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FLUGRECHTE Kampf um den Luftraum

aus DER SPIEGEL 23/1956

Am Mittwoch der vorletzten Woche, einen Tag bevor der bundesdeutsche Außenminister zu einem Höflichkeitsbesuch nach Kopenhagen und Oslo abreiste, ließen sich die in der provisorischen Bundeshauptstadt akkreditierten Vertreter Skandinaviens gleichzeitig im Auswärtigen Amt melden: Schwedens Botschafter Ole E Jöhdahl, Norwegens Botschafter Peter Anker und der dänische Botschaftsrat Janus Paludan.

Einmütig stellten sie dem Heinrich von Brentano quasi ein Ultimatum: »Die Bundesrepublik hat das Luftverkehrsabkommen mit den skandinavischen Staaten paraphiert, nun soll sie es auch ratifizieren.«

Es war ein peinlicher Auftakt für die Skandinavienreise des Ministers.

Die Demarche der Skandinavier war der vorläufig letzte Vorstoß in einem Kampf um den deutschen Luftraum, der seit Monaten - unbemerkt von der Öffentlichkeit

- zwischen den großen europäischen Fluggesellschaften ausgetragen wird: Es geht um deutsche Startplätze für den gewinnbringenden Transatlantikflug.

Als die Pariser Verträge am 5. Mai 1955 in Kraft traten, wurde der Bundesrepublik auch die Lufthoheit übertragen. Die Bundesregierung stand damit vor der Aufgabe, die Tätigkeit der ausländischen Luftverkehrsgesellschaften, denen die Besatzungsmächte bis dahin weitgehend Freizügigkeit im westdeutschen Raum gewährt hatten, in zweiseitigen Abkommen vertraglich neu zu regeln.

Bei dem heutigen Stand der Fliegerei -

bedingt durch die hohen Unterhaltungskosten des technischen Apparates einer Fluggesellschaft - ist die kommerzielle Luftfahrt kein leichtes Geschäft mehr. Die einzige Quelle, die den Luftfahrern noch ein wahrhaft gutes Stück Geld einbringt, ist der Liniendienst auf den Langstrecken. Für die europäischen Luftverkehrsgesellschaften - sind das vor allem die Routen über den Nord- und Südatlantik. Die Kurzstrecken hingegen, insbesondere die Inlandlinien in den europäischen Ländern, sind zu Zuschuß-Unternehmen geworden.

In Europa sind mithin die interessierten Parteien beim Aushandeln neuer zwischenstaatlicher Verträge in erster Linie

darauf erpicht, sich Flugrechte in denjenigen Ländern zu sichern, die Sprungbrett und potentieller Markt für das Transatlantik-Geschäft sind. Der europäische Nachbarschaftsverkehr ist dagegen von sekundärem Interesse.

Im November vorigen Jahres setzten sich nun in Bonn die Vertreter der Bundesregierung mit den Schweden, Norwegern und Dänen an einen Tisch, um sowohl die Flugrechte der von den nordischen Nachbarstaaten gemeinsam betriebenen »Scandinavian Airlines« (SAS) über Westdeutschland als auch die der »Deutschen Lufthansa« über Skandinavien auszuhandeln.

Was Wunder, daß alsbald das große Feilschen um das Geschäft im Transatlantik-Verkehr anhob. Die SAS fliegt Nordamerika zehnmal wöchentlich über Hamburg und Südamerika zweimal in der Woche über Frankfurt an. Bei jeder Zwischenlandung in Deutschland laden die Maschinen

gutzahlende Passagiere und einträgliche Fracht zu.

Hätten die Skandinavier den Deutschen Lande- und Zuladerechte in einigen Städten anbieten können, die ebensoviel Passagiere bringen wie Hamburg oder Frankfurt, so wäre man schnell zu einer Einigung gekommen und hätte die Skandinavier auch weiter an die ergiebigen Weidegründe Hamburg und Frankfurt herangelassen. Indes: Kopenhagen, Stockholm und-Oslo sind für den Transatlantikdienst Wald- und Wiesenstädtchen.

Auch das Angebot der Nordländer, der »Lufthansa« das Befliegen innerskandinavischer Strecken oder der Ostroute nach Helsinki zuzugestehen, konnte die Deutschen nicht reizen. So war die bundesdeutsche Delegation schwerlich gewillt, der SAS die fetten Pfründe zu belassen. Gleichwohl, im innerdeutschen Verkehr sollte sie weiter hin und her kurven.

