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Kabel-Fernsehen: »Das Debakel ist da«

Fehlkalkulation mit Milliardenbeträgen, chaotische Gebührenpolitik, Spielereien mit veralteter Technik: Christian Schwarz-Schilling bringt das Staatsunternehmen Bundespost mit seinem Lieblingsprojekt - Kabel global, Fernsehen total - in finanzielle Schwierigkeiten. Doch obwohl Rechnungshof, Opposition und selbst eigene Parteifreunde mit dem Postminister hart ins Gericht gehen, läßt ihn Kanzler Helmut Kohl weiterwursteln.
aus DER SPIEGEL 36/1984

Einmal noch, vor dem erdnahen Durchflug des Halleyschen Kometen, wird sich der Satellitenabschuß verzögern. Dann, voraussichtlich im Herbst kommenden Jahres, wird wahr, was eigentlich schon 1983 geschehen sollte - der langerwartete Start des ersten deutschen Rundfunksatelliten TV-Sat. Wenn der Trabant seine Sendungen beginnt, hat der Bonner Postminister neben all seinen bisherigen politischen und technischen Problemen ein neues dazu.

Denn schlagartig strahlt vom Himmel hoch, 19 Grad West über dem Äquator, aus 35 800 Kilometer eine leistungsstarke Direktkonkurrenz auf die Kabelnetze der Bundespost hernieder: bundesweit verbreitete TV-Programme, empfangbar mit privaten Einzel- oder Gemeinschaftsantennen für Villen, Mietskasernen und Wohnsiedlungen. Postkabel zur flächendeckenden Programmverbreitung sind beim sogenannten Direktsatelliten nicht mehr vonnöten.

Die neue Generation der Rundfunksatelliten kann, wenn ihm vorher nichts passiert, das Schicksal des Bonner Kabellegers Christian Schwarz-Schilling endgültig besiegeln. Auf Restgröße könnte dann die Lust der TV-Nation auf den Kabelanschluß schwinden, wenn mit dem einmaligen Kauf einer Antenne weitere Fernsehprogramme erreichbar sind - ohne die ständig steigenden Monatsgebühren für die postalische Strippe.

Dann aber droht dem wichtigsten Projekt des Ministers und einem der markantesten von Helmut Kohls Regierung der Absturz ins Nichts.

Ein bis zwei Milliarden Mark im Jahr kostet die Verkabelung der Deutschen die Bundespost. Die Zeichen mehren sich, daß das viele Geld verschwendet wird, in den Sand gesetzt von einem Politiker, dem vor lauter medienpolitischem Eifer die Kontrolle über seine Pläne entglitten ist.

Dem Eiferer ist vorzuhalten, daß er *___seine Führungsaufgaben als Chef des größten deutschen ____Dienstleistungsunternehmens ständig vernachlässigt, um ____seine medienpolitisch-ideologischen Ziele ____durchzusetzen. Schwarz-Schilling im Oktober 82, bei ____seinem Amtsantritt: »Jetzt machen wir das private ____Fernsehen«; *___stur auf dem einmal eingeschlagenen Weg fortfährt, ____obwohl inzwischen, dank technischen Fortschritts, ____privates TV auch ohne teure Kabel möglich ist; *___keinen Gedanken daran verschwendet, ob seine Wähler ____überhaupt 20 TV-Programme sehen wollen, wenn ihnen ____schon die jetzigen zweieinhalb Programme zuviel sind.

Des Ministers Chef, dem Kanzler Helmut Kohl, ist anzulasten, daß er *___seinen Postminister ungebremst weiterwursteln läßt, ____obwohl der in der eigenen Partei längst als ____ablösungsreif gilt; *___die politische Aufsicht über seinen Minister versäumt. ____Zu den grundsätzlichen Fragen - ob es Aufgabe ____ausgerechnet der Post sein muß, alle Bürger mit vielen ____Kommunikationsmöglichkeiten zu beglücken, und ob nicht ____eher der Staat oder der einzelne Bürger die neue ____Medienvielfalt bezahlen sollte - hat Kohl nie etwas ____gesagt.

Vielen in der Christenpartei, die in dem vermeintlichen »Rotfunk« 13 Jahre lang die Ursache für Machtverlust und Ohnmacht sahen, ist immer noch der Ausbau der Kabelnetze von epochaler Bedeutung - und kein Vergleich zu hoch gegriffen. »Fast so groß wie Gorleben« fand der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht das gewaltige Netzwerk. Und über ein Vorhaben wie den »Ausbau des Eisenbahnnetzes im vergangenen Jahrhundert« staunte sein Parteifreund Bernhard Vogel in Mainz.

Nicht minder ungeheuer empfanden auch die politischen Gegner das große Kabeldingdong - nur andersherum: »Gefahren, die akuter und gefährlicher sind als die Kernenergie«, erwartete der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt von dem unterirdischen Wunderwerk. »Reizüberflutung« und »Massenverdummung« fürchteten auch andere Sozialdemokraten für das Seh- und Wählervolk, das sich nun offenbar weniger dumm verhält als erwartet.

Denn plötzlich erweist sich als wahr, was Schwarz-Schilling und andere christdemokratische Medienapostel früher ständig gepredigt haben, ohne es wirklich zu glauben: Das Publikum, der von ihnen stets bemühte »mündige Bürger«, hat tatsächlich das letzte Wort über Nutzung und Einführung dieser - eben publikumsnahen - Technologie.

