Kanzler Schmidt: »Dynamisch wie Napoleon«
Erschöpft saß Helmut Schmidt nach den Steuerberatungen seines Kabinetts im Kanzlerbungalow und wartete auf den Hubschrauber, der ihn in den Urlaub an den Brahmsee fliegen sollte.
In der kurzen Pause hing der Kanzler, gemeinsam mit seinem Intimus Klaus Bölling, Gedanken über die eigene Größe nach -- was denn wohl Bestand haben werde von dem monatelangen hektischen Treiben des Bonner Regierungschefs in der Welt- und Innenpolitik.
Als die Herren auf jüngste Demoskopen-Ergebnisse kamen, wonach Schmidt gegenwärtig so populär wie Adenauer in seiner Bestzeit sei, da fragte der Kanzler seinen Berater: »Klaus, wie ernst ist das zu nehmen?«
Eine rhetorische Frage: Zu gern wollte Helmut Schmidt von seinem Regierungssprecher noch einmal hören, was die Meinungsforscher, was die heimische wie internationale Presse nicht mehr bezweifeln. Helmut Schmidt, so sieht es aus, steht im Zenit seiner Karriere; und er genießt es.
Eine ähnliche Publikumsgunst wie jetzt Schmidt erreichten in knapp drei Jahrzehnten bundesdeutscher Geschichte nur zwei Kanzler, und das auch nur für kurze Zeit: Konrad Adenauer 1959 und Ludwig Erhard 1965.
Die Zeitungen, von rechts bis links, daheim und draußen, jubeln den Mann mit dem Allerweltsnamen hoch. Helmut Schmidt ist der »oft begehrte starke Mann« (DGB-Zeitung »Welt der Arbeit"), er »weiß, was er will« (der CSU-nahe »Münchner Merkur"), und überhaupt ist »Helmut der Größte« (der Bonner »General-Anzeiger").
Die internationalen Blätter messen den deutschen Kanzler ungeniert am Vertreter der Weltmacht USA und finden, er stehe »fast schon Schulter an Schulter mit einem amerikanischen Präsidenten« (der britische »Guardian"), er stelle ihn gar »in den Schatten« (der belgische »Soir").
Peinlicher noch sind die Schmeicheleien. die Schmidt, der am 23. Dezember 60 Jahre alt wird, von Staatsgästen direkt hört. »Offen gesagt«, so jüngst Jimmy Carter zu dem Deutschen, »eines schätze ich ganz besonders: Sie verniedlichen immer den Einfluß Ihrer Führungskraft.« Und Robert Byrd, Führer der Demokraten im Washingtoner Senat, bemühte für die Erfolge des Kanzlers die europäische Geschichte: »Ich bewundere die Dynamik eines Führers, die Napoleon gleichkommt.«
Den stürmischen Beifall aus dem eigenen Lande wie von draußen aus der Welt trug dem westdeutschen Regenten vor allem ein perfekt inszenierter Bonner »Kanzler-Sommer« ("Frankfurter Allgemeine") ein. Denn so viel politischen Glanz gab"s in der westdeutschen Republik noch nie: nach Breschnew-Besuch und englischer Königin-Visite ein EG-Gipfel sowie ein Wirtschaftstreffen mit internationalen Top-Stars.
Vor grandioser Kulisse konnte der Bonner »Staatsschauspieler« (Franz Josef Strauß über Schmidt) all seine mimischen, rhetorischen und technokratischen Fähigkeiten voll zur Geltung bringen. »Die Leute hatten den Eindruck: Die sind alle hier gewesen, um sich beim deutschen Kanzler Rat zu holen«, beschreibt Infas-Demoskop Klaus Liepelt die Wirkung aufs Volk.
Damit nicht genug, am Ende der Spiele gab's auch noch Brot -- Steuergeschenke in Milliardenhöhe.
Zumindest der Erfolg im Innern scheint denn auch perfekt. Der Koalitionshader, der das sozialliberale Bündnis seit den Wahlschlappen der FDP in Hamburg und Niedersachsen belastete, ist erst einmal vergessen.
Selbst die Linken in der SPD-Fraktion. obwohl von den Steuerbeschlüssen der Bundesregierung keineswegs allesamt begeistert, scheinen vom Kanzler-Glanz geblendet. »Ich glaube nicht«, so verkündete der linke Abgeordnete Gunter Huonker, den Schmidt als Steuerexperten zum Konjunkturpalaver im Kabinett hinzugebeten hatte, »daß es Abweichler gibt. Diese Beschlüsse sind akzeptabel.«
Ob und wie lange der wundersame Konsens dauern wird, ist ungewiß; daß er überhaupt zustande kam, das hat ein Helmut Schmidt bewirkt, der in den letzten Wochen wie verwandelt schien.
Schon auf dem Wirtschaftsgipfel verblüffte der deutsche Kanzler, so manchem auswärtigen Teilnehmer als ungebetener Ratgeber und nörgelnder Zensor in unguter Erinnerung, als charmanter und toleranter Gastgeber. Und auch Parteifreunde wie Koalitionspartner, oft genug durch ungehobelte Manieren und ständiges Besserwissen Schmidts verärgert, staunten vorletzte Woche über den Wandel der Kabinetts-Tischsitten.
