Islam Kalif oder Ketzer
Schließt euch meinem Dschihad an, vernichtet die ungläubigen Angreifer und ihre arabischen Mietlinge«, forderte Iraks Staatschef Saddam Hussein von den Moslems der Welt. Nach dem Fernsehauftritt des vom Baath-Sozialisten zum Islam-Streiter gewandelten Diktators verlas ein grün uniformierter Ansager einen gemeinsamen Aufruf der schiitischen und sunnitischen Islam-Gelehrten des Irak zum »Heiligen Krieg« - das hatte es in der Geschichte dieses Staates noch nie gegeben.
»Befreit Mekka und Medina aus den Klauen der Ketzer«, hieß es da, »verjagt die amerikanischen Glaubensfeinde aus dem Hedschas und dem Nadschd.« Gemeint waren die beiden wichtigsten Landesteile Saudi-Arabiens, das als Staat für die irakischen Medien offenbar schon gar nicht mehr existiert.
Unmittelbar vor Ablauf des Golfultimatums hatte der Herrscher am Tigris 250 Islam-Theologen aus aller Welt nach Bagdad geladen. Unterstützt von koranfesten Funktionären der Baath-Partei, stellten sie fest, daß Saddams Irak »der Vorkämpfer für Ehre und Freiheit aller Moslems« sei.
Ihre Argumente bezogen die Religionswächter aus dem heiligen Buch ihres Glaubens. Den Kampf gegen Saddams Widersacher billigten sie mit der Koran-Sure 2, Vers 191: »Und tötet sie, wo immer ihr auf sie stoßt.« Der Prophet hatte seinerzeit die Feinde der neuen Religion im Visier gehabt.
Mit dem Koran in der Hand und mit Hilfe der Ulama, der Religionsgelehrten, haben sich aber auch Saddam-Gegner gewappnet. Sajjid Tantawi, als Mufti in Ägypten oberste Instanz in islamischen Rechtsfragen, erklärte den Iraker zu einem Abtrünnigen vom wahren Glauben. Die Vergewaltigung von Kuweit habe den Herrscher vom Tigris zum »Wegelagerer« gemacht. Darauf stehe im Islam der Tod.
Auf einer islamischen Gegenkonferenz im saudiarabischen Mekka rief Scheich Tantawi denn auch zum Heiligen Krieg gegen Saddam auf - Dschihad contra Dschihad, Avignon wider Rom auf islamisch.
Scheich Gadd el-Hakk Ali Gadd el-Hakk, als Großimam der Kairoer Azhar-Universität Repräsentant der bedeutendsten Stätte islamischer Gelehrsamkeit, hält den irakischen Alleinherrscher für irregeleitet. »Was Saddam Hussein getan hat, ist aus islamischer Sicht ein Verbrechen«, befand der 73jährige im Kairoer Staatsrundfunk. Ähnlich sehen es die Azhar-Studenten und die Zöglinge der 4500 Azhar-Schulen am Nil.
Ägyptens beliebter »Fernsehscheich« Mutawalli Schaarawi und eine Gruppe prominenter ägyptischer, saudiarabischer und sogar palästinensischer Ulama halten auch die Militärhilfe der Amerikaner vom Koran her für vertretbar. »Der Prophet hat mehrmals die Hilfe Ungläubiger, sogar die der Juden in Anspruch genommen«, behauptete der wortgewandte Azhar-Absolvent.
Je nach der politischen Couleur ihrer Herrscher verfärben sich auch die Argumente der meisten Islam-Prediger in der islamischen Welt. Der Koran muß für alle herhalten. Darüber zerbrach sogar die in Kairo beheimatete militante Moslembruderschaft.
Ihr Chef, Scheich Hamid Abu el-Nasr, nannte das Verbrechen an Kuweit zwar eine »Sünde«. Doch um die auf Konfrontation mit dem Westen erpichten Moslems nicht zu verprellen, teilte _(* Auf der internationalen ) _(Islam-Konferenz am 9. Januar in Bagdad. ) der pressescheue »Murschid« ("Der den rechten Weg weist") mit, »die Anwesenheit nichtislamischer Truppen auf islamischer Erde« sei eine »Katastrophe«.
Die Moslembrüder Jordaniens und Palästinas sind voll auf Saddam-Kurs eingeschwenkt, ebenso ihre syrischen Genossen, die nicht vergessen können, daß das Damaszener Baath-Regime 1982 in der syrischen Stadt Hama ein Blutbad unter moslemischen Fundamentalisten anrichtete und die bloße Mitgliedschaft in der Organisation mit der Todesstrafe ahndete.
Saddam Husseins Wunschtraum, eines Tages Kalif aller Moslems zu werden, hat wohl wenig Chancen auf Erfüllung. Nicht nur deswegen, weil die Islamische Republik Iran dem Todfeind von gestern nicht traut und als schiitisch-islamisches Staatswesen das Kalifat ablehnt. Die gemeinsame Klammer der gegen die »Ungläubigen« demonstrierenden Moslems, von denen viele ihren sozialen Frust auf der Straße abreagieren, ist einfach zu schwach, um die heterogene islamische Welt zu einer großen Gemeinschaftsaktion zusammenzuschmieden. Das hatten nicht einmal im Mittelalter die Kreuzzüge geschafft.
Die auflagenstärkste Wochenzeitung der islamischen Integristen, die in Kairo erscheinende, bislang regimefeindliche El-Nur ("Das Licht"), überraschte ihre Leserschaft in ihrer letzten Ausgabe mit dem Verdikt: »Saddams Raketen sind Verrat und eine Verschwörung gegen die islamische Gemeinschaft.«
Und der als Regime-Kritiker renommierte ägyptische Theologe Mohammed el-Ghasali wagte angesichts des islamischen Wirrwarrs eine düstere Diagnose: »Saddams Krieg hat dem Islam einen Dauerschaden zugefügt.«
* Auf der internationalen Islam-Konferenz am 9. Januar in Bagdad.