An dieser Klippe hat sich die einst »mit Volldampf« (Schwarz-Schilling) losgebrauste Bonner Medienpolitik der CDU/CSU schnell festgefahren.

Mehr als 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung, so ergaben jüngste Meinungsumfragen des Fernmeldetechnischen Zentralamts und des Offenbacher Marplan-Instituts in 3000 Haushalten, waren nicht bereit, sich zu den bislang geltenden Gebühren ans Fernsehkabel anschließen zu lassen: 400 Mark für den Postanschluß, monatlich 16,25 Mark für Betriebskosten und Programm-Heranführung sowie weitere Kosten für die Handwerksarbeiten (Leitungen und Anschlüsse) innerhalb der Häuser.

Doch die Tarife sind unverbindlich. Immer mal wieder wird die gesamte Kalkulation durcheinander gewirbelt. Jüngstes Beispiel: Die Post bietet neuerdings Kabelanschlüsse für Wohnungsbauunternehmen und Betreiber von Gemeinschaftsantennen zu Schleuderpreisen an - 20 statt 400 Mark. Die Billigaktion ist auf ein Jahr begrenzt und soll die Bürger in Scharen ans Kabel locken. Finanzexperten bezweifeln aber, daß die Post das sich abzeichnende Finanzdebakel abwenden kann, wenn sie jetzt Zehntausende von Wohnungen zum Quasi-Nulltarif verkabelt.

Zwar gelang es Schwarz-Schilling vergangene Woche, das Kabinett mit imposanten Hochrechnungen zu beeindrucken. Der Minister: »Das Modell rechnet sich.« Hinterher gestand er jedoch in verblüffender Offenheit: »Ich habe auch einige Wochen gebraucht, um dies zu verstehen.«

Kann der heimliche Medienminister der Republik, so spitzt sich die Lage nun zu, sein ebenso ehrgeiziges wie eigensüchtiges Großprojekt noch einmal flottmachen, oder zerschellt das prestigebefrachtete Milliardenprogramm an den Widerständen der Politik und Ökonomie, den Launen der Konjunktur, vor allem aber an der allgemeinen Unlust?

Die Kabelkatastrophe liegt in der Luft.

Für die Union steht damit ein weiteres Stück Wende auf dem Spiel - weniger jenes, mit dem geistig-moralische Erneuerer die Wähler verkohlten, als das handfeste Kalkül machtpolitischen Zugewinns.

Eingerichtet sind die Kupferkabelnetze nämlich einzig zur Programmvermehrung bei Funk und Fernsehen, nicht geeignet hingegen für Kommunikations- und Datenzwecke der Wirtschaft. Und flottmachen wollte Schwarz-Schilling vor allem neue Privatprogramme kapitalstarker TV-Veranstalter, um der SPD endlich die »politische Beeinflussung der Zuschauer« zu verbauen, über die sich die Christenpartei jahrelang geärgert hatte.

Vom roten Feindbild beflügelt, schlug der neue Postminister gleich nach seinem Amtsantritt im Oktober 1982 eine deutliche Warnung der Experten in den Wind. »Es besteht zur Zeit kein drängender Bedarf nach einer größeren Anzahl anzubietender Fernsehprogramme«, hatte zuvor eine noch von den Sozialliberalen berufene Kommission (KtK) von Technikern, Kommunikationswissenschaftlern und Ökonomen ermittelt.

Schwarz-Schilling aber startete durch. Zwanzig bis dreißig Postmilliarden sollten in die Kabelgräben fließen, ohne ausreichendes Plan- und Datenmaterial, nur mit einigen frei gegriffenen »unternehmenspolitischen Sollvorgaben«, wie der Bundesrechnungshof kürzlich in einem Sondergutachten beanstandete (SPIEGEL 26/1984).

75 Prozent der jeweils verkabelten Haushalte, so der Fahrplan des Ministers, sollen sich binnen acht Jahren ans Netz koppeln lassen, 85 Prozent in elf und sogar 90 Prozent in 16 Jahren. Will heißen: Von der jeweiligen Fertigstellung der Kabelstränge an gerechnet, muß gut anderthalb Jahrzehnte später praktisch jede erreichbare Familie auch tatsächlich am Kabel hängen und dafür

Gebühr zahlen, sonst gehen alle Post-Kalkulationen nicht auf.

Diese Anschlußdichte, die laut Gutachten des Rechnungshofs »von ausschlaggebender Bedeutung« für die Amortisation ist, beruht auf reinem Wunschdenken des Ministers. Optimistisch beruft er sich auf einige kleinere, bereits stark oder voll verkabelte Staaten wie Holland und Belgien (Anschlußdichte: 87 Prozent).

Doch die dortigen Voraussetzungen unterscheiden sich grundlegend von der westdeutschen Mediensituation. Zum einen minimieren die großenteils privaten Kabelgesellschaften in den Kleinstaaten die Anschlußkosten, indem sie Programme aus Deutschland, Frankreich und England einfach ohne Abgeltung von Urheber- und sonstigen Gebühren einspeisen (Stichwort »Medienklau"). Zum anderen sind die angestammten Landesprogramme dort weniger attraktiv als ARD und ZDF, so daß die Zuschauer fast geschlossen zum Billigkabel desertierten. Im großen und ganzen aber hat die Verkabelung in Westeuropa, wie der Bundesrechnungshof ermittelte, nur »begrenzte Bedeutung«.

In den USA erfaßte die großflächige Verkabelung bis heute immerhin gut 40 Prozent aller Haushalte. Doch die Anschlußkurve nähert sich der Sättigungsgrenze; mehr als durchschnittlich die Hälfte der Haushalte sind trotz aller Marketing-Strategien der großen Cable-TV-Gesellschaften nicht an die Anschlußbox zu holen. Für Schwarz-Schillings Amortisationspläne wäre das bei weitem nicht genug.

Während daher in England und Frankreich politische Starthilfen für einen Kabelausbau nur behutsam gegeben wurden, etwa durch Begrenzung auf bestimmte Ballungsgebiete, ging des Ministers deutsche Strategie aufs Ganze: Kabel global, Fernsehen total. Im nachhinein hat ihn der Bundesrechnungshof dafür, »in Umgangssprache übersetzt«, so die »Süddeutsche Zeitung«, »schlicht zum Abenteurer erklärt«.

Im Namen der Post habe der Minister, so wiesen ihm die Frankfurter Prüfer nach, erhebliche betriebswirtschaftliche Risiken ohne ausreichende Marktanalysen für fundierte Unternehmensentscheidungen in Kauf genommen und sich dabei um Milliardenbeträge verkalkuliert. Noch im letzten Jahr gab Schwarz-Schilling die reinen Postinvestitionskosten fürs Kabel mit 13,5 Milliarden Mark an, die Rechnungsprüfer ermittelten jedoch weit über 21 Milliarden. Differenz: 7,8 Milliarden Mark.

Der Minister schob die massive Rüge beiseite und lamentierte, er sei wieder mal falsch verstanden worden. In Wahrheit habe er schon immer von Kosten zwischen 20 und 30 Milliarden Mark gesprochen. Gemeint hatte er damit aber immer die Gesamtkosten des Kabelfernsehens einschließlich TV-Satelliten,

Richtfunkstrecken und aller Arbeiten auf Privatgrundstücken - und die betragen nach übereinstimmenden Expertenurteilen, etwa bei der Fernmeldeindustrie, mindestens 50 Milliarden Mark.

Die »Süddeutsche Zeitung« führt Schwarz-Schillings Rabulistik auf »sein zweifellos gestörtes Verhältnis zur Wahrheit« zurück: Das Maß an »Tatsachenverdrehung, an Verschleierung von entscheidenden Daten und an persönlicher Arroganz«, mit dem er das Rechnungshofgutachten abgetan habe, sei »kaum noch zu überbieten«. Die SPD sieht in dem »medienpolitischen Hobbyreiter«, so Rudi Walther, Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Bundestag, »eine Gefahr für die Bundespost«.

Das ist nicht aus der Luft gegriffen. Zwar sind die Postkassen noch satt gefüllt. Für 1984 errechneten Schwarz-Schillings Buchhalter 1,5 Milliarden Mark Gewinn. Die Erfolgskurve zeigt jedoch steil abwärts: 1986 ist ein Minus von 1,4 Milliarden Mark zu erwarten. Die Postler sind die größten Schuldenmacher der Nation: Im laufenden Jahr investieren sie rund 15 Milliarden Mark. Das Geld müssen sie sich zum Teil durch Kredite besorgen, allein in diesem Jahr drei Milliarden Mark. Der gewaltige Schuldenberg wächst schier unaufhaltsam weiter: Derzeit sind es weit über 40 Milliarden Mark.

Dies sei nicht mehr nur Sache des Postverwaltungsrates, der rechtlich für die Genehmigung des Posthaushalts zuständig ist, warnt der FDP-Abgeordnete Burkhard Hirsch: »Jetzt ist auch der Bund gefordert, als Garant für die Bundespost.« Er frage sich, so der ehemalige nordrhein-westfälische Innenminister, »ob die Verschuldung der Post überhaupt noch über die Banken finanzierbar ist«.

Ein Warnsignal kommt aus Mainz. Die Landesbank Rheinland-Pfalz, zur Vorfinanzierung des Ludwigshafener Kabel-Pilotprojekts verpflichtet, muß dafür 70 bis 100 Millionen Mark aufbringen. Doch die Zuschauer-Entwicklung ist katastrophal (rund 5000 statt der gesetzlich vorgesehenen mindestens 30 000 Anschlüsse), die Einnahmen bleiben minimal, und die Landesbank muß ihre Vorleistung wegen anderweitiger Fehlinvestitionen womöglich schuldig bleiben. Dies könnte das vorzeitige Ende des ersten Kabelfernsehunternehmens in der Bundesrepublik bedeuten.

Die Großbanken haben Schwarz-Schilling bereits gewarnt, sein Staatsbetrieb habe nur noch begrenzten Spielraum für Bankkredite. Im Postverwaltungsrat mahnte Ende letzten Jahres Friedrich Wilhelm Christians, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, der Bogen sei bald überspannt. Christians: »Die Finanzstruktur der Bundespost verschlechtert sich weiter.« Die gigantische Schuldenlast sei eine »schwere Hypothek«; es bleibe im ungewissen, wo die Post neue Einnahmequellen erschließen wolle.

Der klassische Fernsprech-Service etwa, aus dessen Überschüssen die Post ihre Löcher im Brief- und Paketdienst stopfen konnte, läßt sich kaum noch ausbauen.

Dabei steht die Post vor wichtigen Großinvestitionen, die für die Wirtschaft dringlicher sind als die Medienkabel, etwa die Digitalisierung des Fernsprechnetzes, mit deren Erprobung 1985 begonnen wird.

Das ISDN-System (Integrated Services Digital Network) wird für alle Fernmelde- und Datendienste nutzbar sein. Für Telephon, Computer, Bildschirmtext, Fernkopierer und Telex ist dann nur noch ein einziger Anschluß erforderlich. Da die Postmilliarden jedoch wegen der Rundumverkabelung blockiert sind, verzögert sich der Ausbau des ISDN-Systems.

Zwar prüft der Postminister, ob die ausschließlich für die Radio- und Fernsehübermittlung vorgesehene Kupferverkabelung sich mit dem davon unabhängigen ISDN kombinieren läßt. Er könnte dann nämlich die Kosten für das rentable ISDN-Netz mit den Kosten der unrentablen TV-Verkabelung vermischen, um das Finanzierungsdebakel seiner Kabelfernsehpläne zu vertuschen.

Jeder Versuch aber, so bestätigen auch bislang loyale Spitzenbeamte im Postministerium, den Verteilnetzen eine zusätzliche Funktion aufzupfropfen, führe nicht nur zu einer »technischen und ökonomischen Krampflösung«, sondern verzögere auch den notwendigen Ausbau des Fernmeldenetzes. Sachkundige Kritik aber ist das letzte, was Schwarz-Schilling hören will. Er verordnet seinen höheren Beamten Seminare zur »Einhaltung des Loyalitätsprinzips«.

Auch für traditionelle Postbereiche bleibt, wegen der Kosten für die Medienkabel,

nicht mehr viel übrig. Allein der Paketdienst bringt jährliche Verluste von einer Milliarde Mark. Postexperten haben errechnet, daß die Telephonteilnehmer jedes Paket mit vier Mark subventionieren.

Bei der Briefpost ist der Service, trotz der übermäßigen Gebühren, immer schlechter geworden. Angeregt von der Behauptung des Postministers, 91 Prozent der Briefe erreichten einen Tag nach Aufgabe ihren Empfänger, wertete die nordrhein-westfälische Verbraucherzentrale im Frühjahr insgesamt 866 eingehende Sendungen nach Poststempeln aus. Ergebnis: Jeder vierte Brief war zwischen vier und neun Tagen unterwegs. Langläufer waren vor allem jene Briefe, die am Freitag aufgegeben wurden - nur in wenigen Fällen kamen sie schon montags an.

Die Ungereimtheiten waren dem Verband der Postbenutzer Grund genug, Dienstaufsichtsbeschwerde bei Kanzler Kohl zu führen. Verbandssprecher Wilhelm Hübner: »Seit Schwarz-Schillings Amtsantritt hat sich die Situation mehr und mehr verschlechtert.«

Dieses Hinweises hätte es nicht bedurft. Kohl weiß, in welcher Bredouille sein Minister steckt.

Zwar hat sich der Kanzler kaum je in die Kabeldiskussion eingemischt. Er ließ seinen Christian von der Post weiterwursteln, selbst dann noch, als im Kanzleramt Warnungen aus der eigenen Partei eintrafen, der Minister verrenne sich im Kabeldschungel.

Kohl reagierte erst, als die Pressekommentare über Schwarz-Schillings Postpolitik so ätzend geworden waren, daß er ernsthaften Rufschaden für die Koalition befürchten mußte.

Vorsorglich rüffelte Kohl seinen Minister vor versammelter Kabinettsmannschaft: Wer immer wieder Negativschlagzeilen produziere, mache seinen Posten nicht unbedingt sicherer. Doch Kohl läßt, einstweilen, keinen der Seinen fallen. Erst letzte Woche versprach er öffentlich seinem Postminister Unterstützung.

Wie einsam es jedoch im Parlament um Schwarz-Schilling geworden ist, zeigte sich in der letzten Bundestagsdebatte vor der Sommerpause.

Die CDU-Führung hatte den Minister vor zwei Jahren ins Post-Amt geholt und große Erwartungen in ihn gesetzt. Nun rührte sich für ihn in der Unionsfraktion kaum noch eine Hand gegen die 25. Rücktrittsforderung der Opposition - Parteifreund Dieter Weirich führt darüber Buch. Weirich, medienpolitischer Fraktionssprecher, bescheinigt dem Minister zwar »ein Computerhirn«, hält ihm aber auch vor, er verbeiße sich zu häufig in Details und verlasse die große Linie.

Andere werden noch deutlicher: Die Aktionen des Ministers, so die Kritik von Unionspolitikern, glichen allmählich einem Amoklauf. Er verstehe es nicht, seine Entscheidungen politisch abzusichern, stoße die eigenen Parteifreunde vor den Kopf und habe durch seinen Eigensinn auch bei der Wirtschaft seinen Sympathiebonus verwirtschaftet.

Der Unionsabgeordnete Josef Linsmeier nannte Schwarz-Schillings Kabelei gar ein »Crash-Programm« - wenn er auch die Schuld an den Kalamitäten der Vorgängerregierung gab.

Der CDU-Abgeordnete und Vorsitzende des Rechnungsprüfungsausschusses Bernhard Friedmann, der dem Postminister die Frankfurter Finanzkontrolleure ins Haus geschickt hatte, forderte, die Kabelpläne müßten »stark zurückgeschnitten werden«. Er mahnte den Minister, die Post solle vor allem die Technik der direktabstrahlenden Satelliten nutzen.

Obwohl der Kanzler nach außen hin die Kabelpläne voll unterstützt, scheinen auch ihm Zweifel ob der ungebremsten Begeisterung für das Kabelfernsehen gekommen zu sein. Auf dem Stuttgarter CDU-Parteitag im Mai warnte er »Neugierige, nun alles Heil von den neuen Medien zu erwarten«. Kohl: »Ich sage es ganz direkt: Wenn ich manche Druckerzeugnisse von manchen Verlagen beobachte, kann ich nicht glauben, daß die Medienlandschaft dieser Verlage anders als die Druckerzeugnisse sein wird, die sie seit Jahrzehnten geliefert haben.«

In der Unionsfraktion, die sich stets bemüht, Geschlossenheit zu zeigen, verbirgt sich die Kritik hinter vordergründiger Solidarität.

Im Post-und Fernmeldeausschuß sowie im Haushaltsausschuß des Bundestags faßten die Koalitionsmehrheiten Ende Juni Alibibeschlüsse: Einerseits wurde der Rechnungshof-Bericht übereinstimmend als »wertvolle Hilfestellung« begrüßt, zum anderen Schwarz-Schillings Kabelprogramm gutgeheißen - mit der Mahnung, »mittel- bis langfristig die Rentabilität sicherzustellen« (Postausschuß).

Mit gewohnter Fixigkeit versteckte sich der Postminister hinter neuen Argumenten und Zahlenspielen, um aus der Schußlinie zu kommen. Vor allem reduzierte er das bis dahin praktisch unbegrenzte Projekt der »flächendeckenden Verkabelung« auf eine Art Schwerpunktprogramm einer nur noch »großflächigen Verkabelung«.

Nun ist es für ihn plötzlich »kaum vertretbar, eine Vollverkabelung der gesamten Bundesrepublik durchführen zu wollen«, obwohl er gerade sie, »die nahezu flächendeckende Verkabelung der Bundesrepublik Deutschland«

(Schwarz-Schilling im Bundestag), immer propagiert hatte.

Es sei »unabdingbar, für locker bebaute Bereiche andere Lösungen zu finden« - so lautet sein neuestes Credo. Damit fallen mindestens zwanzig Prozent der westdeutschen Gebäude, Einzelhäuser in Vororten und ganze ländliche Gebiete, aus dem Kabelvorhaben heraus.

Von der Netzkonzentration auf dichter besiedelte Gebiete erhofft sich Schwarz-Schilling bessere Erträge. Je mehr Wohnungen am sogenannten Übergabepunkt für jedes Haus hängen, um so mehr Gebührenzahler kann er an der einzelnen Strippe abkassieren. Doch gerade in Mehrfamilienhäusern ist die Abneigung der Bewohner gegen den Kabelanschluß, laut Meinungsumfragen, »besonders stark ausgeprägt«.

Im Post- und Fernmeldeausschuß des Bundestages versicherte Schwarz-Schilling sogar, er wolle nur noch Gebiete mit durchschnittlich drei Wohneinheiten pro Übergabepunkt verkabeln lassen. Prompt rechneten SPD-Parlamentarier nach, daß dann praktisch nur noch das Ruhrgebiet und die Zentren einiger anderer Ballungsgebiete für die Verkabelung in Frage kämen.

Schon in Städten wie Bonn, Osnabrück und Bremen würde wegen geringerer Bebauungsdichte die Quote von durchschnittlich drei Wohnungen je Übergabepunkt nicht erreicht. Wäre die verkündete Vorgabe also ernst gemeint, was bei Schwarz-Schilling allerdings nie sicher ist, ließe sich für die Verkabelung der Republik bereits ein Ende auf Raten absehen.

Wie schon früher verfing sich der Minister bei seinem Ausweichversuch gleich wieder in neuen Schlingen. Diesmal geriet er ernsthaft über Kreuz mit der Medienpolitik der CDU-Länder. Im Vertrauen auf die Vollverkabelung hatten die christdemokratischen Ministerpräsidenten ihre Pläne nämlich auf Landesprogramme für Privatveranstalter angelegt. Die erste Rechtsgrundlage für privaten Rundfunk in Westdeutschland, das Mitte Mai verabschiedete niedersächsische Rundfunkgesetz, gestattet beispielsweise die Zulassung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen ausdrücklich nur dann, wenn jedes von ihnen »nach seinem Inhalt auf eine mindestens landesweite Verbreitung ausgerichtet« sei.

Überdies könnten Programm-Macher in Schwarz-Schillings neuerdings verkleinerten Kabelreservaten kaum existieren, weil sie, zum Schutz der Heimatpresse, in lokal begrenzten Kabelnetzen keine Fernsehwerbung akquirieren dürfen. Das schöne neue Mediengebäude der Union mit den vielen Privatprogrammplänen (Ernst Albrecht: »Sechs, sieben, acht, neun, zehn Fernsehprogramme") gerät ins Wanken. Und einigen hundert angefangenen Kabelprojekten steht eine ungewisse Zukunft bevor.

Erfahrene Kabelpraktiker und Neue-Medien-Experten - nicht nur oppositionelle Skeptiker - haben frühzeitig vor blindem Eifer gewarnt, mit dem der Postminister den von ihm vertretenen Interessen nun massiv schadet. »Erst allmählich spricht sich herum«, spöttelte Helmut Lenhardt, Wiener Kabelmanager und früher kaufmännischer Direktor des Österreichischen Rundfunks, daß Kabel- und Steckdosenarbeiten in den Häusern »alles eher als 'Verkaufsschlager' sind«. In anderen Ländern übernehmen gesonderte Operating- und Vertriebsgesellschaften den Programmverkauf und nicht, wie hierzulande, Postbeamte und Installateure.

Lokalprogramme könnten ohne attraktives »Umfeld« auf dem Bildschirm nicht existieren, stellt der Berater des Ludwigshafener Pilotprojekts klar, doch auch die »flächendeckende Verkabelung ... ist wirtschaftlich nicht zu vertreten«, ebensowenig die »rein schematische« Erfassung von Wohngebieten mit höherer Bebauungsdichte. Lenhardt: »Keine Investitionen ohne vorausgegangene Markterkundung.« Doch auch dann, so die »durchschnittlichen österreichischen Erfahrungen«, sei nicht mehr zu erwarten als eine Teilnehmerdichte von 25 bis 30 Prozent - womit so ziemlich alle Fehler und Fehleinschätzungen Schwarz-Schillings beschrieben sind.

Die vielfältigen Gefahren seiner Netzakrobatik hat der Minister selbst frühzeitig erkannt. Die großflächige Verkabelung von Ballungsgebieten, die zuvor von der SPD/FDP-Regierung geplant und dann doch verworfen worden war, sei »technisch wahrscheinlich schon überholt«, gestand er im vorletzten Oktober, sechs Tage nach seiner Vereidigung, Axel Springers »Welt am Sonntag«. Und im SPIEGEL räumte er damals ein, dieses Vorhaben lasse sich »nach dem heutigen Stand nicht mehr« realisieren.

Der Grund war die absehbare Entwicklung der »leistungsfähigeren Glasfaserkabel« (Schwarz-Schilling), die, im Gegensatz zu den herkömmlichen Kupferkabeln, eine Kombination der Programmverteilung mit der Daten- und Geschäftskommunikation ermöglichen. Würde Schwarz-Schilling mit der flächendeckenden Verbreitung der Kupferkabel beginnen, so zeichnete es sich schon damals ab, riskierte er die demnächst fällige Nachrüstung derselben Gebiete in der moderneren Glasfasertechnik - eine gigantische Doppelausgabe.

Selbst aus Japan drang in die deutsche Wirtschaftspresse die Kunde, die Bonner Entscheidung fürs schnell alternde Kupferkabel würde dort, bei japanischen Kommunikationskonzernen, »als langfristig falsche Weichenstellung gewertet«.

Im Handumdrehen stellte Schwarz-Schilling die Weichen dann doch auf seine kurzfristigen Ziele um. Unter dem Erwartungsdruck seiner eigenen Partei, der er fortwährend neue Programme und einen - angeblich von der SPD blockierten - Investitionsstau »von jährlich etwa fünf Milliarden Mark« vorgegaukelt hatte, setzte er sich über alle Zweifel hinweg und brachte die Post auf Kupferkurs.

Die Glasfaserkabel kämen - gegen Ende der achtziger Jahre - zu spät, argumentierte er gegen den technischen Fortschritt. Würde die Post bis dahin warten, wären die an der Verkabelung beteiligten Unternehmen »schon alle pleite gegangen«. Dabei weiß der Fachmann, zuvor Geschäftsführer der familieneigenen Accumulatorenfabrik Sonnenschein,

genau, daß sich die Amortisationspläne für die Kupfernetze bis weit ins kommende Jahrtausend erstrecken. Bis dahin aber ist die Glasfaser-Investition längst fällig.

Die leichtfertige Taktik, die technischfinanziellen Folgen seiner hastigen Medienpolitik einfach auf kommende Generationen abzuwälzen, geht jedoch nicht auf. Zu viele Widersprüche seines Konzepts holen den Kabelminister schon heute ein.

Nicht nur seine eigenen großen Pläne bleiben stecken. Auch die bisher gewonnenen Erkenntnisse bei den Kabel-Pilotprojekten der Bundesländer in Ludwigshafen und München weisen in die gleiche Richtung: Während Post und Handwerk mit der Technik im Verzug sind, hält sich das Publikum hartnäckig zurück. *___Im Ludwigshafener Versuchsnetz mußte die Bundespost, ____weil sie die Kapazität ihrer Kabel überschätzt hatte, ____für die 22 übertragenen Programme einen zweiten ____Kabelstrang nachlegen. Zugleich aber zeigten sich beim ____Stand von rund 5000 Anschlüssen erste ____"Ermüdungserscheinungen« (Ministerpräsident Vogel) der ____Programmanbieter wegen aussichtsloser Defizite. *___In München startete das Pilotprojekt am 1. April mit ____ganzen 500 Teilnehmern und brachte es bislang auf knapp ____2000 Anschlüsse. Die CSU-Landesregierung legte - wie ____inzwischen auch die Mainzer Staatskanzlei - einen ____Gesetzentwurf vor, der durch die Verbreitung der ____Versuchsprogramme über das Testgebiet hinaus einen ____schnelleren Zuschauerzuwachs auch in anderen ____Kabelnetzen des Landes ermöglichen soll. Die Stadt ____München aber zog sich als Programmanbieter zurück, weil ____laut Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD) bei der ____Pilotgesellschaft MPK »nur CSU und Kommerz« das Sagen ____hätten.

