HS 30 Kanzler sehr böse
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hans-Joachim von Merkatz las aus dem Protokoll eine »merkwürdige Komik« heraus. Den SPD-Bundestagsabgeordneten Carlo Schmid mutete das geschilderte Geschehen »bolivianisch« an, und der CSU-Freiherr von und zu Guttenberg verwies den Protokoll-Inhalt gar in den »Bereich der Kriminalistik«.
Als Punkt 5 der Tagesordnung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages hatte der Vortragende Legationsrat Erster Klasse Richard Balken den Ausschußmitgliedern am 24. November verlesen, was der frühere deutsche Botschafter in der Schweiz, Dr. Friedrich Holzapfel, im AA über sein langjähriges Bemühen, der Bundesregierung Hintergründe von Rüstungsgeschäften zu offenbaren, zu Protokoll gegeben hatte.
Ausgelöst wurde das späte Interesse des AA an den Auskünften Holzapfels durch eine Kleine Anfrage, in der die SPD-Fraktion des Bundestages am 25. Oktober 1966 von der Bundesregierung Aufklärung über den Kauf des Schützenpanzers HS 30 von dem Rüstungskonzern Hispano-Suiza durch die Bundeswehr gefordert hatte.
Die deutsche Bundesregierung hatte 1957 der Hispano-Suiza in der Schweiz einen Auftrag über 2800 Schützenpanzer erteilt, obwohl der Rüstungskonzern nie zuvor einen solchen Kampfwagen gebaut hatte. Den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses wurde lediglich ein Holzmodell des HS 30 vorgeführt.
Zu diesem Waffengeschäft wollte die SPD jetzt wissen, ob der frühere deutsche Botschafter in Bern, Holzapfel, während seiner Amtszeit die Bundesregierung vor der Hispano-Suiza gewarnt habe und ob die CDU, Persönlichkeiten der Regierungspartei oder ministerielle Beamte von der Hispano-Suiza Geld erhalten hätten.
Darüber - so geht aus dem Protokoll hervor - konnte Holzapfel keine Auskünfte geben. Wohl aber bekundete er, daß selbst der damalige Bundesaußenminister von Brentano und ein hoher AA-Beamter das persönliche Engagement von Bundeskanzler Konrad Adenauer und Staatssekretär Otto Lenz an dem Waffengeschäft betont hätten.
Holzapfel, 1945 mit Konrad Adenauer Begründer der CDU in Nordrhein-Westfalen, von 1952 bis 1958 erst Gesandter, dann Botschafter in der Schweiz, hatte dort Interna undurchsichtiger Waffengeschäfte erfahren und darüber - wie er am 9. November 1966 zu Protokoll gab dem damaligen Bundeskanzler Adenauer »einen in persönlicher Form gehaltenen Brief« mit einem Vermerk geschickt. Holzapfel: »Ich habe auf diesen Brief an den Herrn Bundeskanzler vom 5. 12. 1953 trotz mehrmaliger Erinnerung keine Antwort bekommen.«
Deshalb habe er Anfang Januar 1954 dem damaligen Personalchef des AA, Ministerialdirektor Dr. Löns, eine Abschrift seines Briefes an Adenauer geschickt und sich über das Ausbleiben einer Antwort beklagt. Aber auch Löns reagierte nicht.
Auch nach zwei weiteren Briefen hüllte sich Löns noch in Schweigen.
»Darauf schrieb ich unter dem 20. Februar 1954 an Staatssekretär Hallstein«, sagte Holzapfel aus. Dem Schreiben legte er Anlagen von schweizerischen Gewährsleuten bei. »Auch auf diesen Bericht habe ich keine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes erhalten.«
Die nächste Demarche in Sachen Waffenhandel unternahm Holzapfel telephonisch bei dem Chef der Präsidialkanzlei des Bundespräsidenten Theodor Heuss, Staatssekretär Klaiber. Holzapfel vor den AA-Vernehmern: »Herr Klaiber erklärte, daß der Bundespräsident in dieser Angelegenheit nichts unternehmen könne. Die einzige Möglichkeit wäre, daß er bei der nächsten Gelegenheit den Bundeskanzler auf diese Fragen ... ansprechen würde ... Staatssekretär Klaiber hat über dieses Telephonat einen Vermerk gemacht. Der Vermerk wurde dann von Herrn Bundespräsident Heuss Herrn Dr. Adenauer bei einer Besprechung vorgelegt.«
Am 5. Mai 1954 wurde Holzapfel zu dem AA-Staatssekretär Hallstein nach Bonn gebeten. Der Botschafter über diese Begegnung im Protokoll: »Bei einem Gespräch mit Staatssekretär Hallstein hatte ich keine Gelegenheit, zu den Waffengeschäften irgend etwas Sachliches vorzutragen. Er erklärte, daß ich nicht berechtigt sei, dem Bundespräsidenten irgendwelche Auskünfte zu erteilen. Ich sei vielmehr verpflichtet, den Bundespräsidenten an die Regierung zu verweisen.«