Nach Wochen, in denen beide Partner des Verhandelns müde geworden waren,

kam schließlich doch noch der Entwurf eines Abkommens zustande. Die SAS sollte Hamburg wie Frankfurt weiterhin anfliegen können.

Die Verhandlungspartner trennten sich erleichtert, nicht ohne vorher zu protokollieren: »Die Delegationen stellen völlige Übereinstimmung fest und kommen überein, ihren Regierungen die Annahme des Abkommens zu empfehlen.«

Es wäre nun Sache des Verkehrsministers gewesen, das Abkommen dem Bonner Kabinett zur Genehmigung vorzulegen. Aber Minister Seebohm, der sich in der Attitüde eines Förderers der neuen deutschen Luftflotte gefällt, empfand es als eine Zumutung, diesem Vertrag - der den Skandinaviern einträgliche Privilegien ohne entsprechende Gegenleistungen zugestand

- zur Gesetzeskraft zu verhelfen. Mithin

waren die Bemühungen, sich mit den nördlichen Nachbarn diplomatisch zu einigen, endgültig gescheitert.

Was dann noch arrangiert wurde, war ein letzter, von vornherein aussichtsloser Schlichtungsversuch. SAS und »Lufthansa' wurden angehalten, ein direktes Gespräch zu führen.

Hatten die Regierungsdelegationen Wochen gebraucht, um sich die Fruchtlosigkeit ihrer Anstrengungen bescheinigen zu lassen, - die Luftfahrer wußten es nach vier Tagen. Die SAS-Leute wären bereit gewesen, die Frequenz auf der Hamburg-Nordamerika-Route von zehn Flügen auf sieben je Woche einzuschränken. Die Lufthanseaten wollten allenfalls von vier Flügen etwas wissen und machten,zudem zur Bedingung, daß Südamerika über Frankfurt wöchentlich nur einmal angesteuert wird. Das erschien der SAS unannehmbar, eingedenk der Luftweisheit, daß eine Lockerung der Flugdichte den sicheren Tod einer Linie bedeutet.

Auf einen großzügigen Kompromiß aber konnten sich die deutschen Verhandlungspartner nicht einlassen. Sie waren durch Geheimabsprachen gebunden, deren Ziel es ist, die Skandinavier so weit wie möglich aus dem Himmel über Deutschland zu verdrängen.

Zuvor nämlich hatte die Bundesrepublik schon mit den USA, mit Großbritannien und mit Frankreich neue Verträge über die gegenseitig zu gewährenden Luftverkehrsrechte abgeschlossen. Was dabei speziell in den Abkommen mit den Vereinigten Staaten und mit Frankreich für die eben wieder erstandene »Lufthansa« heraussprang, erregte alsbald den Neid anderer Luftfahrer-Nationen. Die Amerikaner öffneten der »Lufthansa« den allseits begehrten inneramerikanischen Markt, und die

sonst so unnachgiebigen Franzosen gewährten den deutschen Transatlantikmaschinen sogar großzügig das Recht, auf ihrer Route über den Nordatlantik den Verkehrsknotenpunkt Paris anzufliegen um dort Passagiere und Fracht an Bord zu nehmen oder auszuladen.

Die angesehene Fachzeitschrift für Weltluftfahrt »Interavia« kommentierte die überraschenden Zugeständnisse: »Fast muten diese Erfolge wie Zauberei an:

Hatten die Bonner Herren in ihrem Reisegepäck etwa Aladins Wunderlampe, an der man nur zu reiben braucht, um jeden

Wunsch erfüllt zu sehen? ... was steckt eigentlich hinter den Verträgen?«

In der Tat hat es zumindest mit einem dieser Verträge eine besondere Bewandtnis: Neben dem Abkommen, das am 4. Oktober 1955 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der französischen Republik abgeschlossen wurde, besteht eine geheime Absprache.

Mithin rückt die scheinbare Großzügigkeit der Franzosen schlagartig in ein anderes Licht. Mehr noch: Die geheime Nebenabsprache offenbart, daß die »Lufthansa« im Begriff ist, in einen mit Heftigkeit und

Raffinesse geführten kalten Krieg der internationalen Luftfahrtgesellschaften verwickelt zu werden. Die SAS-Affäre ist das Vorgeplänkel.

