Zur Ausgabe
Artikel 54 / 69

Martin Morlock JULCHEN LERNT DEUTSCH

aus DER SPIEGEL 27/1966

Wenn rötlichblonde Monumental -Germaninnen ihr mitteilen, sie habe wieder einmal »bong« gesungen, verliert ihr Autogrammlächeln jäh die Balance; denn solches Gaumenfranzösisch sprachen auch jene friesischen Wärterinnen, die ihr einst im Gefängnis von Fresnes die Résistance auszutreiben versuchten. Nicht minder freudlos reagiert sie, wenn deutsche Kurz-Vokabeln wie »los!«, »schnell!« oder »raus!« an ihr Ohr dringen.

Dennoch ist Juliette Gréco, einer Schallplatte wegen, entschlossen, die Sprache Lessings zu erlernen; zumindest phonetisch. Und ich - ein feinspüriger Zufall will es - soll ihr Deutschlehrer sein.

Wichtigster Schauplatz meiner didaktischen Mühen: das Haus Nr. 33 in der Rue de Verneuil; zur Zeit Ludwigs XV. eines Adligen Stadtpalais, heute verwitterter Gr&co-Besitz. Hier, versichert mir die Sängerin an Eides Statt, werden wir ungestört arbeiten können.

Sämtliches, was der vormaligen »Muse von Saint-Germain-des-Prés« Besonderheit dokumentiert, hat Fußbodenberührung: Bücher, zu Säulen gestapelt und mit Flohmarkt-Trouvaillen gekrönt, spielen Bibliothek. Gemälde, darunter mehrere von Bernard Buffet, lehnen sich zutraulich an Heizkörper und andere Vorsprünge. In den offenen Kaminen funkeln teils silberne Leuchter und Ikonen, teils bunte Christbaumkugeln. Rokoko -Puppenmöbel und mechanisches Spielzeug aus drei Jahrhunderten zieren die restliche Wohnfläche.

Es ist Habitüde des Hauses, über alles, was nicht Kniehöhe erreicht, hinwegzusteigen; sei es eine des Zigarettenrauchens fähige Negerfigur, ein liebesbriefschreibender Pierrot, das überfütterte Mini-Windspiel Katia oder der in Bauchlage Pferdesportnachrichten lesende Bankierssohn und Rennstallbesitzer Alain

Louis-Dreyfus.

Ich erscheine zu vereinbarter Spätnachmittagsstunde, bald gesellt sich mir der Chef des Gréco-Begleitorchesters, Henri Patterson, bei, ihm folgt ein spanisches Hausmädchen, das uns reichlich mit schottischem Whisky, Hausmarke des Londoner Savoy-Hotels, versorgt.

Nach 40 Minuten erscheint meine Schülerin; barfuß, in einem schwarzweiß gemusterten Kimono und mit der Bekundung, sie sei über die Maßen erschöpft.

Längere Unterhaltung mit Patterson, genannt »Pat«, über Tournee -Terminfragen. Ein Ferngespräch mit Saint-Tropez (20 Minuten), ein Anruf von irgendwo (30 Minuten), dann kann die Lektion beginnen.

Es geht um ein Chanson mit dem Originaltitel »Sur l'arbre mort«. Juliette, auf dunkelroten Samt gelagert, liest die Nachdichtung souverän vom Blatt: »Am totten Bom die kallen Swesch beweggen fretzdeln ...«

Ich korrigiere in meinem besten Oxforddeutsch: »Am toten Baum die kahlen Zweige, bewegen fröstelnd sich im Wind.«

»Fretzeld.« »Fröstelnd.« »Ah, quelle langue barbare.«

Ich erfahre, daß jemand, der ihr die Artikulation einer solchen Ballung von häßlichen Konsonanten- abfordere, im Grunde seiner Seele ein »sale boche«, wenn nicht gar ein »Nazi"' sein müsse.

Als ich Hoffnung schöpfe, weil das Imperfekt starb« und das Hauptwort »Morgengrauen« unverhofft ihr Wohlgefallen erregen, stürzt die Sekretärin mit der frohen Botschaft herein, daß die Hündin Katia, laut tierärztlichem Befund, in der dritten Woche schwanger gehe, was zu Glücksäußerungen, Spekulationen über Anzahl und Geschlecht des zu erwartenden Wurfes und zu erhöhtem Whisky-Konsum Anlaß bietet.

»Am toten Baum, die kahlen Zweige ...«

»Tu m'emmerdes!« sagt die Künstlerin. Außerdem leide sie plötzlich an heftigen Hals- und Ohrenschmerzen.

Ich beharre: »Am toten Baum ...« »Am totten Ba - u - m ...«

Diesmal unterbricht uns die in einem Nebentrakt wohnende Madame Gréco senior, vielfach dekorierte Widerstandskämpferin des Zweiten Weltkriegs, und wir wechseln artige Worte über die Notwendigkeit, ein geeintes Europa zu schaffen.

Als Madame (von der wohlerzogenen Tochter gesiezt) sich mit strafendem Blick auf unsere Whiskygläser zurückzieht, nehme ich neuerlich mein Lehramt auf.

»Bewegen fre ... frö ... non c'est impossible!« Warum denn gerade Deutsch, warum nicht das leicht erlernbare Japanisch?

»Bewegen fröstelnd sich im Wind.«

Nein, es sei absolut sinnlos, sie solcherweise zu ermüden. Sie habe da ihre eigene, bewährte Arbeitsmethode. Außerdem warte nebenan der Bote ihres Cordonniers mit einer Kollektion Schuhe für den Urlaub in Saint-Tropez. Ein Paar davon aus durchsichtigem Kunststoff.

Nackte Fußsohlen tappen über breitfugiges Uralt-Parkett.

»Am totten Ba - u - m die kallen Zsweige beweggen frötz ... la merde - fröstelnd sisch im Wind«, tönt es, bereits aus dem Nebenzimmer.

Juliette Gréco

Martin Morlock
Zur Ausgabe
Artikel 54 / 69
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren