BORGWARD Katastrophen-Dienstag
In der vergangenen Woche mußte Westdeutschlands renommiertester Einzelkaufmann der Automobilindustrie, der mexikanische Honorarkonsul Carl F. W. Borgward in Bremen, auf schmerzliche Weise erfahren, daß ein geflügeltes Wort der Hansestadt sich unversehens ins Gegenteil verkehrte. Hatte es von Bremens größtem Unternehmen immer geheißen: »Wenn Borgward hustet, wackelt der Senat«, so war es diesmal anders. Ein mißtrauisches Räuspern des Senats bewirkte, daß ein Zehn-Millionen-Mark-Kredit nicht ausgezahlt wurde und das Unternehmen Borgward zu wackeln anfing.
Die Ereignisse um die Borgward -Gruppe - sie beschäftigt 23 Prozent aller Industrie-Arbeitnehmer in dem Stadtstaat - lieferten der westdeutschen Presse Anlaß zu düsteren Hinweisen, die bis auf den berüchtigten Konkurs des Bremer Nordwolle-Konzerns zurückreichten, von dem im Jahre 1931 die Krise der deutschen Banken ausging. Die Hamburger »Welt« entsetzte sich: »Über 200 Millionen Mark Schulden bei der Borgward-Gruppe« und die »Abendpost« in Frankfurt zeigte soziale Ängste: »19 000 bangen um ihren Lohn.«
Das spektakuläre Ereignis drang bis in das Bewußtsein der höchsten Bonner Autoritäten: Bundeskanzler Adenauer ließ sich eigens von Vizekanzler Erhard über die Lage der Borgward-Unternehmen berichten.
Daß die Finanzen des eigenwilligen Automobilbauers in Bremen angespannt sind, ist zumindest seit dem vergangenen November bekannt, als der Konsul erstmalig seinen ansehnlichen Grundbesitz belasten und sich mit 50 Millionen Mark Grundschuld flüssige Mittel verschaffen mußte. Auch darüber, daß der ehemalige Autoschlosser Borgward sein Interesse am Konstruieren neuer Automodelle über die vertrackten Probleme der Finanz- und Verkaufspraktiken zu stellen pflegte, war der Öffentlichkeit einiges bekanntgeworden (SPIEGEL 51/1960).
Während diese Neigung Borgwards in den Zeiten der Automobil-Hochkonjunktur dem Unternehmen keinen ernsthaften Schaden zufügen konnte, wirkte sie sich angesichts der Absatz- und insbesondere Exportschrumpfung im vergangenen Jahr äußerst nachteilig auf die Finanzsituation aus. Außer der kostspieligen Vielzahl von Modellen, die Borgward am Reißbrett schuf und kraft seiner Alleininhaberschaft auch in die Serienproduktion gab, waren es der anfängliche Mißerfolg seiner Arabella-Wagen, der scharfe Absatzrückgang der kleinen 500-Kubikzentimeter -Lloyds sowie die Investition von 30 Millionen Mark für ein neues 2,3-Liter -Fahrzeug, die ein großes Loch in seine Kasse rissen.
Ende Dezember standen auf Borgwards Fabrikhöfen und für diesen Zweck gemieteten Bauernwiesen 14 025 unverkaufte Fahrzeuge seiner drei Firmen Borgward, Lloyd und Goliath. Daß der übliche Verkaufsrückgang im Winter die Bremer sehr viel stärker getroffen hatte, als andere Automobilwerke, ist daran ersichtlich, daß diese 14 025 Autos ein Viertel aller auf den Fabrikhöfe* abgestellten Fahrzeuge der westdeutschen Automobilunternehmen ausmachen, Borgwards Produktionsanteil aber nur 6 Prozent beträgt.
Am Jahresende schlossen die Bilanzen der drei, Produktionsgesellschaften mit 30 Millionen Mark Verlust. Die 50 Millionen Mark Grundschuld zu Lasten der Stammfirma Carl F. W. Borgward sollten nach den Worten des Borgward -Finanzdirektors Carstens die Zeit überbrücken, bis »die Sonne wieder höher steigt«.
Obwohl Konsul Borgward die Produktion drosselte und 2000 Arbeiter entließ, erwiesen sich die aufgenommenen Gelder für diesen Zweck als unzureichend. Noch im Dezember beantragte das Unternehmen deshalb bei der Bremer Landeszentralbank weitere 30 Millionen Mark Kredit, um Löhne, Gehälter und die zum Teil bereits überfälligen Rechnungen von Lieferanten bezahlen zu können. Für jeden der drei Wintermonate sollten zehn Millionen Mark ausgezahlt werden. Nachdem Borgward den Bremer Staatsbankiers den geforderten Revers unterschrieben hatte, dem zufolge die Bank das Recht auf Einsicht in die Bücher erhielt, konnte er die Dezember-Rate von zehn Millionen Mark in Empfang nehmen.
Unabhängig von dieser Kreditspritze verhandelten Borgward und Carstens mit dem Senat über eine Umgründung der drei Fabrikationsunternehmen zu einer Aktiengesellschaft. Nach langem Zögern hatte sich der Alleininhaber Borgward zu diesem Schritt entschlossen, um durch die Heranziehung kapitalkräftiger Mitaktionäre dem Unternehmen neue Geldmittel zuzuführen.
