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SPD/NIEDERSACHSEN Karl macht das

In Niedersachsens SPD wächst der Unwille gegen den Genossen Karl Ravens. Der Bauminister, der 1978 als SPD-Spitzenkandidat die Landtagswahlen gewinnen soll, hält sich in Bonn oft für unabkömmlich.
aus DER SPIEGEL 3/1977

Auch die Genossen aus den fernsten Ecken des Landes waren pünktlich zur Stelle. Als sie im Gästehaus von Salzgitter ihre Akten auspackten, fehlte, wieder einmal, nur einer: Karl Ravens, Bauminister in Bonn und Spitzenkandidat der niedersächsischen Sozialdemokraten, hatte wegen Glatteis die Kurve nicht gekriegt. Statt, wie verabredet, am Vormittag, so wurde telephoniert, könne der Minister erst am Nachmittag eintreffen.

Die zwei Dutzend Teilnehmer der Klausurtagung des Vorstandes der SPD-Landtagsfraktion warfen ihre Tagesordnung um. Punkt 1, die Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und FDP in Hannover, war gerade auf 15 Uhr verschoben worden, als es aus Bonn abermals anklingelte: Ravens, hieß es, könne erst morgen kommen.

Doch am Ende kam Ravens, der die Niedersachsen-SPD bei den Landtagswahlen Mitte kommenden Jahres wieder an die Macht bringen und den CDU-Star Ernst Albrecht schlagen soll, überhaupt nicht: Der Achtzehn-Stunden-Mann, wie er sich nennen läßt. war in Bonn unabkömmlich.

»Ich stehe zur Verfügung«, pflegt Ravens seinen niedersächsischen Parteifreunden unentwegt zuzurufen, seit er im Februar vergangenen Jahres nach zwei Niederlagen des SPD-Kandidaten Helmut Kasimier zur dritten Abstimmung im Landtag gegen Ernst Albrecht antrat und gleichfalls verlor.

Und: »Wir sind ja nicht Sklaven von Umständen. Umstände können wir ändern«, sagt er, auch im Tonfall ähnlich wie Helmut Schmidt, um sich als Macher auszuweisen. Die Formel »Karl macht das« gilt in einer Ravens-Biographie sogar als »Gediegenheitssiegel«.

Doch wenn er, wie allzuhäufig, zwischen Bonner Terminen und niedersächsischen Pflichten abzuwägen hat, entscheidet er sich, freilich nicht ohne Not, meist für Präsenz in Bonn. so daß die hannoverschen Genossen schon im Kalender anstreichen, wenn ihr Karl es geschafft hat, doch mal dabeizusein.

Wäre Ravens nur dagewesen, hätte, Anfang Dezember, im Gästehaus von Salzgitter nicht nur die leidige Terminfrage, sondern auch ein Ravens-Problem diskutiert werden können, das womöglich noch heikler ist und durch den Abschluß der CDU/FDP-Koalitionsgespräche gerade besonders aktuell geworden war: wie Ravens eigentlich die janusköpfige Rolle spielen will, als sozialliberaler Bundesminister Liebkind der FDP in Bonn zu sein, als SPD-Spitzenmann in Hannover aber nicht allein gegen die CDU, sondern auch gegen die niedersächsische FDP zu Felde zu ziehen. Denn die FDP muß schon unter fünf Prozent geknockt werden, wenn die Sozialdemokraten die absolute Mehrheit bekommen wollen.

Wie das wohl laufen wird, hat sieh Wolfgang Pennigsdorf, SPD-Frak-

* Nach verlorener Ministerpräsidenten-Wahl in Hannover am 6. Februar 1976: mit Ehefrau und dem ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Kubel.

tions-Vize im Landtag zu Hannover, so überlegt: »Wenn Karl hier bei uns den Wilden spielt, dann nimmt Genscher in Bonn den Helmut Schmidt beiseite, das doch bitte abzustellen. Und was sagt Helmut dann? Der sagt: »Karl, kurve da mal nicht so rum.«

Vom ZDF-»Länderspiegel« gebeten, über die niedersächsische SPD in der Opposition »mal was Kritisches« zu äußern, ergriff Pennigsdorf kürzlich die Gelegenheit, »gewisse Schwierigkeiten« der Ravens-Position darzulegen. Zwei Fragen des Interviewers. wer denn hei der SPD nun »Nummer 1 in Hannover« sei, beantwortete Pennigsdorf noch mit diplomatischem Geschick. Beim dritten Anlauf konnte er nicht mehr anders: »Herr Ravens«. teilte Pennigsdorf dem TV-Publikum mit, »muß sieh entscheiden, und zwar in den nächsten Tagen und Wochen, hier in Niedersachsen Oppositionspolitik zu machen.«

Der Satz machte Wirbel: Im tiefen Innern erleichtert, daß endlich einer den Mut aufgebracht hatte, das Tabu anzurühren, nach außen hin ungehalten über solch unsolidarisches Verhalten, diskutierten die Genossen in der Landtagsfraktion zwei Tage lang über nichts als Ravens, und diesmal war der Spitzenkandidat wirklich persönlich zugegen.

So feierlich wie einst im Februar, als mit Ravens der Retter aus aller Not gekommen schien und die Abgeordneten nach Traurigkeit und Tränen erstmals »wieder ein bißchen Glitzern in den Augen« hatten, wie einer die Stimmung beschrieb, ging es nun freilich nicht mehr zu. Allzu deutlich war geworden, daß mit einem allenfalls halben Ravens kein Staat gemacht und keine Wahl gewonnen werden kann, daß auch Ravens-Appelle nach der Art von »Kopf hoch, Ärmel aufkrempeln und arbeiten« auf Dauer kein Ersatz für Politik vor Ort sein können.

Und abermals war es der Abgeordnete Pennigsdorf, der mit einem munteren Vorschlag den Weg aus dem Dilemma wies: Die niedersächsische SPD sollte ein Jahr lang auf ihren Karl verzichten, Ravens sich ganz und gar als Bonner Bauminister betätigen und zu Beginn des kommenden (Wahl-)Jahres sein Amt niederlegen und nur noch für Niedersachsen wirken.

Vor die Alternative gestellt, als Minister vorzeitig zurückzutreten und als »politischer Rentner« (so Ravens) in den Wahlkampf zu ziehen oder bis zum Wahltag in Bonn zu amtieren und in Niedersachsen unterdes weiterhin »Jet-Set-Opposition« (so ein SPD-Abgeordneter) zu treiben, entschied Ravens, es sei dies »jetzt kein Thema«. Nur soviel war ihm zu entlocken: »Wenn es erforderlich sein sollte«, sei er bereit, »nach 1978 auch aus der Opposition heraus die Führung der SPD im niedersächsischen Landtag zu übernehmen.«

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