HANDELSVERTRAG Kanzler-Solo
Zwischen Christfest und Neujahr hat
Zn Bundeskanzler Konrad Adenauer allen braven Deutschen eine Überraschung beschert, die von den Beschenkten nach Belieben, Konfession und Weltanschauung als verspätetes Weihnachtswunder oder als verfrühter Silvesterscherz betrachtet werden kann:
In 40 Minuten einigte sich der Kanzler mit dem sowjetischen Botschafter Smirnow am 28. Dezember im Palais Schaumburg, das umstrittene Handelsabkommen zwischen Bonner Republik und Sowjetreich so bald wie möglich zu unterzeichnen.
Noch am 12. Dezember hatten der stellvertretende sowjetische Außenhandelsminister Borissow und der Bonner Außenminister Heinrich von Brentano es für unmöglich erklärt, den gleichen, fertig vorliegenden Text zu unterschreiben, weil die Sowjets es ablehnten, einen schriftlichen Bonner Hinweis zur Kenntnis zu nehmen, in dem betont wurde, daß der Vertrag auch für Berlin gelte (SPIEGEL 52/1960).
Mißgelaunt, aber ohne einzugreifen, hatte Konrad Adenauer, der damals im Rhöndorfer Heim seine Bronchien schonte, das Scheitern der Verhandlungen und die Abreise des Genossen Borissow zur Kenntnis genommen.
Kaum war jedoch auch sein eigener Außenminister in Ferien gefahren - wie seit vielen Jahren nutzte Junggeselle Heinrich von Brentano das Christfest, um in einem römischen Weihnachtsurlaub seine abendländischen Wurzeln zu wässern -, da wurde der alte Herr im Alleingang tätig.
Naturgemäß vermochte er sachlich nur herauszuholen, was zwei Wochen zuvor auch seine diplomatischen Strohmänner hätten erreichen können, wenn sie von dem regierenden Rekonvaleszenten im Rhöndorfer Liegestuhl entsprechende Anweisung erhalten hätten: eine Berlin-Klausel in Form eines Briefes der Bonner Regierung an die Sowjetregierung, in dem weder von »Westberlin« noch vom »Währungsgebiet DM-West« die Rede ist. In dem Brief wird nur einseitig der unverbindlichen Bonner Hoffnung Ausdruck verliehen, daß der Vertrag in dem Anwendungsbereich des bisher gültigen Abkommens gelte.
Dennoch erzielte der Kanzler einen eindrucksvollen Effekt, indem er seinen Außenminister auflaufen ließ und anschließend rettend eingriff: Er bewies der Welt die Kontinuität des Bonner Zick-Zack-Kurses gegenüber dem Osten.
So wie das Abkommen über den Interzonenhandel erst für tabu erklärt, dann grundlos gekündigt, dann etliche Wochen später grundlos neu geschlossen wurde, so erging es auch dem deutschsowjetischen Handelsvertrag: Vertrags -Aushandlung ohne Erwähnung Berlins; Überrumpelungsversuch in Sachen Berlin eine Stunde vor Unterschrift; Verweigerung der Unterschrift am 12. Dezember; Einigung über die Unterschrift am 28. Dezember.
»Die westdeutsche Seite« verlasse bei allen deutsch-sowjetischen Verhandlungen »fortwährend den Boden der Vernunft«, klagte der sowjetische Außenminister Gromyko einen Tag vor Weihnachten vor dem Obersten Sowjet. Er weinte Krokodilstränen: Denn mag seine Analyse auch richtig sein - die Sowjets fahren nicht schlecht dabei.