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KRIMINALITÄT Jute statt Stahl

Auf deutschen Flughäfen werden Millionenbeträge gestohlen. Mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen machen es den Dieben leicht. *
aus DER SPIEGEL 3/1985

Der Täter hatte sich lediglich mit einer Sprühdose voll Tränengas ausgerüstet, und auch die Tarnung war eher dürftig: Er setzte sich eine Sonnenbrille auf und zog die Kapuze seines Parkas über den Kopf.

Zur Position B 39 auf dem Frankfurter Flughafen, wo gerade eine DC-9 der

jugoslawischen Fluggesellschaft JAT entladen wurde, konnte er gemächlich fahren. Einen gepanzerten Werttransporter, der dort zwei Jutesäcke mit insgesamt 2,9 Millionen Mark abholen sollte, hatte er, wie die Ermittlungen ergaben, einfach per Telephon abbestellt.

Der Kapuzenmann griff sich die Geldbeutel vom Gepäckkarren, umnebelte einen protestierenden Frachtarbeiter mit Tränengas und verstaute die Beute in einem gestohlenen VW-Bus, dessen Originalschlüssel die Fluggesellschaft »Finnair« schon seit geraumer Zeit vermißt hatte.

Der Räuber kurvte um parkende Jets, passierte unbehelligt die Flughafensperren und lud die Säcke in der Tiefgarage um - kein Funkruf von der Position B 39, der die Wachposten an den Toren rechtzeitig alarmiert hätte; die Busaufschrift »Finnair« garantierte ungehinderte Durchfahrt.

Der Raubzug, geschehen am 17. Dezember, erforderte kaum kriminellen Scharfsinn. Dem Täter mußten lediglich die Schwachstellen bei der Frachtabfertigung auf dem Rhein-Main-Airport bekannt sein.

Mit Flughafen-Prozeduren bestens vertraut war auch Rainer Dietz, Frachtmeister der Lufthansa auf Köln-Wahn. Sein Coup, ebenfalls zur Weihnachtszeit, ging noch glatter vonstatten.

Urlauber Dietz schlüpfte in seine Lufthansa-Uniform und fuhr nach Mitternacht zum Flughafen. In seinem Arbeitszimmer fälschte er die Frachtbriefe für eine eingetroffene Devisensendung im Wert von 760 000 Mark, die ein Schweizer Geldinstitut an eine Kölner Bank schicken wollte. Als neue Route trug Dietz, der Kölner Polizei durch ein früheres Eigentumsdelikt aufgefallen, Amsterdam via Frankfurt ein.

Der Spediteur ließ sich das frisierte Papier vom Zoll abstempeln, dann zeigte er es den Kontrolleuren im Bereich Wertfracht. Er müsse, erklärte Dietz, die beiden Geldsäcke umladen. Daß Dietz zur Nachtzeit kam und die Maschine nach Frankfurt erst morgens startete, weckte keinen Argwohn.

Dietz hatte genügend Zeit, die ihm ausgehändigten Geldbeutel zu leeren und mit weißem Papier wieder zu füllen, exakt auf das eingetragene Frachtgewicht von 35 Kilogramm. Als der Schwindel in Amsterdam aufflog und der Verdacht sich endlich gegen Dietz richtete, war der Frachtmeister mit einem Komplizen längst nach Frankfurt gefahren und, wie die Kölner Kripo mutmaßt, im Flugzeug in die USA geflüchtet.

Die Beutezüge in Frankfurt und Köln demonstrieren, wie gering die Risiken für Airport-Räuber sind. Nirgendwo, klagen Kriminalisten, seien große Coups leichter zu landen als auf Flughäfen.

Der Frankfurter Kriminalhauptkommissar Hans Neitzel glaubt, daß es bei den gewaltigen Umschlagmengen und der Vielzahl der Flugbewegungen (täglich bis zu 775 Starts und Landungen auf Rhein-Main) »immer Schwachstellen gibt, durch die man leicht schlüpfen kann«.

Der Frachtumsatz in Frankfurt stieg im vergangenen Jahr um 13 Prozent auf 775 000 Tonnen. Die Zahl der Beschäftigten nahm im selben Zeitraum um 1660 auf insgesamt 34 180 zu, davon haben rund 8000 ständig Zugang zum Vorfeld. Und jeden Monat müssen rund 1800 neue Ausweise ausgegeben werden - vor allem wegen »der ständigen Fluktuation beim Reinigungspersonal«, wie Flughafen-Schutzdienstleiter Gustav Janßen sagt. Weder der Zuwachs im Frachtgeschäft noch der Personalanstieg haben die Airlines und die Flughafenbetreiber dazu bewegen können, seit langem bekannte Sicherheitsdefizite zu beseitigen.

Selbst Devisen in Millionenhöhe werden wie zur Postkutschenzeit in Säcken transportiert statt, wie im Verkehr von Bank zu Bank längst die Regel, in sicher verschlossenen Stahlkoffern. Grund: Auch bei Wertsendungen bemißt sich die Luftfrachtgebühr allein nach dem Gewicht.

Um Kosten zu sparen, verzichten Banken häufig auch darauf, ihre Devisentransporte als Wertsendung (Zuschlag: 0,5 Promille des Wertes) zu deklarieren. Oft schlagen sie das Angebot der Flughafenbetreiber aus, die Geldsäcke mit einem gepanzerten Fahrzeug von der Maschine abholen zu lassen (Gebühr pro Stunde: 131,80 Mark).

Sogar Diamanten aus Südafrika, die in Frankfurt auf eine Maschine nach Amsterdam umgeladen werden, sind nach Beobachtungen eines Sicherheitsbeauftragten auf dem Flughafen vielfach »wie Handgepäck befördert« worden.

Manchmal bleibt teure Fracht auf dem Vorfeld unbewacht liegen - so vor Jahren vier Geldsäcke mit 5,1 Millionen Mark, die von der Bulgarischen Außenhandelsbank in Sofia zur Deutschen Bank in Frankfurt gefrachtet werden sollten. Das Telex, mit dem der Werttransport avisiert werden sollte, war erst eine Stunde nach der Landung eingetroffen.

Zwei Crewbus-Fahrer konnten nicht widerstehen und luden die Säcke kurzentschlossen in ihr Fahrzeug. Im Prozeß gegen die Millionendiebe warf Verteidiger Hans-Ulrich Endres der Lufthansa »unverantwortlichen Leichtsinn« vor: »Da hätte doch jeder zugegriffen.«

Nur selten gelingt es der Polizei, die Luftfrachtdiebe zu fassen. Oft kann nicht einmal nachvollzogen werden, wo die Sendung abhanden gekommen ist - wie bei Devisen und Goldbarren im Wert von 1,5 Millionen Mark, die, von einer Bank in London aufgegeben, nach der Landung in Frankfurt verschwunden waren.

Allein im Frachtbereich Frankfurt kamen als Täter rund drei Dutzend Beschäftigte in Frage, die alle vergebens von der Polizei vernommen wurden. Schutzdienstleiter Janßen, dem immerhin 420 Mann unterstehen, resigniert, daß er ja »nicht jedem, der aufs Vorfeld geht, einen hinterherschicken kann«.

Dafür greift die Flughafen AG hart durch, wenn sie mal einen Vorfelddieb erwischt. Einer vom Reinigungspersonal, der eine Dose Cola geklaut hatte, ist, weiß Janßen, »fristlos geflogen«.

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