Nicht besser steht es um die - von Schwarz-Schilling mit Brio angekündigten - Kooperationsmodelle mit dem Handwerk, mit denen er privatwirtschaftliche Kabelmilliarden mobilisieren wollte. »Die können Sie vergessen«, erklären niedersächsische Rundfunktechniker lakonisch. »Wir sind sehr enttäuscht«, bestätigt auch Innungsobermeister Georg Rauch in Braunschweig, »vor allem ältere Leute kriegen Sie überhaupt nicht ran.«

»Zeigen Sie mir die Handwerker«, wetterte Kollege Reinhold Holtstiege aus dem Münsterland, »die an der Verkabelung bisher 50 000 Mark verdient haben.« Wenn's hoch komme, seien es fünf im ganzen Bundesgebiet.

Holtstiege, CDU-Mann und »jeden Sonntag in der Messe«, wie er bekennt, zieht derzeit bundesweit in einer Seminarreihe für Fernsehtechniker gegen die Kabelpolitik seines Parteifreundes Schwarz-Schilling zu Felde. Die Bundespost, beobachtete der Handwerkssprecher für Satellitenfragen, werde »von der Entwicklung laufend überrollt« - neuerdings von der Satellitentechnik.

Gerade die Verteilung möglichst vieler Fernsehprogramme vom Orbit übers ganze Land wollte sich Schwarz-Schilling für seine Kabelnetze zunutze machen. Aber er machte einen gigantischen Fehler: Er ließ die Zukunftstechnik der Direktsatelliten außer acht, weil die, für den Empfang per Hausantenne konstruiert, ohne die Drähte der Post auskommen.

Statt dessen setzte der Minister auf leistungsschwächere Fernmeldesatelliten, die ohne Großantennen und Kabelnetze nicht empfangbar sind. Die von ihnen abgestrahlten Programme, so sein Konzept, sollten als Lockangebot das Publikum ans Kabel holen.

So gewann er das Zeitungsverlegerkonsortium für ein privates Satellitenprogramm, das derzeit von Ludwigshafen aus versuchsweise über den europäischen Fernmeldesatelliten ECS 1 gesendet wird. Auch zwei britische Programme und das frankophone TV 5 senden derzeit vom Europa-Trabanten, um den Veranstaltern Erfahrungen mit dem Satellitenfernsehen zu bringen. Die Schweiz und Österreich haben sich mit dem ZDF ebenfalls auf ein zusätzliches TV-Programm geeinigt, das von Dezember an über Kabel empfangen werden kann. Zwischen 18 und 24 Uhr werden über einen ECS-Kanal Zusammenschnitte aus den nationalen Programmen der drei beteiligten Länder ausgestrahlt (siehe Kasten Seite 50).

Doch alle Verheißungen einer künftigen Programmvermehrung, berichten landauf, landab die Rundfunkmechaniker, könnten die Kundschaft nicht in genügender Zahl zum Kabelanschluß bewegen. »Diejenigen, die immer alles Neue haben wollen, sind zwar euphorisch«, sagt Fernsehtechniker Knut Schlanert im Weserort Holzminden, »aber das sind vielleicht zehn Prozent - der Rest bleibt skeptisch und rechnet mit steigenden Gebühren.«

Ähnliche Erfahrungen mit den Einheimischen machte auch Fernsehtechniker Peter Jubitz im hannoverschen Vorort Laatzen: »Die fragen nur, wann kommt Luxemburg.« Das mache »allein der Name dieses Senders«, sagt Schlanert, »der entwickelt einen regelrechten Sog«.

Radio Luxemburg (RTL) aber wird von Schwarz-Schillings Fernmeldesatelliten

überhaupt nicht senden. Das deutschsprachige RTL-Fernsehen, zu 40 Prozent mitproduziert von der UFA, der Programmgesellschaft von Bertelsmann und Gruner + Jahr, startet Anfang 1986, fast zeitgleich mit dem deutschen TV-Sat, vom französischen Direktsatelliten TDF 1. Die Fernsehmechaniker im Lande brauchen ihren Kunden dafür nur noch die 60- oder 90-Zentimeter-Antenne aufs oder ins Haus zu stellen - postgebührenfrei.

»Und dann«, sagt TV-Techniker Holtstiege aus dem westfälischen Havixbeck, der sich im Garten schon seine eigenen Satellitenantennen gebastelt hat, »wenn die Direktsatelliten da sind, kommt die Nachfrage explosionsartig.«

Die baugleichen Direktsatelliten TV-Sat (deutsch) und TDF (französisch) werden von der deutschfranzösischen Eurosatellite GmbH in München hergestellt. Je fünf Programmfrequenzen hat eine internationale Postkonferenz schon 1977 an alle westeuropäischen Länder vergeben.

Doch der deutsche TV-Satellit wurde vom Postministerium, dem nach dem Start im Herbst 1985 mit der Europarakete »Ariane« der Sendebetrieb zufällt, regelrecht totgeschwiegen - als lästige Konkurrenz fürs Kabel. »Die hohen Kosten und die zunehmende Verkabelung«, hieß es in einem Vermerk des Fernmeldetechnischen Zentralamts vom Januar, ließen »einen Trend in Richtung Fernmeldesatelliten vermuten«. Damit war der bürgernahe TV-Sat für die Post so gut wie abgemeldet.

Der erste Direktsatellit, TV-Sat 1, wird zwar vom Bundesministerium für Forschung und Technologie vorfinanziert; der anfangs für nächsten Sommer vorgesehene Start verzögert sich, wegen eines dazwischen kommenden Forschungssatelliten für den Halleyschen Kometen, auf September kommenden Jahres. Für einen Reservesatelliten aber, der für die längerfristige Betriebssicherheit des Direktsatelliten-Systems notwendig ist, liegt bei Eurosatellite noch keine Nachbestellung vom dafür zuständigen Postministerium vor.

