, aber über Gratisaktien an Belegschaftsangehörige ist das Problem nicht zu lösen, weil es die nicht in genügender Menge gibt und die Beschäftigten im öffentlichen Dienst z. B. leer ausgehen müßten. Ich bin der Meinung, daß wir noch Wege finden müssen, die über das sogenannte 824-Mark-Gesetz hinausgehen. Denn das kann nur ein Schritt sein, ein nicht zu unterschätzender Schritt, aber er wird sicher nicht ausreichen. Es wird auch einer der Vermögensbildungspläne, ob es nun der Friedrich-Plan ist, oder ob es der Stützel-Plan ist ...

SPIEGEL: ... den Gleitze-Plan nehmen Sie nicht so gern in den Mund, wie?

SCHLEYER: Nein, nicht so gern. Aber auch der Stützel-Plan Ist nur einer dieser Pläne, das Problem wird sicher in den nächsten Monaten ernsthafter diskutiert werden müssen. Man wird aus den vielen Plänen vielleicht doch noch einen einheitlichen Plan formen können. Ich kann mir selbst nicht vorstellen, welcher von diesen Plänen nun der praktikabelste ist, aber Ziel muß zweifellos sein, in einem größeren Umfange die Arbeitnehmer an den Produktionsmitteln zu beteiligen.

SPIEGEL: Sie stimmen also unserer Ansicht zu, daß die gegenwärtige Vermögensverteilung und die Verteilung der Produktionsmittel ein sozialer Übelstand in unserem Lande sind?

SCHLEYER: Ich würde nicht sagen, daß es sich bis jetzt als Übelstand ausgewirkt hat, aber wir würden gut daran tun, wenn wir durch solche Pläne in Zukunft eben mehr Vermögen streuen.

SPIEGEL: Scheinbar denken nicht alle Unternehmer so. Herr Schleyer, stimmt es, daß es aus Furcht vor den Vermögens-, Steuer- und sonstigen Plänen Bonns schon zu einer Kapitalflucht aus der Bundesrepublik gekommen Ist? Sogar Vizepräsident Emminger von der Bundesbank wird da zitiert, möglicherweise fälschlich.

SCHLEYER: Herr Emminger müßte das besser wissen, er kann das wahrscheinlich besser beobachten. Aber wenn Sie mich fragen, ich kenne keinen Fall von Kapitalflucht.

SPIEGEL: Auch nicht aus Angst vor einer Erhöhung der Einkommen-, Erbschaft- oder Vermögensteuer?

SCHLEYER: Ich erinnere an die Zusicherungen des Bundesfinanzministers, keine Erhöhungen des Gesamtsteueraufkommens anzustreben und zum Beispiel bei der geplanten Umgestaltung der Erbschaftsteuer und Vermögensteuer von jeder konfiskatorisch wirkenden Maßnahme abzusehen. Im übrigen müssen für eine genauere Beurteilung die Ergebnisse der Steuerreform-Kommission abgewartet werden. Jede Reform sollte jedoch darauf bedacht sein, die Investitionsfähigkeit der Wirtschaft zu bewahren -- im Interesse des Wachstums und damit auch des künftigen Steueraufkommens. Hier nehme ich an, Sie stimmen mir zu, daß wir dem von Ihnen vorhin erwähnten Beispiel England nicht folgen sollten -- mit seinen bekannten Auswirkungen.

SPIEGEL: Wird es so kommen, daß mancher Unternehmer aus Angst vor den Reformen des Kabinetts Brandt sagt, jetzt sehe ich zu, daß ich Land gewinne; auf legale Weise vielleicht?

SCHLEYER: Wer In der Lage ist, seinen Betrieb ohne Irgendwelche Nachteile zu transferieren oder Teile seines Betriebes, mag diese Überlegung haben, wenn die neue Entwicklung ihn hier nicht mehr wirtschaftlich arbeiten läßt. Die Großindustrie kann das nicht. Wenn all die Konsequenzen eintreten würden, von denen Sie gesprochen haben, geringere Abschreibungssätze, Fusionskontrolle, höhere Besteuerung und und und; daß dann eine gewisse Verdrossenheit einsetzt, das ist sicher anzunehmen.

SPIEGEL: Solange die FDP bremst, hoffen Ihre Arbeitgeber-Kollegen auf das Beste. Nur, in dem Mitteilungsblatt, das wir vorhin zitiert haben, heißt es, wenn die SPD erst einmal allein regiert, und das ist ja das Ziel der SPD, dann würde sie sich sehr schnell über das Godesberger Programm hinwegsetzen. Dann würde sie mit Herbert Wehner eben das anstreben, was er Im Grunde seines Herzens immer wollte, nämlich das jugoslawische Modell.

SCHLEYER: Ich weiß nicht, was Herr Wehner im Grunde seines Herzens will. Dazu kann ich keine Aussage machen.

SPIEGEL: Herr Schleyer, auf dem SPD-Parteitag haben die Jungsozialisten Immerhin erreicht, daß über ihre gesellschaftspolitischen Pläne ein Sonder-Parteitag abgehalten wird. Wenn die Vorschläge der jungen Reformer, mit oder ohne den Koalitionspartner In Bonn, verwirklicht würden, wäre das das Ende der wirtschaftlichen Blüte in der Bundesrepublik?

SCHLEYER: Das weiß ich nicht, aber es könnte das Ende der derzeitigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung werden.

SPIEGEL: Herr Schleyer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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