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Kalifornien ist weit

aus DER SPIEGEL 21/1947

Thomas Mann umkreist Trümmer-Deutschland. Er besucht Europa. Er sprach in London über sein Lieblingsphänomen Nietzsche, den er ein »unpolitisches Genie«, nannte. Er feierte den englischen Sozialismus und lehnte Churchills Europa-Pläne ab. Er nimmt in Zürich am Kongreß des PEN-Clubs teil und will auch nach Italien und Frankreich reisen. Das Land zu besuchen, das seine Heimat war und das ihn in die Emigration trieb, hat er sich noch nicht entschlossen.

Vor Jahresfrist hatte er an Walter von Molo geschrieben: »Bin ich aber einmal dort (in Europa), so ahnt mir, daß Scheu und Verfremdung, diese Produkte bloßer 12 Jahre, nicht standhalten werden gegen eine Anziehungskraft, die längere Erinnerungen, tausendjährige, auf ihrer Seite hat.« Nun aber hat er das Gefühl, daß er »unter dem Schutz der alliierten Bajonette nach Deutschland käme«, und der Unentschlossene will den Besuch verschieben, »bis mit den Deutschen besser zu reden sein wird«.

Ganz nach Deutschland zurückzukehren hat der nunmehr 72jährige schon damals in dem gleichen Brief abgelehnt. »Englisch sprechende Enkel wachsen um mich auf« und: »Ich habe mir an dieser Zukunft atmenden Küste mein Haus errichtet, in dessen Schutz ich mein Lebenswerk zu Ende führen möchte - teilhaft einer Atmosphäre von Macht, Vernunft, Ueberfluß und Frieden.«

Auch Worte des Verstehens und der Zusammengehörigkeit fanden sich in der Antwort, aber sie waren meistens unter die Redaktionstische gefallen. Und der Schriftsteller Frank Thieß machte sich zum Sprecher des nationalen Unwillens, den die Deutschen ihrem berühmten Dichter - amerikanische Stimmen nennen ihn den »ersten Schriftsteller der Welt« entgegenbrachten. Viele, weil sie ein schlechtes Gewissen hatten, viele aber auch, weil sie fanden, Thomas Mann urteile seit etlichen Jahren über Dinge, die man aus der Ferne nicht übersehen könne. »Kalifornien ist weit«, sagte Thomas Mann in London, als er nicht über Politik, sondern über den deutschen Schriftstellernachwuchs befragt wurde.

Als er über die Möglichkeit eines Besuches in Deutschland sprach, erwähnte er die Tatsache, daß solch ein Besuch ja doch notgedrungen politischen Charakter haben würde. Der ehemalige Simplizissimus-Redakteur war aber eigentlich immer ein unpolitischer Mensch, und wenn er gegen Ende des letzten Krieges sein eminent kluges politisches Bekenntnisbuch »Betrachtungen eines Unpolitischen« nannte, so war dies nicht die (manchmal spürbare) Koketterie des Schriftstellers.

»Mich hat der Teufelsdreck, der sich Nationalsozialismus nennt, den Haß gelehrt«, sagte Thomas Mann im Rundfunk. Auch aus seinen jüngsten Aeußerungen klingt, da man dem feinnervigen Psychologen Unverständnis eigentlich nicht zutrauen kann, ein Unterton von Haß. »Die Deutschen sind durch und durch egoistisch«, erklärte der Dichter der »Buddenbrooks« dem Vertreter des »Daily Herald«, »sie empfinden noch einen gewissen Stolz bei der größten Tragödie der - Weltgeschichte, nämlich ihrer eigenen«. Sie seien grundsätzlich nicht dazu bereit gewesen, mit den Alliierten zusammenzuarbeiten.

Thomas Mann hat den Deutschen verziehen, daß ihm der Ehrendoktor der Universität Bonn aberkannt wurde. Aber er hat ihnen nicht verziehen, daß er durch sie an eine Rolle gelangt ist, die ihm nicht liegt: die des politischen Mahners. Er hat sich häufig genug dagegen verwahrt, den »praeceptor Germaniae« zu spielen.

Er wollte ein deutscher Dichter und Weltbürger sein, so wie er ihn in der Gestalt seines neuen Buches »Lotte in Weimar« dargestellt hat.

Immer hat Thomas Mann seinem Volke die Wahrheit gesagt. Aber er hat sie nicht immer in demselben düsteren Licht gesehen, das der Nationalsozialismus über Deutschland zurückließ. Noch im Jahre 1919 schreibt der 50jährige »Ich bekenne mich tief überzeugt, daß das deutsche Volk die politische Demokratie niemals wird lieben können, aus dem einfachen Grunde, weil es die Politik selbst nicht lieben kann, und daß der viel verschrieene 'Obrigkeitsstaat' die dem deutschen Volk angemessene, zukömmliche und von ihm im Grunde gewollte Staatsform ist und bleibt.«

Und selbst nach dem Hitler-Krieg unternahm er es, wie er selbst an Walter von Molo schreibt, vor amerikanischen Zuhörern das »böse Deutschland« als das »fehlgeschlagene gute« zu erklären, »das gute in Unglück, Schuld und Untergang«. Die Theorie von den beiden Deutschland, einem guten und einem bösen, lehnte Thomas Mann ab. Er habe alles auch in sich verspürt. »Das war ja wohl das, was man eine Solidaritätserklärung nennt«, heißt es in dem Brief an Molo.

Allerdings hat Thomas Mann das »böse Deutschland« ziemlich zeitig im Visier gehabt. Am 17. Oktober 1930 hielt er im Beethoven-Saal zu Berlin seine berühmte »Deutsche Ansprache«, die er im Untertitel einen »Appell an die Vernunft« nennt. »Ist das Wunschbild einer primitiven, blutreinen, herzens- und verstandesschlichten Hacken-zusammenschlagenden, blauäugig gehorsamen und strammen Biederkeit auch nach zehntausend Ausweisungen und Reinigungsexekutionen zu verwirklichen?« fragte er.

»Politik wird zum Massenopiat des Dritten Reiches, und die Vernunft verhüllt ihr Antlitz.« Daneben finden sich Sätze, die Thomas Mann heute nicht mehr sagt, obwohl sie tausendfach mehr Gültigkeit erlangt haben. Beispielsweise: »Es heißt wohl zuviel verlangt, von einem wirtschaftlich kranken Volk ein gesundes politisches Denken zu fordern.«

Es war klar, daß die also befehdeten Nationalsozialisten Thomas Mann haßten. Aber es konnte ihnen nicht angenehm sein, wenn der große Schriftsteller emigrierte. So versuchten sie zu paktieren. Und es hat seinen Grund, wenn Mann den Deutschen immer wieder den Pakt mit dem Teufel vorwirft, und wenn er von dem Zwiespalt in der eigenen Brust berichtet. Er selbst schwankte einige Zeit, ob er sein schönes Münchner Heim wirklich aufgeben oder ob er nicht doch lieber paktieren solle.

Er war zur Erholung (und zur Bedenkzeit) nach Küßnacht in die Schweiz gefahren und wurde erst von seinen Kindern Klaus und Erika bestimmt, seine einzig bestimmende »Tat« zu tun: zu emigrieren. Es war das erste, einmalige und klare »Nein« seines Lebens, und er ist ihm treu geblieben bis zum heutigen Tag. Der deutsche Weltbürger wurde amerikanischer Bürger. Er will es bleiben.

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