USA Kalter Kaffee
Charles Arthur Bowsher aus Elkhart in Indiana, 54, staatlich geprüfter Steuerberater, ist seit ein paar Wochen der heimliche Herrscher der Vereinigten Staaten.
Denn kraft seines Amtes als oberster Rechnungsprüfer und dank eines kurz vor Weihnachten verabschiedeten Gesetzes bestimmen nicht mehr Präsident oder Kongreß, was läuft in Amerika, sondern der vor fünf Jahren von Ronald Reagan ernannte »Comptroller General« Charles Bowsher.
Das kam so: Weil weder Reagan noch der Kongreß einen Weg finden konnte, das gigantische Haushaltsdefizit von derzeit etwa 220 Milliarden Dollar abzubauen, ersannen die beiden Senatoren Phil Gramm und Warren Rudman, beide Republikaner wie der Präsident, ein Gesetz, mit dem das Budget innerhalb von sechs Jahren ausgeglichen werden soll.
Für jedes Jahr bis 1991 legten sie eine Defizit-Obergrenze fest, die unter keinen Umständen überschritten werden darf. Zu erreichen wäre dieses Ziel durch eine Erhöhung der staatlichen Einnahmen oder durch drastische Kürzungen in fast allen Haushaltstiteln.
Gestrichen werden soll nach einem einfachen Schlüssel: eine Hälfte aus dem Verteidigungshaushalt, die andere aus den restlichen Etats.
Charles Bowsher wacht nicht nur darüber, daß die Grenze eingehalten wird. Er legt auch, sofern sich Kongreß und Präsident nicht einigen können, jedes Jahr auf Dollar und Cent genau fest, wieviel den einzelnen Ressorts abgeknapst wird. Das »Wall Street Journal« nannte deswegen den Mann, den bis vor kurzem kaum jemand kannte nur halb im Scherz »Präsident Bowsher«.
Ronald Reagan, der das Gramm-Rudman-Gesetz zunächst gepriesen und auch unterzeichnet hatte, möchte es jetzt am liebsten für verfassungswidrig erklären lassen oder doch mit einer Vielzahl von Ausnahmeregelungen unterlaufen. Auch im Kongreß erkennen immer mehr Abgeordnete und Senatoren, daß sie nicht ein Patentrezept ersonnen, sondern ein »Monster« ("'Washington Post") gezeugt haben.
Allein aus dem laufenden Haushalt müssen nach dem Gesetz noch einmal 11,7 Milliarden Dollar gestrichen werden. Das ist, so der demokratische Vorsitzende des Haushaltsausschusses, William H. Gray, »nur ein Appetithäppchen«. Schon 1987 dürfte das Budget nach Gramm-Rudman allenfalls mit einem Defizit von 144 Milliarden Dollar abschließen - was zu Zwangskürzungen von 60 Milliarden Dollar führen könnte.
Am schlimmsten würde es Caspar Weinberger treffen. Das Budget-Gesetz so befand der Demokrat Les Aspin, Vorsitzender des Streitkräfteausschusses im Repräsentantenhaus, werde die bisherige Verteidigungs- und Rüstungspolitik der Regierung Reagan ins Gegenteil verkehren: »Wir steigen den Berg wieder hinab, den wir erklommen haben.«
Tatsächlich führen schon die für 1986 vorgeschriebenen Kürzungen dazu, daß der Wehretat zum erstenmal seit 1973 zurückgehen wird, auf 285 Milliarden Dollar gegenüber 292 Milliarden 1985.
Im kommenden Jahr, so Aspin werde die Haushaltsguillotine den Verteidigungshaushalt gar auf unter 260 Milliarden drücken - 17 Prozent weniger, als Präsident und Kongreß vereinbart hatten. Und am Ende dieses Jahrzehnts würden dem Pentagon weniger Mittel zur Verfügung stehen als zehn Jahre zuvor, dem Finale der Amtszeit Jimmy Carters. Dem hatte Reagan im Wahlkampf immer vorgeworfen, er schwäche Amerikas Verteidigungskraft, weil er dem Militär nicht genügend Mittel zur Verfügung stelle.
Zwar konnten Reagan und sein Verteidigungsminister jetzt noch einmal verhindern, daß ihre Lieblingsprojekte - etwa die MX-Rakete und vor allem SDI - von den Zwangskürzungen betroffen werden. Sie streichen statt dessen lieber bei Wartung, Ersatzteilen und Munition. Im kommenden Jahr aber wäre der Einschnitt so tief, daß kein Einzelprogramm mehr ausgespart bleiben könnte.
Doch Reagan verkündet unbeirrt, er werde für 1987 eine Erhöhung des Verteidigungsetats um inflationsbereinigte drei Prozent fordern - ausgehend von der ursprünglich einmal beschlossenen Zahl von 302,5 Milliarden für 1986.
Kommt es nicht zu Steuererhöhungen, läßt sich das nur durch die radikale Abschaffung traditioneller Bundeshilfen bewerkstelligen, durch Privatisierung von Bundesbesitz, tiefe Einschnitte auf dem sozialen Sektor und durch höhere Gebühren für Dienstleistungen des Bundes.
Danach würden zum Beispiel - und so steht es auch in Reagans Haushaltsentwurf für 1987 - die Bahngesellschaft Amtrak eingestellt, die Krankenhilfe für Arme und Alte kräftig beschnitten, die beiden Flughäfen der Hauptstadt Washington zum Verkauf feilgeboten und die Gebühren für die veterinärärztliche Beschau von Fleisch und Geflügel drastisch erhöht werden.
Daß der Präsident damit im Kongreß nicht durchkommt, ist gewiß. Les Aspin: »Das ist kalter Kaffee, aus, vorbei, gestorben, begraben.«
Nun, so spekulieren viele Abgeordnete, müsse Reagan endlich sein kategorisches Nein zu Steuererhöhungen aufgeben. Die Einführung einer Mehrwertsteuer von zehn Prozent etwa brächte allein schon Mehreinnahmen von 112 Milliarden Dollar.
Zwar will Reagan von solchen Plänen noch nichts wissen. Am Ende aber wird er sich, so der demokratische Senator Bill Bradley, »entscheiden müssen, was wichtiger ist: das Pentagon zu retten oder die Steuersätze niedrig zu halten«.
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BREMSE FÜR DIE HOCH RÜSTUNG Reagans Vorschlag geplante Kürzung Verteidigungsetat in Milliarden Dollar zu Preisen von 1986
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