System vor dem Kollaps Lauterbach kündigt Unterstützung für Kinderkliniken an

Kinderkliniken und Kinderarztpraxen sind am Limit. Gesundheitsminister Lauterbach verspricht Unterstützung. Auch Maßnahmen gegen Lieferengpässe bei Medikamenten sollen kommen. Allein: Schnelle Abhilfe ist nicht in Sicht.
Vater mit seinem Sohn in einer Kinderklinik: Lauterbach verspricht Unterstützung

Vater mit seinem Sohn in einer Kinderklinik: Lauterbach verspricht Unterstützung

Foto: Christoph Soeder / dpa

Kinderarztpraxen sind völlig überlaufen, in vielen Kinderkliniken gibt es keine freien Betten mehr, Eltern warten stundenlang mit kranken Kindern in Notaufnahmen: Die medizinische Versorgung Minderjähriger ist vielerorts derzeit schwierig. Die Bundesregierung will nun rasch Abhilfe schaffen.

»Wir werden es nicht zulassen, dass die Kinder, die in der Pandemie so viel aufgegeben haben, jetzt nicht die Versorgung bekommen, die sie brauchen«, sagte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in Berlin.

Geplant sind Regelungen, um mehr Pflegekräfte in Kliniken zu finanzieren und Mehrarbeit überlasteter Praxen besser zu honorieren. Zudem sind Maßnahmen gegen Lieferengpässe bei manchen Medikamenten vorgesehen.

Geplant ist zunächst weitere Unterstützung für Kinderarztpraxen und Kinderstationen, die wegen einer Welle an Atemwegsinfekten gerade vielerorts überfüllt sind.

  • So sollen in Kinderkliniken Honorarkräfte in der Pflege angeworben werden können und dann zu hundert Prozent abrechenbar sein, wie es aus dem Ministerium heißt.

  • Für Ärzte und Ärztinnen in Kinderpraxen sollen Mehrleistungen nach festen Preisen komplett honoriert werden – ohne Abschläge wegen Budgets mit Obergrenzen.

  • Um die Kinderheilkunde für Ärzte attraktiver zu machen, soll sie auch dauerhaft von Vergütungsbudgets ausgenommen werden.

Karl Lauterbach im Bundestag: »Wir werden es nicht zulassen, dass die Kinder, die in der Pandemie so viel aufgegeben haben, jetzt nicht die Versorgung bekommen, die sie brauchen«

Karl Lauterbach im Bundestag: »Wir werden es nicht zulassen, dass die Kinder, die in der Pandemie so viel aufgegeben haben, jetzt nicht die Versorgung bekommen, die sie brauchen«

Foto: MICHELE TANTUSSI / REUTERS

Falls bisherige Hilfen nicht reichen sollten, wären weitergehende Schritte denkbar. Lauterbach sprach davon, gegebenenfalls planbare Eingriffe für Erwachsene auszusetzen, »sodass wir den Kindern die Versorgung geben können, die sie benötigen«.

Eltern können Termine für Vorsorgeuntersuchungen verschieben

Wegen der angespannten Lage können Eltern ab sofort auch bestimmte Vorsorgeuntersuchungen für ihre Kinder vorübergehend verschieben. Die Untersuchungen U6 bis U9 für Kinder bis sechs Jahren können vorerst auch nach den vorgesehenen Zeiten und Toleranzzeiten wahrgenommen werden, wie der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken mitteilt.

Dies sieht eine bis 31. März 2023 geltende Ausnahmeregelung vor. Verschobene Untersuchungen können demnach bis 30. Juni 2023 nachgeholt werden. Die Untersuchungen U1 bis U5 für Babys müssen aber in den vorgesehenen Zeiten wahrgenommen werden.

Auch Lieferprobleme bei Medikamenten betreffen gerade unter anderem Kinder, es geht etwa um Fiebersaft. Um gegenzusteuern, will Lauterbach in der kommenden Woche einen Gesetzentwurf vorstellen. Aktuell gebe es Lieferengpässe auch bei Krebsmedikamenten und Antibiotika, erläuterte er: »Wir sind auch in diesem Bereich mit der Ökonomisierung zu weit gegangen.« Der Preis habe die alleinige Rolle gespielt, die Verfügbarkeit von Arzneimitteln eine zu geringe Rolle: »Das wollen wir aufheben.«

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte schildert die Lage in drastischen Worten – und fordert Sofortmaßnahmen der Regierung. »Es ist ein Armutszeugnis, dass so simple Medikamente wie ein Fiebersaft häufig nicht mehr verfügbar sind«, sagte Verbandspräsident Thomas Fischbach der »Rheinischen Post«.

Schnelle Abhilfe bei fehlenden Medikamenten nicht in Sicht

Die derzeitige Welle an Atemwegserkrankungen führt Fischbach zufolge zu einer sehr hohen Nachfrage nach fiebersenkenden Medikamenten wie Ibuprofen oder Paracetamol. Fischbach berichtete von verzweifelten Eltern. »Es gibt zu wenige Anbieter solcher Mittel, weil die Festpreisregelung bei uns zu einem Abwandern der Produktion in Billiglohnländer wie Indien und China geführt hat«, sagte der Kinderarzt. »Dort gibt es nun Lieferkettenprobleme, was wiederum zu Lieferengpässen führt.«

Schnelle Abhilfe ist nicht zu erwarten. Deutschlands oberste Apothekerin, Gabriele Regina Overwiening, sieht kein rasches Ende der Lieferengpässe. »Solange wir globale Krisen haben, wird es schwierig bleiben. 300 bis 400 Arzneimittel sind derzeit nur schwer oder gar nicht lieferbar, vor der Coronakrise lag diese Zahl bei 110 pro Apotheke. Das wird nicht schnell besser werden«, sagte die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände dem SPIEGEL .

Die Produktion von Arzneimitteln zurück nach Deutschland zu holen, sei »ein edler, aber auch ein frommer Wunsch«, so Overwiening. »Das würde vermutlich niemand bezahlen wollen; es müsste Know-how zurückgeholt werden, ganze Produktionsbetriebe müssten geschaffen werden.«

ptz/dpa
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