UMFRAGE Karo Drei
Zwischen Richtfest und Weihe der neuen evangelischen Johannis-Kirche in Mülheim an der Ruhr überkam die frommen Bauherren der Zweifel, ob die 900 000 Mark für dieses Bauwerk richtig angelegt seien. Die Johanniter hielten Umfrage: »Hat es noch Sinn, daß eine Gemeinde eine Kirche -baut - oder muß der Mensch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein solches Vorhaben ablehnen?« Die »nicht alltägliche Frage« wurde 100 Prominenten unterbreitet, von Brigitte Gerstenmaier (geborene von Schmidt) bis Victor de Kowa ("Peter Voß, der Millionendieb"), von Gertrud von le Fort ("Das Schweißtuch der Veronika") bis Wolfgang Neuss ("Das Jüngste Gerücht"). 40 Antworten gingen ein und wurden in der Einweihungs-Festschrift der Johannis - Gemeinde veröffentlicht.
Kabarettist Wolfgang Neuss gab ein »striktes Nein« zur Post - weil in Berlin neuerdings Kirchenbauten mit Strahlenschutzräumen versehen würden. Neuss:
»Das eine macht das andere überflüssig - das Untere das Obere, der Schutzraum die Kirche!« Und dem Rekord-Läufer Helmut Körnig (1930: 200 Meter in 21,0 Sekunden) schien die Frage so albern, daß er sie zurückwies: »Sie beantwortet sich doch ganz einfach aus der Tatsache heraus, daß Sie die Kirche gebaut haben und einweihen werden.«
Der Düsseldorfer Architekt Professor Hentrich fand die Frage zwar »etwas töricht«, stimmte aber ebenso mit Ja wie Sportbund-Präsident Willi Daume, der allerdings seine Verwirrung verbergen konnte: »Ich verstehe nicht, daß eine solche Frage nun ausgerechnet von seiten der Kirche kommt. Sie müßte es doch selbst am besten wissen, daß es 'noch Sinn' hat.«
Weitaus die meisten Einsender waren Ja-Sager - der britische Bildhauer Henry Moore ("selbstverständlich") wie Freidemokrat und Freimaurer Thomas Dehler ("Ich bejahe Ihre Frage"), der Preußen-Prinz Louis Ferdinand ("nicht nur sinnvoll, sondern absolut notwendig") wie der ungarische Komponist Zoltán Kodály ("wohl noch"), Ford-Chef Henry Ford II ("meine Glückwünsche") wie VW-Chef Heinrich Nordhoff ("klare, positive Antwort"), Frühschöppner Werner Höfer ("Platz zwischen Gott und der Welt") wie Bundesverteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel: Wie notwendig ein Ja sei, wisse niemand »besser als der Soldat und der Politiker«.
So genau freilich wie von Hassel und angeblich auch seine Christen in Uniform wissen es Christen im Talar nicht. Denn der frühere hessische Kirchenpräsident Martin Niemöller schränkte das Ja ein. Er verwies in seinem Eingesandt die Mülheimer darauf, daß man neue Kirchen nur für eine kleine Minderheit von Kirchgängern baue - für etwa 15 Prozent der registrierten Christen, »wenn man es sehr hoch anschlägt«.
Und der Göttinger evangelische Theologieprofessor Götz Harbsmeier schockte die »sehr verehrten Herren und Brüder« in Mülheim mit einem düsteren Bild: »Es gibt neue Kirchen, die wie ein Mausoleum wirken, in dem sich eine Gemeinde selbst mumifiziert.« Dort wehten dann die »Lüfte des Todes«.
Den Vergleich neuer Kirchen mit Leichenhäusern machte sich die Mülheimer Johannis-Gemeinde nicht zu eigen. Sie illustrierte die Festschrift mit Photos ihrer modernen Kirche und mit einer Photomontage, die eine Kirche als Kartenhaus zeigt. Im Turm sitzt Christus neben Kreuz As und Karo Drei. Im Kirchenschiff wird Roulett gespielt.
Illustration der Mülheimer Kirchen-Festschrift: »Törichte Frage«
von Hassel
Brigitte Gerstenmaier
Höfer
Daurne
Neuss
Nordhoff
Teilnehmer der Mülheimer Kirchen-Umfrage: »Positive Antwort«
Mülheimer Johannis-Kirchturm
»Lüfte des Todes«