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ÖSTERREICH / ESTERHAZY Kanzler ausgesperrt

aus DER SPIEGEL 40/1967

Europas letzter Feudalherr hat seinem Land den Krieg erklärt. Aus freiwilligem schweizerischen Exil ficht Paul Maria Alois Anton Nikolaus Viktor, 66, zwölfter Fürst Esterházy von Galántha, gegen die Republik Österreich.

Der größte Grundbesitzer Österreichs war dem deutschsprachigen Rest der Donaumonarchie von Jugend an feindlich gesinnt. Nach dem Zusammenbruch des Habsburg-Reiches unterstützte der in der ungarischen Reichshälfte residierende Fürst magyarische Freischärler, die gegen den Anschluß des westungarischen Burgenlandes an Österreich kämpften.

»Ich kenne Dokumente, die beweisen, daß Esterházy damals wertvolles Archivmaterial nach Ungarn schaffen ließ«, trumpft der burgenländische Landesrat für Kulturangelegenheiten, Dr. Fred Sinowatz, heute auf.

Der Galántha-Sproß, der den Hunnenkönig Attila zu seinen Vorfahren zählt, lehnte auch die österreichische Staatsbürgerschaft ab. In der Verwaltung seiner österreichischen Güter mußte ungarisch gesprochen werden.

Magyar wollte der Fürst auch unter Hammer und Sichel bleiben. Als die Russen Ungarn besetzten, harrte Esterházy in seinem Budapester Palais aus. Doch die Roten enteigneten die 200 000 Hektar fürstlichen Grundbesitzes und warfen den Attila-Nachfahren in den Kerker: Mit Kardinal Mindszenty wurde er verurteilt -- zu 15 Jahren Zuchthaus wegen »Devisenvergehen«.

Acht Jahre lang saß der Fürst in Einzelhaft. Während des Ungarn-Aufstands holten ihn österreichische Freunde aus dem Kampfgetümmel der Revolution. Und erst dann ließ sich Esterházy dazu herab, den Paß der neutralen Republik Österreich anzunehmen -- zumal sich die Österreicher ihrem Landsmann wider Willen gegenüber denkbar großzügig zeigten.

Der Magyarenfürst erhielt seinen burgenländischen Besitz bis zur letzten Ackerkrume zurück. Auf 55 000 Hektar konnte der feudale Flüchtling ein stattliches Fürstentum errichten; ihm

*1958 nach der Befreiung aus ungarischer Haft.

gehören heute zehn Prozent des östlichsten Bundeslandes Österreichs, einschließlich des Touristen-Juwels Neusiedler See.

Esterházy residierte in seinem Eisenstädter Erbschloß, wo Joseph Haydn 1761 bis 1790 Musikus »bei Esterhaz« war. Die Landesregierung hatte nach dem Krieg das Palais russischem Besatzer-Zugriff entzogen und seinen Prunkraum -- den Haydn-Saal -- vorbildlich renoviert.

Doch bald fand Esterházy das zehn Kilometer von der Ungarngrenze entfernte Eisenstadt zu nahe am Eisernen Vorhang, Querelen um öffentliche Bauten auf seinem Boden verleideten ihm das Burgenland. Er übersiedelte nach Zürich und ließ die Millionen-Erträge seines Fürstentums fortan auf eidgenössische Konten transferieren.

In der Zürcher Brunaustraße sonderte sich der aus Kerker-Jahren kränkelnde Österreicher mit dem Herzen in Budapest und dem Konto in der Schweiz immer mehr von der Umwelt und insbesondere von seinen Landsleuten ab. Er verkehrte mit dem Burgenland nur noch über Anwälte, die im Namen des unerreichbaren Magnaten Hunderte Esterházy-Angestellte feuerten und die burgenländischen Behörden mit fürstlichen Erlassen schikanierten.

Wo Esterházy den Republikanern beweisen konnte, wer der Herr im Lande sei, tat er es prompt. Er

> sperrte den (auf Landeskosten renovierten) Haydn-Saal, den einzigen Repräsentationsraum des Burgenlandes, für sämtliche Veranstaltungen -- zu den Ausgesperrten zählte Österreichs Bundeskanzler Klaus, der hier das diplomatische Corps empfangen wollte;

> schloß die Taverne der 700 Jahre alten Burg Forchtenstein;

> drohte die Schließung des Eisenstädter Weinkellers mit dem größten Weinfaß Österreichs an;

> kündigte den Pachtvertrag für den burgenländischen »Märchenwald« -- eine Touristen-Attraktion mit in Stein gehauenen Grimmschen Märchenfiguren.

Burgenlands Landeshauptmann, der Sozialist Theodor Kery, schrieb dreimal Briefe an den Fürsten. Esterházy würdigte ihn keiner Antwort.

»Das anachronistische Esterházy-Problem, dieses Relikt aus der Vergangenheit, muß endgültig gelöst werden«, verlangt nun Landeschef Kery. Er forderte seine Parteifreunde im Wiener Parlament auf, eine »Lex Esterházy« einzubringen -- ein Verfassungs-Sondergesetz, das den Burgenländern das Recht zur Nutzung der fürstlichen Güter einräumen soll.

Die konservative Volkspartei scheut eine solche Quasi-Enteigung. Sie ermunterte Standes-Kollegen des eigenwilligen Adeligen, doch auf den Fürsten einzuwirken. Aber selbst Otto von Habsburg, unter dessen Vorfahren der Glanz der Esterházys einst erstrahlte, mühte sich vergebens: »Es ging mir nicht anders als dem Landeshauptmann Kery: keine Antwort.«

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