KANDIDATEN Kampf um Kreise
Als die Jusos, Anfang der siebziger Jahre, noch ganz obenauf waren und kiebig verkündeten: »Wir sind die SPD der achtziger Jahre«, standen Wolfgang Roth und Karsten Voigt an der Spitze des Verbandes.
Jetzt, zu Beginn eines schwierigen Wahljahres, kuscht die Mehrheit der SPD-Nachwuchsorganisation. Aber auch die ehemaligen Anführer geben sich bürgerlich. Der Grund: Beide möchten in den Bonner Bundestag.
Der einst als Bürgerschreck verrufene Karsten Voigt, 34, brachte es inzwischen zum Ehrensenator im Frankfurter Karnevalsverein »Goldsteiner Schlippchen«. Auch bei den Alten-Nachmittagen, die der frisch gekürte Bundestagskandidat in seinem Wahlkreis 140 veranstaltet, meint Voigt gilt anzukommen: »Schlips habe ich schon früher getragen.«
Sein Amtsnachfolger Wolfgang Roth, 35, der in Pforzheim für das Bonner Parlament kandidiert und dort »von Ortsverein zu Ortsverein ackert«, glaubt die Genossen spätestens nach einer Stunde davon überzeugt zu haben, daß er »so schlimm gar nicht« sei. Allzu viele Konzessionen an den Publikumsgeschmack scheut der gebürtige Schwabe freilich vor allem der Glaubwürdigkeit wegen. Roth: »Wenn ich mir jetzt die Haare schneiden ließe, würden die Leute sagen: Der will uns was vormachen.«
Wie die beiden Ex-Jusos zieht es auch drei Jugendführer aus den anderen Bundestagsparteien nach Bonn. Sie alle haben jetzt eines gemeinsam: Im Kampf ums Mandat sind die einst Widerspenstigen zahm geworden.
Ingrid Matthäus, 30, vor drei Jahren noch Chefin der mit der FDP verbundenen Jungdemokraten, muß nun bei politischen Frühschoppen in westfälischen Gaststuben Mittelstandsprobleme diskutieren. Als FDP-Kandidatin für den Wahlkreis Steinfurt-Coesfeld hatte sich die Freidemokratin überlegen gegen einen Bonbonfabrikanten durchgesetzt.
Bei der CDU bereiten sich Matthias Wissmann, 26, Vorsitzender der hingen Union, und Gerd Langguth, 29, vormals Chef des Ringes Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS), auf eine Bundestagskarriere vor. Jetzt macht beiden der Fortschrittsdrang ihrer Verbände zu schaffen. Um sich das Wohlwollen der schwäbischen Basis im Wahlkreis Esslingen zu sichern, verteidigt der studierte Politologe Langguth, der sich gern als »Radikaler« bezeichnet, »weil ich an die Wurzeln des politischen Geschehens gehe«, gehorsam die Radikalen-Schnüffelei seines Landesherrn Hans Filbinger.
Matthias Wissmann, dessen Junge Union zusammen mit den Sozialausschüssen Hans Katzers den linken CDU-Flügel markiert, will im württembergischen Ludwigsburg mit Polit-Partys auf Jungwählerfang gehen. Die Älteren muß er sich mit gelegentlichen Bekenntnissen zu CSU-Chef Franz Josef Strauß warmhalten, den er dann als »hervorragenden Finanzminister« preist.
Anpassung scheint opportun, denn selten war der Kampf um Wahlkreise und Listenplätze so hart. Protektion und Wohlwollen der Parteioberen nützen dem Nachwuchs nur wenig. Der Weg in die Bundeshauptstadt, so haben die fünf Jungbewerber erfahren, führt über eine intensive Wahlkreisarbeit. Wissmann, der vor sechs Jahren seine politische Karriere als Wahlkreisassistent der damaligen Bonner Abgeordneten und jetzigen Stuttgarter Sozialministerin Annemarie Griesinger begann: .Wenn man die Basis nicht hat, ist man als Vertreter von Minderheitspositionen weg vom Fenster.«
Vor allem Ingrid Matthäus, die als FDP-Kandidatin ohnehin keine Chance hat, direkt gewählt zu werden, muß sich im schwarzen Münsterland »eisenhart« engagieren. Denn die nordrhein-westfälische Landesliste wird überwiegend nach regionalem Proporz besetzt -- und da braucht die Assessorin am Oberverwaltungsgericht Münster die Unterstützung ihres Bezirks.
Eine Absicherung auf der Landesliste streben auch die anderen Nachwuchspolitiker an -- mit gutem Grund, denn allein Karsten Voigt hat gute Aussichten, in Frankfurt direkt gewählt zu werden. Wolfgang Roth hingegen bewirbt sich im sicheren CDU-Wahlkreis Pforzheim. Und Matthias Wissmann wie auch Gerd Langguth treten in Wahlkreisen an, die zwar einst christdemokratische Domänen waren, 1972 aber an die SPD fielen. Mit ihrem Wunsch nach einer guten Position auf der Landesliste machen sich die beiden CDU-Junioren überdies noch untereinander Konkurrenz.
Gemeinsam ist den fünf Kandidaten auch, daß alle längst Politik als Beruf betreiben und mithin im Abgeordnetenjob die materielle Absicherung ihres täglichen Tuns sehen. Schon jetzt hält Karsten Voigt, Sekretär des linken SPD-Zirkels »Frankfurter Kreis«, sein bundesweites Polit-Engagement für kaum vereinbar mit seiner Angestelltentätigkeit in der Frankfurter Volkshochschule. Erst Abgeordnetendiäten würden es ihm erlauben, Vollzeitpolitiker zu werden.
Zudem versprechen sich die Nachwuchsparlamentarier vom Mandat mehr Einfluß in ihren Parteien. Der Schlüssel für »die Sachentscheidungen«, so Gerichtsreferendar Wissmann, »liegt in der Bonner Fraktion«.
Während die Jungdemokratin Ingrid Matthäus und Ex-Jungsozialist Roth den konservativen Wirtschaftspolitikern ihrer Fraktionen Paroli bieten wollen, möchte sich Voigt auf die Europa- und Sicherheitspolitik, Langguth auf die innere Sicherheit und Wissmann auf Gesellschaftspolitik spezialisieren. Über Macht und Einfluß eines Abgeordneten machen sie sich freilich keine Illusionen mehr. Ingrid Matthäus: »Dazu kennen wir die Bonner Szene denn doch zu gut.«
Enttäuschungen, wie sie jene Bundestagsneulinge erlebten, die 1969 und 1972 voller Reform-Euphorie nach Bonn gegangen waren, werden ihnen vermutlich erspart bleiben. Die Newcomer des Jahres 1976 üben sich in Bescheidenheit. Gerd Langguth: »Das politische Uhrwerk in Bonn werde ich nicht beeinflussen können.«
Und auch Karsten Voigt macht sich nichts vor: »Da muß man erst mal still hinhören und seinen kleinen Beitrag leisten.«