Selten hatten sie ihren Regierungschef so geduldig erlebt. Schmidt, dem sonst Sitzungsroutine und Politiker-Monologe zuwider sind, hörte sich ausdauernd, bis tief in die Nacht hinein, auch die umständlichsten Auslassungen zu Steuern und Konjunktur an. Allenfalls ermunterte er mal einen Redner zu einer präziseren Fassung seines Beitrags -mit der bescheidenen Floskel: »Das habe ich intellektuell nicht verstanden.«
Nur dann und wann schimmerte der alte Schmidt durch so, als er Familienministerin Antje Huber anging, Wahlreden könne sie sich sparen, so, als er den tuschelnden Verteidigungsminister Hans Apel anfauchte: »Wer nicht ernsthaft arbeiten will, soll rausgehen.
Sogar zu Lob ließ sich der sonst als hochmütig verschriene Kanzler herab. Der Abgeordnete Huonker freute sich über unerwartete Gunstbezeugungen, und der auf Unabhängigkeit bedachte Bundesbankpräsident Otmar Emminger fühlte sich, so beobachteten Sitzungsteilnehmer, ob der reichlichen Komplimente schon unwohl. Sozialdemokrat Huonker schwärmte hinterher: »Das hat nicht zu dem Image gepaßt, das ich bisher von Schmidt hatte.«
Alle haben sie ein neues Schmidt-Gefühl, (loch keiner kann sich die Wandlung so recht erklären. Ist es die Abgeklärtheit nach vier glimpflich überstandenen Jahren im Palais Schaumburg, die den zweiten SPD-Kanzler der westdeutschen Republik so gelassen macht? Ist es das Gefühl, das Mindestsoll für die Geschichtsbücher geleistet zu haben, ähnlich wie Willy Brandt nach Abschluß der Ostverträge? Oder hat er letztlich nur ein Meisterstück von Taktik und Selbstdisziplin vollbracht?
So unangefochten Helmut Schmidt auch auf der Bonner Szene agiert, so beeindruckt sich das Publikum von seiner Regierungs-Show zeigt -- die Sozialdemokraten sind noch längst nicht überzeugt, daß ihnen das Schmidt-Hoch etwas einbringt.
Von jeher bewegen sich die Bonner Kanzler weit vor der Partei-Karawane. Nach dieser Regel steht Helmut Schmidt nicht nur bei Koalitionsanhängern hoch in Gunst, er genießt auch große Sympathien bei CDU-Gefolgsleuten, die nur eines an ihm auszusetzen haben: daß er in der falschen Partei ist. »Diese Schmidt-Fans«, so der baden-württembergische SPD-Vorsitzende Erhard Eppler skeptisch, »wählen auch weiterhin CDU.«
Tatsächlich entnehmen die SPD-Planer in der Parteizentrale den Umfragen, daß der Kanzler den Durchbruch für die Sozialdemokraten noch längst nicht geschafft hat.
Mit seinem Mogadischu-Coup nahm Schmidt der SPD zwar den traditionellen Makel, sie schütze die Bürger nicht zuverlässig vor Kriminellen und Terroristen. Doch nach wie vor kann der Regierungschef mit durchschlagenden Erfolgen ausgerechnet in jenen Bereichen nicht aufwarten, in denen das sozialdemokratische Stammpublikum etwas Besonderes erwartet: in der Sozial- wie in der Beschäftigungspolitik und beim Ausgleich mit dem Osten.
Das Gipfel-Spektakulum und das Gäste-Defilee der letzten Monate sollen dem ein wenig abhelfen. Um den Bürgern das rechte Gefühl für den Bonner Friedens-Kanzler zu vermitteln, haben die Partei-Werber eine bundesweite PR-Aktion gestartet: Auf großen Plakaten ist Helmut Schmidt neben den Großen der internationalen Politik zu bewundern. Darunter der Text: »Wir haben Freunde in der Welt.«
Auch die Verbitterung der Wähler über die internen Probleme der Bundesrepublik könnte, so hoffen die SPD-Strategen, durch den Kanzler-Sommer gemildert werden. Ihr Kalkül: EG- und Weltwirtschaftsgipfel hätten den Bürgern endlich einmal klargemacht, daß Arbeitslosigkeit nicht durch nationale, sondern nur durch weltweite Anstrengungen zu beseitigen sei -- eine Binsenwahrheit, die Schmidt seit Jahren ohne sonderlichen Beifall gepredigt habe.
Daß solche Festivals nicht alle Tage zu inszenieren sind, daß solche Bilder und Erinnerungen schnell verblassen
darüber allerdings macht sich auch Helmut Schmidt nicht viele Illusionen. »Nach diesem Elysium«, so Kanzler-Freund Bülling, »kommen wir sicher wieder in die Niederungen, wo Dunst ist.«
Der historische Rückblick lehrt, wie berechtigt die Skepsis ist: Schon 1961, zwei Jahre nach dem Stimmungs-Hoch. erlitt Konrad Adenauer die für ihn schlimmste Wahlschlappe seiner Amtszeit. Und Ludwig Erhard mußte nur ein Jahr nach seinem Höhenflug abtreten.