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"HAMBURG" Kapital vom Kunden

aus DER SPIEGEL 45/1966

Der Leichenzug gedieh zum Schauspiel. Unter Wasserfontänen und Sirenengeheul kehrte Hamburgs einziger Ozeanliner »Hanseatic«, ausgebrannt und von Schleppern gezogen, aus New York zurück. Das Wrack soll verkauft werden.

Doch schon eine Woche nach der makabren Szene, am 10. Oktober, jubelte die hanseatische Trauergemeinde: Der Neubau eines Schiffes namens »Hamburg« war beschlossen; am 1. April 1969 soll es in Dienst gestellt werden.

Ihre Hoffnung, neue Seegeltung zu gewinnen, verdanken die Hamburger dem Sohn eines dänischen Schulrektors. Axel Bitsch-Christensen, 39, Geschäftsführer der Hamburg-Atlantik Linie, hatte den Neubau geplant, lange bevor die »Hanseatic« im Hafen von New York in Brand geriet.

Da seine Reederei mit der 1958 in Dienst gestellten »Hanseatic« (30 030 Bruttoregistertonnen) noch keinen Gewinn machte und das Eigenkapital für einen Neubau (Kosten: 85 Millionen Mark) nicht aufbringen konnte, wandte sich Bitsch-Christensen an die Kundschaft. Der Däne gewann 228 Geldgeber für eine neue Reederei, zum großen Teil ehemalige »Hanseatic«-Passagiere.

219 Gesellschafter, darunter Bitsch -Christensen selbst, legten lediglich den Einheitsanteil in die »Deutsche Atlantik Schiffahrts-Gesellschaft mbH & Co KG« ein: 100 000 Mark. Neun Gesellschafter zeichneten ein Mehrfaches davon; größter Geldgeber ist mit 2,3 Millionen Mark der Hamburger Mäzen und Zigarettenmaschinen - Fabrikant Dr. Kurt A. Körber.

Als 35 Millionen Mark beisammen waren, konnte Bitsch-Christensen zusätzlich 60 Millionen Mark Darlehen lockermachen:

- 20 Millionen aus dem ERP-Fonds (zu

2,5 Prozent Zinsen);

- 20 Millionen von der Allianz Lebensversicherung AG in Stuttgart (zu maximal 9,5 Prozent Zinsen);

- zehn Millionen von der Hamburgischen Landesbank (zu 8,5 bis 10,5 Prozent Zinsen);

- zehn Millionen von der Deutschen Werft AG (zu höchstens 7,5 Prozent Zinsen).

Die Freie und Hansestadt Hamburg bürgt mit 33 Millionen Mark und legte eine Million Mark als zinsloses Darlehen für Kapitaldienste zu.

Der neuen Reederei war bei der Suche nach Kreditgebern ein psychologischer Vorteil zustatten gekommen: Die Passagierschiffahrt unter deutscher Flagge hat nicht nur durch den Brand auf der »Hanseatic« gelitten.

Der Norddeutsche Lloyd in Bremen mußte Mitte Oktober seine 41 Jahre alte »Berlin« (18 600 BRT) außer Dienst stellen, und die »Bremen« (32 336 BRT) des Lloyd wird Ende kommenden Monats zur Reparatur in die Werft fahren.

Im Dock liegt bereits der einzige große deutsche Passagierschiff-Neubau nach dem Kriege, die »Regina Maris« (5813 BRT) der Lübeck Linie. Sie war im August dieses Jahres über einen norwegischen Felsen geschliddert. Geschätzte Reparaturkosten: 500 000 bis 600 000 Mark. Letztes voll funktionstüchtiges deutsches Passagierschiff ist zur Zeit die 21 164 BRT große »Europa« des Norddeutschen Lloyd.

Die »Hamburg« wird von der Deutschen Werft AG und der Howaldtswerke AG gemeinsam gebaut und mit etwa 23 000 BRT vermessen werden. Ihre maximale Turbinenleistung von zweimal 11 500 PS dürfte sie auf 23 Knoten Geschwindigkeit bringen. Voraussichtlicher Stapellauf: Frühjahr 1968.

Auf drei Wohndecks verteilt, erhält das Schiff 324 Kabinen, davon 206 Außenkabinen, mit insgesamt 661 unteren Betten. Das gilt für die Kreuzfahrten. Im Nordatlantik-Dienst werden zusätzlich Pullman-Betten eingebaut, so daß 800 Passagiere Platz finden.

Getreu dem Grundsatz, daß sich in der Passagier-Schiffahrt gegen die Konkurrenz der schnelleren Flugzeuge auf der Atlantik-Route nur Luxus bezahlt macht, werden auf der »Hamburg« drei Restaurants mit 600 Plätzen, dazu Salons und Bars, ein Kino- und Theaterraum für 300 Besucher sowie je ein offenes und ein überdachtes Schwimmbad installiert. Jede Kabine erhält Bad, Telephon, Fernsehen und Klimaanlage.

Nur an 102 Tagen des Jahres soll das neue Schiff im Nordatlantik-Dienst eingesetzt werden. Linienfahrten sind heutzutage lediglich in der Hochsaison (von Ende April bis Anfang Oktober) rentabel. Den Rest des Jahres soll die »Hamburg« kreuzen: 127 Tage durch Westindien, 90 Tage auf Weltreise und 28 Tage auf Nordland-Reise.

Bei diesem Fahrplan kann die »Hamburg« nach zwei Gutachten der Deutschen Revisions- und Treuhand-AG in den ersten fünf von 20 Betriebsjahren jährlich zehn Millionen Mark Gewinn einfahren, in weiteren zehn Jahren jeweils neun Millionen Mark und in den letzten fünf Jahren immerhin noch jährlich acht Millionen Mark.

Modell der »Hamburg«; Reeder*: Jubel noch dem Leichenzug

* Axel Bitsch-Christensen (l.), Dr. Kurt A. Körber.

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