»Als ich darauf drängte, auch zur Sache etwas sagen zu können, unterband das Herr Staatssekretär Hallstein, indem er in einer sehr scharfen Form erklärte, ich solle mich aus der ganzen Sache heraushalten. Für mich sei die Angelegenheit mit dem Bericht erledigt. Es sei nicht meine Aufgabe, mich darum zu kümmern, was das Auswärtige Amt oder die Regierung in Bonn auf meinen Bericht veranlasse: Darauf beendete er das Gespräch und sagte, er hätte keine Zeit mehr. Als ich darauf hinwies, daß ich dann mein Amt niederlegen würde und frei wäre und wieder als Abgeordneter in das Parlament gehen würde, um die Dinge über die Waffenschieber aufzurollen und klarzulegen, belehrte mich Herr Hallstein, daß ich auch als Beamter im Ruhestand in vollem Umfange der Schweigepflicht unterliege. Er würde sofort ein Disziplinarverfahren gegen mich einleiten und wahrscheinlich auch ein Verfahren wegen Geheimnisverrats, wenn ich die Schweigepflicht verletze.«
Nach seinem Rapport bei Hallstein ging Holzapfel mit Ministerialdirektor Löns, dem Personalchef, auf dem Venusberg in Bonn spazieren. »Herr Dr. Löns« - so Holzapfel zwölf Jahre später - »erklärte mir, daß der Bundeskanzler sehr böse auf mich sei, da ich ihm in die Quere gekommen sei. Ich glaube, er gebrauchte sogar den Ausdruck, daß ich ihm in die Suppe gespuckt hätte. Ich hätte doch merken müssen, daß es sich um eine Angelegenheit handele, die der Bundeskanzler persönlich bearbeite ... Herr Dr. Löns erklärte dann, daß er den Auftrag habe, sich mit mir darüber zu unterhalten, in welcher Form ich meine Tätigkeit in Bern aufgeben könne und aufgeben wolle, damit ich nicht wieder dem Bundeskanzler und der Bundesregierung in die Quere käme.«
Von seinen Vorgesetzten im Auswärtigen Amt ermahnt, sich aus dem »Sachverhalt Waffenlieferungen« herauszuhalten, verzichtete Holzapfel darauf, Berichte zu schreiben und »Bedenken gegen den Abschluß der Geschäfte« vorzubringen.
Im September 1957 führte der Botschafter ein Gespräch mit Bundesaußenminister von Brentano in dessen Wohnung. Darüber berichtete Holzapfel jetzt: »Ich habe darauf hingewiesen, daß die Hispano-Suiza noch niemals Schützenpanzer gebaut hätte und daß es etwas merkwürdig sei, einer Firma einen Auftrag zu geben, die noch nie Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt hätte ... Herr von Brentano entgegnete mir, daß es sich um ein ganz heißes Eisen handele und daß sowohl der Bundeskanzler, Herr Dr. Adenauer, als auch besonders Herr Dr. Lenz in dieser Sache, ich glaube, er gebrauchte den Ausdruck, 'engagiert' seien. Er könne mich nur warnen, ich möchte die Finger davon lassen, denn er müsse sonst gegen mich vorgehen und er würde das im Hinblick auf unsere langjährige gemeinsame politische Arbeit außerordentlich bedauern. Ich habe nochmals darauf hingewiesen, daß es für mich unverständlich sei, daß er als Mitschöpfer des Grundgesetzes von mir in dieser Angelegenheit eine Schweigepflicht verlange. Er betonte nochmals, daß er bedaure, dazu gezwungen zu sein, er selbst sei nicht derjenige, von dem die Initiative ausginge, sondern er handle im Auftrage des Bundeskanzlers.«
Acht Jahre nach seiner Pensionierung
- am 9. November 1966 - wurde Botschafter a. D. Holzapfel ins Auswärtige Amt in die Koblenzer Straße zu Bonn bestellt und vom AA-Personalchef, Ministerialdirektor Dr. Raab, belehrt, »daß er auch als Ruhestandsbeamter verpflichtet sei, über die damaligen Vorgänge dienstlich Auskunft zu geben«. Holzapfel gab die Auskunft vor Raab sowie Ministerialrat Schnell und Legationsrat Dr. Kunzemann der AA-Angestellten Poth zu Protokoll.
Dem Bundestag hatte Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel am 18. November zugesichert, daß dem Parlament nicht nur Holzapfels Aussagen, sondern auch die geheimen Anlagen vorgelegt würden, die der Botschafter seinerzeit von Bern nach Bonn geschickt hatte.
Im Auswärtigen Ausschuß beschränkte sich Legationsrat Balken jedoch auf die-Verlesung des Protokolls. Die Anlagen über das Geschäft, an dem die ehemaligen CDU-Regierungsspitzen so interessiert waren, rückte er bis heute nicht heraus.
Ex-Botschafter Holzapfel
Der Staatssekretär drohte ...
... mit einem Verfahren wegen Geheimnisverrats: HS-30-Holzmodell, HS-30-Käufer*
* Von links nach rechts: General Speidel,
Verteidigungsminister Strauß, Kanzler Adenauer am 25. September 1958 auf dem Truppenübungsplatz Bergen-Hohne.