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Junge Mädchen verwirrt

aus DER SPIEGEL 27/1963

Die Jäger sitzen am Rhein, das Wild heißt Sex. Es sollte nicht zur Strecke gebracht, aber auf den rechten Weg geleitet werden. Das Wild ist entwischt und markiert den alten Wechsel.

Drei Wochen nachdem das Kölner Magazin »Twen« seine Juni-Nummer auf den Markt gebracht hatte, untersagte die Bad Godesberger Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften den öffentlichen Vertrieb dieses Heftes. Zu jenem Zeitpunkt lag »Twen« freilich nur noch in Restexemplaren bei den Kiosken.

Die Prüfer in Bad Godesberg handelten nicht aus eigenem Antrieb. Das Bundesinnenministerium hatte unter dem Datum des 12. Juni brieflich, das nordrhein-westfälische Arbeits- und Sozialministerium fernschriftlich bei den Bad Godesberger Schriftgelehrten Maßnahmen gegen »Twen« gefordert. Begründung: Eine »Fibel von der Jagd auf den Mann«, die das Magazin unter dem Titel »Sex und ledige Mädchen« als »Twens Mädchenführer« in Auszügen veröffentlicht hatte, verstoße gegen die Grundsätze des Jugendschutzes.

Dieser Männer-Test, eine Übersetzung des amerikanischen Bestsellers »Sex and the Single-Girl« von Helen Gurley Brown, behandele - so das Bonner Innenministerium im Schriftsatz der Oberregierungsrätin Dr. Barbara Baron - »Ehebruch, ehewidriges Verhalten und Untreue in einer verharmlosenden Weise, die geeignet ist, Jugendliche in sexualethischer Hinsicht irrezuführen und dadurch erheblich sittlich zu gefährden«.

Die Bonner Ministeriale fügte Zitate aus dem Brown-Report hinzu: »... Das kommt davon, wenn man mit dem Mann, den man heiraten will, nicht geschlafen hat.« Oder: »Ich muß... nicht unbedingt mit ihm schlafen. Ich kann aber.«

Die Düsseldorfer urteilten noch herber über die Erkenntnisse der Amerikanerin: »Die Ausführungen ... sind deshalb... so verderblich, weil in ihnen in einer Art, die jeden Respekt vor sittlichen Begriffen wie Ehe und Familie vermissen läßt und die sexuelle Zucht und Ordnung ignoriert, persönliche Anschauungen über vor- und außereheliche Beziehungen der Geschlechter zueinander dargestellt werden.«

Und: »Abgesehen davon, daß es nicht im Einklang mit der herrschenden Auffassung steht ... geschlechtliche Beziehungen ohne jede sittliche Wertung zu betrachten... ist die Argumentation lückenhaft und entspricht auch nicht der Wirklichkeit.«

Zwei Tage nach dem Eintreffen der ministerialen Rügen verfügte die Prüfstelle unter dem Vorsitz ihres Leiters, Oberregierungsrat Robert Schilling, und mit den Beisitzern Arno Reins und Studienrat Gerhard Neumann aus Bad Godesberg die Indizierung des Heftes.

Der Report der Brown, begründeten die Jugendschützer ihr Verdikt, »ist... geeignet, die sexualethische ... Urteils- und Willensbildung junger Mädchen erheblich zu verwirren.«

Die Verwirrung war nicht mehr aufzuhalten. Die monatliche Auflage von 100 000 Exemplaren war bis auf den üblichen Remissionsrest längst in den Händen der 2000 Abonnenten und 74000 Einzelkäufer. Im Juliheft setzt das Magazin den Abdruck von Brown-Auszügen fort.

Es riskiert damit, von der Prüfstelle für ein ganzes Jahr von den Kiosken verbannt zu werden, sollten die Prüfer abermals »sexualethisch irreführende« Thesen bei Helen Gurley Brown entdecken. Denn jede nichtpolitische Zeitschrift, die im Jahr zweimal beanstandet wurde, kann für zwölf Monate indiziert und damit harten Vertriebsbeschränkungen unterworfen werden.

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