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AUTOBAHN-RASTHÄUSER Karbes schöne Aussicht

aus DER SPIEGEL 40/1960

Väterlich lächelte Konrad Adenauer

ins Blitzlicht, und wieder hatten die Photographen eines jener zu Herzen gehenden Bilder erjagt, die den Patriarchen als gütigen Kinderfreund mit blumentragenden Kleinchen zeigen. Diesmal waren jedoch nicht nur Kanzler und Reporter zufrieden, sondern vor allem der rührige Vater der kanzlernahen Kinder, der Unternehmer Franz Albert Karbe, 46, aus Alfeld an der Leine.

So wie Karbe gegen widrige Umstände - die absperrenden Polizisten - in Hannovers Niedersachsenhalle 1957 das publizitätsträchtige Adenauer-Karbe -Dokument zuwege brachte, so pflegt er auch andere Projekte durchzuziehen. Als eindrucksvollstes Monument seiner Zielstrebigkeit geht derzeit an der Autobahnauffahrt Alsfeld-West in Oberhessen - 150 Kilometer von Karbes niedersächsischem Domizil Alfeld entfernt - ein Rasthaus seiner Vollendung entgegen, das auf mehrfache Weise Beachtung verdient: Es ist das größte und modernste in Europa, und es ist vor allem der erste namhafte Gewerbebetrieb zu Seiten der Autobahn, der sich in Privatbesitz - nämlich in Karbes befindet.

Ehe der Alfelder sich der Sache annahm, war das Bundesmonopol entlang den westdeutschen Renommierstraßen unerschütterlich erschienen. Bewaffnet mit dem Bundesfernstraßengesetz, wacht die Bonner Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahnen mbH seit je argwöhnisch darüber, daß jede kommerzielle Tätigkeit in diesem ertragreichen Geländestreifen nur mit ihrer Billigung und Beteiligung ausgeübt wird. Tankstellen und Rasthäuser an der Autobahn betreibt sie selbst oder verpachtet sie.

In der Tat konnte sich die Gesellschaft für Nebenbetriebe hinter den mannigfachen Sicherungsparagraphen unangreifbar fühlen. Der Paragraph 9 Absatz 1 verbietet die Errichtung privater Hochbauten in einer Zone von 40 Metern beiderseits der Autobahn. Im Paragraphen 15, 1 werden Tankstellen- und -Raststätten, die »einen unmittelbaren

Zugang zu den Bundesautobahnen haben«, als Nebenbetriebe definiert, und im Absatz 2 heißt es lapidar: »Dem Bund ist der Bau der Nebenbetriebe vorbehalten.«

Schließlich wird die Genehmigung »für den Bau, die Erweiterung oder die Eröffnung von Betrieben« innerhalb 300 Metern von der Autobahn davon abhängig gemacht, daß Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs nicht beeinträchtigt werden.

Der Wunsch, in diese Festung dennoch einzudringen, keimte in Franz Albert Karbe eines Wintertags 1957 bei der Lektüre einer Zeitungsreportage über die Bonner Monopolgesellschaft. Der gelernte Warenhauskaufmann aus Erfurt, der nach dem Krieg mittels einer Fischhandlung in Holzminden, einer kleinen Kunststoff-Fabrik in Alfeld und der Heirat mit der Erbin eines Alfelder Korkwerks sein finanzielles Fundament stetig verstärkt hatte, machte sich auf die Suche nach schwachen Stellen im Monopolpanzer.

Als Mann rascher Entschlüsse zwängte

sich Karbe hinter einem Freund in dessen einmotorige Piper-Sportmaschine mit dem Vorsatz: »Jetzt klappern wir alle Autobahnen ab.« Aus dem in 200 Meter Höhe von bockigen Winden geschüttelten Maschinchen sah er bald etwas, das ihn faszinierte: »Da wurde gerade am Alsfelder Zubringer gearbeitet.« Er ließ die Piper über der Baustelle kreisen und entdeckte am Schnittpunkt der Zubringerstraße B 49 mit der Autobahn den verwitterten Gasthof »Zur schönen Aussicht«, der dort seit fast 100 Jahren auf einem Pfefferhöhe geheißenen Hügel bäuerliche Kundschaft bedient.

Mit der »Schönen Aussicht« hatte Karbe genau jenes kaum vorstellbare Objekt gefunden, das sich an allen Klippen des Gesetzes vorbeisteuern ließ. Der Gasthof lag nahe genug an der Autobahn, um ein reguläres Rasthaus abzugeben, aber gerade eben außerhalb der dem Bund vorbehaltenen absoluten Verbotszone von 40 Metern - die Entfernung beträgt 40,20 Meter.

Der Zugang öffnete sich nicht unmittelbar zur Autobahn, sondern zum Zubringer, der Bundesstraße 49, und für Bundesstraßen gelten weniger rigorose Baubestimmungen. Auch eine Beeinträchtigung der Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs war durch Karbes Bauvorhaben nicht zu erwarten. Folglich bedurfte der Alfelder nur der Genehmigung der hessischen obersten Straßenbaubehörde, die ihm ebenfalls laut Fernstraßengesetz beim Fehlen verkehrstechnischer Einwände nicht versagt werden durfte.

Den vielversprechenden Fund verdankte Karbe nun nicht allein seiner einschlägigen Gesetzeskenntnis, sondern mindestens in gleichem Maße der Bundesautobahnverwaltung und der Gesellschaft für Nebenbetriebe. Ursprünglich war nämlich der Zubringer nicht auf der 350 Meter hohen Pfefferhöhe, sondern im Tal des Liederbachs geplant gewesen, wo man auch schon das benötigte Gelände gekauft hatte. 1955 wurde dann die Trasse aus technischen Erwägungen und mit zusätzlichen Kosten von 1,8 Millionen Mark auf die Pfefferhöhe und damit vor die Tür der »Schönen Aussicht« verlegt.