Der Vorstoß von Radio Luxemburg nach Deutschland via TDF 1 bewog den Postminister immerhin, den deutschen Zwilling wenigstens zur Kenntnis zu nehmen. In den Regierungsbericht »Informationstechnik« vom März dieses Jahres ließ er den dürren Satz einrücken, in die Pläne zur Schaffung von mehr Funk- und Fernsehprogrammen werde die

Bundesregierung neben der Verkabelung »auch die Möglichkeiten von direkt strahlenden Rundfunksatelliten einbeziehen«.

Doch mittlerweile versucht Schwarz-Schilling, die Sendeleistung der direktstrahlenden Satellitenkanäle so zu verringern, daß auch für sie größere Antennen und Kabelnetze zum Empfang erforderlich werden. Ein »Satellitenempfang durch jedermann«, kritisierte der Technische Direktor des Bayerischen Rundfunks, Frank Müller-Römer, würde dann »nur in geringem Umfang möglich sein«.

Die Ministerpräsidenten, die eigentlich allein für die Rundfunk- und Fernsehpolitik in der Bundesrepublik zuständig sind, haben die Winkelzüge des Postministers nun offenbar satt. In einem Papier »zur Neuordnung des Rundfunkwesens« einigten sie sich Ende Juni, den TV-Sat praktisch vom Start weg voll für den Programmbetrieb zu nutzen: »Alle fünf Kanäle auf dem TV-Sat« sollen danach »für Fernsehübertragungen zur Verfügung stehen«, und zwar für private und öffentlich-rechtliche Veranstalter oder Verbund-Gesellschaften von beiderlei Art. Einigen sich die Länder nicht bis Ende des Jahres auf die Programmverteilung, dürfen die SPD-Ministerpräsidenten zwei und die CDU/CSU-Ministerpräsidenten drei Kanäle getrennt vergeben.

Viel mehr an Programmen, vermuten Marktkenner inzwischen, würde das bundesdeutsche Werbeaufkommen für Fernsehreklame wohl ohnehin nicht hergeben. Hinzu werden jedoch zahlreiche fremdsprachige und das eine oder andere deutschsprachige Auslandsprogramm - wie schon das deutsche Luxemburg-Programm über TDF 1 - kommen, vielleicht auch mehrsprachige Europaprogramme.

Als drittes Land nach der Bundesrepublik und Frankreich hat Schweden bei der Eurosatellite GmbH einen Direktsatelliten ("Tele X") bestellt. Im ganzen kann das künftig über Hausantennen empfangbare Satellitenangebot die Nachfrage nach Kabelanschlüssen schnell zum Erliegen bringen.

Immer mehr Fernsehtechniker in deutschen Landen beginnen mittlerweile, sich auf den TV-Sat und den TDF einzustellen. Meister Holtstiege in Havixbeck tüftelt an integrierten Empfangsantennen für seine Kunden.

Er fürchtet schon, daß die westdeutschen Antennenproduzenten geeignete Empfangsanlagen nicht rechtzeitig herausbringen würden. Um ihre Geschäftsbeziehungen zur Post nicht zu verderben, so sein Argwohn, hielten sie sich - mit Rücksicht auf die postalischen Kabelinteressen - bei der Antennenentwicklung für Direktsatelliten zurück. Die Zulassungspflicht durch das Fernmeldetechnische Zentralamt, so Holtstiege, sei schließlich »das Mittel, alles vom Markt zu halten, was der Post nicht gefällt«.

Doch inzwischen sprachen auch Herren renommierter Antennenfabriken bei dem erfinderischen Handwerksmann vor und zeigten sich an seinen Konstruktionen sehr interessiert. Holtstiege ist bereits so weit, daß er sogar die Programme von Fernmeldesatelliten mit selbstgebauten Jedermann-Antennen auf den Bildschirm zaubert bis hin zum sowjetischen »Horizont«. Nicht einmal dafür, meinen die Antennen-Handwerker, werde man in Zukunft noch Postkabel brauchen.

So holen nach der medienpolitischen Begeisterung der Wende den Postminister die Kräfte ein, auf die er sich bei seinem Kabelabenteuer immer berufen hat: die Mechanismen der Marktwirtschaft.

CDU-Leute mit mehr Augenmaß als Schwarz-Schilling warnten rechtzeitig, aber vergeblich vor den »erheblichen Investitions- und Finanzierungsrisiken der Breitbandverkabelung und des Kabelfernsehens«. Das größte Hemmnis, schrieb der niedersächsische Wirtschaftsminister Birgit Breuel schon im Frühjahr 1983 in eine Kabinettsvorlage hinein, seien »die bislang mangelnde Nachfrage und die Ungewißheit über die zukünftige Nachfrage« der Haushalte nach dem Kabelanschluß.

Landesherr Ernst Albrecht, beflügelt vom Eifer gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie sein Parteifreund Schwarz-Schilling, wollte nicht hören und stürmte mit seinem Postminister in den »Kabelsalat« (ein Postministerialer). »Das Debakel ist da«, sagt ein hannoverscher CDU-Abgeordneter, »es hat nur noch keiner gemerkt.«

Vor allem nicht der Betroffene. »Die Bundesregierung sieht keinerlei Anlaß«, beteuerte Christian Schwarz-Schilling im Bundestag, »von dieser Politik abzugehen.«

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