Die vielbeneidete Konzession für die »Lufthansa«, im Nord- und Südatlantikverkehr Paris anfliegen zu dürfen, wurde nach dem streng vertraulichen Agreement mit schwerwiegenden Gegenleistungen erkauft:

- Der Linienverkehr von der Bundesrepublik über Paris nach New York wird gemeinsam mit der »Air France« betrieben, die Franzosen werden am Geschäft beteiligt.

- Die Bundesrepublik muß sich dafür verwenden, daß auf der Südamerika-Route außer der »Air France«, keine anderen ausländischen Fluggesellschaften das Recht zur Zwischenlandung mit Passagier- oder Frachtumschlag in Westdeutschland erhalten.

- Die Bundesrepublik muß anstreben, daß keine dritte Verkehrsgesellschaft auf der Linie Frankreich-Südosteuropa die Häfen von Frankfurt oder München zwecks Passagier- oder Frachtumschlag ansteuern darf.

Mit diesen Zugeständnissen hoffen die Franzosen, einen Schlag gegen die Konkurrenz zu führen: gegen die skandinavische SAS, die holländische KLM, die schweizerische »Swissair« und die belgische »Sabena«. Diesen Gesellschaften, die mangels eines ausreichenden Passagier - und Frachtaufkommens in ihren Heimatländern mehr denn je auf gewerbliche Transitflüge angewiesen sind, soll das Befliegen der Langstrecken nach Südamerika und dem Nahen Osten versalzen werden.

Damit nicht genug: Nachträglich hatte der französische Vertragspartner an Bonn noch das Ansinnen gestellt, dritte Gesellschaften auch vom Nordatlantikflug über Hamburg auszuschalten.

Die Schachzüge der deutschen »Luft -Diplomatie« blieben den Skandinaviern nicht lange verborgen. Nachdem sie die ablehnende Haltung der Bonner Unterhändler während der vergangenen Besprechungen als eine Bestätigung ihrer Information über die deutsch-französische Allianz ansehen konnten, bereiten sie sich auf einen Gegenschlag vor.

Sie wollen einen seit langem gehegten Wunsch verwirklichen und neue Luftverkehrszentren in Wien und Kopenhagen schaffen. Von Wien aus, wo sie einen Partnerschaftsvertrag mit den Österreichern zustande brachten, wollen die Skandinavier auf der südosteuropäischen und nahöstlichen Route den Kampf mit den Franzosen aufnehmen. Von Kopenhagen aus - können sie dagegen nicht nur mit ihrer neuen Linie nach Moskau operieren. Das »Paris des Nordens«, geschickt propagiert, kann vielleicht die Vergnügungslust dollarschwerer Reisender der Nordatlantikroute wecken. Und von Kopenhagen nach Hamburg ist es nur ein kleiner Sprung von 50 Flugminuten. Mancher Reisende, der eigentlich nach Hamburg wollte, mag den Umweg über Kopenhagen nicht scheuen.

Der um die europäische Einigung bemühte Heinrich von Brentano ist dagegen fest gewillt, es nicht zu einem kalten Krieg zwischen der »Lufthansa« und der SAS kommen zu lassen. Der umstrittene Vertrag mit den Skandinaviern soll nunmehr Gegenstand einer »Chefbesprechung« zwischen ihm und Seebohm werden.

Dabei weiß sich der Chef des Auswärtigen Amtes der Unterstützung einer nicht unbedeutenden Persönlichkeit sicher, des Hamburger Ersten Bürgermeisters Dr. Sieveking, des ersten Nachkriegsbotschafters der Bundesrepublik in Stockholm. Das Oberhaupt der Hansestadt -

des Heimathafens der »Lufthansa« - droht bestimmte der bundesdeutschen Luftverkehrsflotte gewährte Vergünstigungen rückgängig zu machen, falls man die SAS aus Hamburg vergraule.

Als letzter Ausweg steht dem Außenminister noch die Möglichkeit offen, dem Kabinett eine Entscheidung abzuverlangen. Die Zeit drängt. Am 1. November laufen die Flugrechte der SAS über der Bundesrepublik ab.

Allerdings muß sich Brentano schon jetzt auf ein neues Gezänk gefaßt machen. Am letzten Montag begannen die Regierungsverhandlungen mit den Holländern. Auch die staatlich subventionierte holländische Fluggesellschaft, die KLM, möchte nicht auf die weitgehenden Flugrechte verzichten, die ihr die Besatzungsbehörden einst großzügig einräumten.

Luftfahrtförderer Seebohm (mit Mikrophon) Streit um deutsche Startplätze ...

... für den Transatlantikflug: SAS-Maschine in Hamburg

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