Überdies erinnert sich der Leiter des Autobahnamts in Frankfurt, Oberbaurat Jargesberger, daß er der Gesellschaft für Nebenbetriebe - sie wird von den beurlaubten Bonner Ministerialbeamten Dr. Kornmesser und Dr. Sander dirigiert - mehrfach den Bau eines Rasthauses am Alsfelder Zubringer empfohlen habe, jedoch ohne Erfolg.

So hatte Karbe konkurrenzlos freie Bahn, als er einen Tag nach seiner Luftaufklärung vor dem Bauerngasthof vorfuhr. Es fiel ihm nicht schwer, das betagte, kinderlose Eigentümerehepaar Herterich mit dem Angebot eines komfortablen Lebensabends-Leibrente und Eigenheim - zum Verkauf geneigt zu machen.

Nachdem er so ins Geschäft gekommen war, bereitete dem Rasthaus -Planer auch das bald anhebende Murren an Alsfelder Stammtischen keine Sorgen mehr. Weder die Gastronomie noch die Stadtverwaltung von Alsfeld war des Projekts froh, teils aus Konkurrenzfurcht, teils, weil das zur Gemarkung der Gemeinde Liederbach gehörige Rasthaus seine Kommunalsteuern an jenes Dorf und nicht nach Alsfeld abführen würde.

Aus solchen Kümmernissen sowie aus der frappanten Tatsache, daß Karbe überhaupt an der Autobahn bauen konnte, und aus dem inzwischen auch in Alsfeld bekanntgewordenen Adenauer-Bild mixte die Lokalfama finstere Gerüchte: Allerhöchste Bonner Weisungen hätten bei der Verlegung des Zubringers auf die Pfefferhöhe und bei der Baugenehmigung für Karbe eine Rolle gespielt. Des Kanzlers Schwiegersohn, Nachwuchsarchitekt Multhaupt, sei der Entwerfer und eigentliche Bauherr des Rasthauses.

In Wirklichkeit waren es die sehr viel namhafteren Kasseler Architekten Bode und Brundig, deren Pläne Karbe zur Baugenehmigung vorlegte. Bei der Gesellschaft für Nebenbetriebe kannte man die Herren deshalb besonders gut, weil sie bereits das bundeseigene Rasthaus an der Autobahnauffahrt Kassel -Söhre entworfen hatten. Dieser Karbesche Stich machte die Bonner um so weniger geneigt, den Sieg des gesetzeskundigen Alfelders ohne Kampf hinzunehmen. Weiß Oberbaurat Jargesberger: »Der Bund war sehr böse.«

Der Bonner Zorn wuchs um so mehr, je grandioser das Projekt des erfolgssicheren Unternehmers wurde. Die vom Gesetz nicht verbotene Erweiterung vorhandener Anlagen sah bei Karbe schließlich so aus, daß auf einem durch Zukäufe arrondierten Gelände von 25 000 Quadratmetern die alte »Schöne Aussicht« nur noch die Rolle eines kümmerlichen Nebengebäudes spielte.

Mit 177 Betten in einem sechs Stockwerke hohen Hotelbau, Klimaanlage, automatischer Weckeinrichtung und ähnlichen großstädtischen Attributen übertrumpfte Karbes Planung die Bundesmonopolbetriebe bei weitem. Vor allem die nächstgelegenen Rasthäuser Rimberg und Reinhardshain mußten naturgemäß unter solcher Konkurrenz leiden.

In Bonn etwa gehegte Hoffnungen, dem Franz Albert Karbe werde die finanzielle Durchhaltekraft fehlen, mußten aufgegeben werden, als zwei Wohngenossen des künftigen Rasthauses Pfefferhöhe bekanntwurden: Die Commerzbank wird in dem Karbe-Rasthaus einen Schalter einrichten und die Deutsche Gasolin-Nitag AG dort eine Tankstelle betreiben.

Ein Jahr lang, bis zum Frühjahr 1959, ließen die Herren der Autobahn den Monopolbrecher um die Baugenehmigung antichambrieren, ehe sie ihre Niederlage eingestanden. Immerhin konnte die Autobahnverwaltung noch einige Gegentreffer landen. So ließ sie Karbe beispielsweise monatelang bangen, ob sich die wichtigste Voraussetzung für sein Projekt realisieren werde - die Genehmigung zur Aus- und Einfahrt der Gäste über die Bundesstraße 49, an der die Front des Rasthauses liegt. Auch wurde eine Kläranlage des kostspieligsten Typs zur Auflage gemacht, so daß sich künftig die gereinigten Abwässer von der Pfefferhöhe im Liederbach mit den ungeklärten Abwässern der Dorfgemeinde gleichen Namens mischen werden.

Einen bleibenden Triumph über Franz Albert Karbe konnten die Autobahn -Monopolisten jedoch nur auf einem Nebenkriegsschauplatz erringen. Sie versagten ihm nicht nur das Recht, an der Autobahn-Werbung zu treiben, sondern auch eine Annehmlichkeit, die anderen Betrieben gemeinhin zugestanden wird: Karbe darf seine Reklameschilder nicht einmal in den »zur Bundesstraße 49 gehörigen Luftraum« hängen.

Autobahn-Hotelier Karbe

Dem Verbot ...

... um 20 Zentimeter entronnen: AutobahnHotel Pfefferhöhe

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