Da jedoch durch Borgwards Desinteresse an Fragen der kaufmännischen Betriebsführung die noch bis vor etwa Jahresfrist gegebene. Möglichkeit einer steuerbegünstigten Firmen-Umwandlung verpaßt war und nunmehr für die Übertragung der Borgwardschen Grundstücke auf die neue AG 12,5 Millionen Mark Grunderwerbssteuer fällig würden, kamen diese Verhandlungen nicht recht voran. Der Konsul drang darauf, daß das Land Bremen auf die Zahlung der Steuer verzichte. Unter der Androhung, er werde einige Tausend Arbeiter entlassen oder seine Betriebe in Gebiete außerhalb des Stadtstaates Bremen verlagern, hatte Borgward den Senat in früheren Jahren mehrfach zu Zugeständnissen dieser Art bewegen können.
Diesmal indes blieb die Bremer Finanzverwaltung hart. Als Konsul Borgward vor Weihnachten gemeinsam mit seiner Ehefrau Elisabeth Gelegenheit nahm, Bremens Bürgermeister und Senatspräsidenten Wilhelm Kaisen die unvermindert anhaltenden Liquiditätsschwierigkeiten des Unternehmens zu erläutern und an den Steuererlaß zu erinnern, begannen sich in den Sanierungsbemühungen des Senats einerseits und des, Automobilunternehmers andererseits deutliche Unterschiede abzuzeichnen.
Regierung und Verwaltung in Bremen bezweifelten, daß das Unternehmen unter Carl Borgwards Geschäftsführung Anschluß an die rettende Frühjahrsbelebung gewinnen würde. Als Anfang Januar die zweiten zehn Millionen Mark Überbrückungskredit fällig wurden, zeigte die staatliche Landesbank deshalb bereits eine merkliche Reserve. Erst nachdem der Senat für die Hälfte der Kreditsumme eine Bürgschaft übernommen hatte, floß das Geld.
Des Siebzigjährigen naiver Optimismus ("Wir haben gar nicht zuwenig Geld, nur zu viele Wagen") machte im Bremer Rathaus keinen Eindruck mehr. Mit immerhin 15 Millionen Mark im Risiko - zehn. Millionen Mark hatte der Senat für das Grundschuld-Darlehen und fünf Millionen Mark für die Januar-Rate verbürgt -, beauftragte Kaisen den Wirtschaftssenator Karl Eggers, eine Vorlage auszuarbeiten, nach der »die gesetzlichen Möglichkeiten zur Stützung eines Bremer Industrieunternehmens« geschaffen werden sollten.
Ohne den Firmennamen Borgward hineinzuarbeiten, formulierte Eggers den Entwurf und legte ihn am 16. Januar der Wirtschafts-Deputation, einen Tag später der Finanz-Deputation vor. Beide Ausschüsse stimmten zu. Vor dem autokratischen Unternehmer Borgward hielten die Bremer Einzelheiten ihrer Absichten geheim. Sie planten, das angeschlagene Unternehmen von einer Auffang-Gesellschaft übernehmen zu lassen und Borgward soweit wie möglich von der künftigen Geschäftsführung auszuschließen.
Dem Konsul kamen über diesen Plan nur Gerüchte zu Ohren. Andererseits wurde ihm durch Kaisen selbst bekannt, daß der Senat auch bei der Bundesregierung um eine Sanierungshilfe einzukommen gedachte. Auf einen schriftlichen Hinweis Kaisens antwortete Carl Borgward am 21. Januar ausdrücklich in einem Schreiben: »Ich bin gern damit einverstanden, daß Sie mit dem Bund oder anderen kompetenten Stellen vorbereitende Verhandlungen darüber aufnehmen, auf welchem Wege das Ziel (die Sanierung) erreicht wird.«
Borgward, der seinerseits erfolglos Sanierungs-Verhandlungen mit VWGeneraldirektor Nordhoff und Vertretern der Automobilfirma Ford führte, bat Kaisen darum, ihn umgehend von dem Ergebnis seiner Besprechungen in Bonn-zu unterrichten, um »sehr schnell Entscheidungen zu treffen«. Am 25: Januar morgens um 8.30 Uhr überreichte er dem Bürgermeister im Rathaus zusätzlich eine Vollmacht für die Bonn-Verhandlungen, und Kaisen nahm den Zug um 11.30 Uhr.
Bundeswirtschaftsminister Erhard erläuterte dem Sozialdemokraten Kaisen während der Audienz, wie schwierig das Bremer Anliegen mit der wirtschaftspolitischen Konzeption der Bundesregierung zu vereinbaren sei. Gerade in einem Augenblick, in dem Bonn das Volkswagenwerk durch die Ausgabe von Volksaktien in Privateigentum überführe, könne sich der Bund nicht mit einer Kapitaleinlage an einem anderen Unternehmen der Automobilbranche beteiligen. Erst wenn das Land Bremen das Seine zu der Sanierung Borgwards getan habe, könne man über eine indirekte Hilfe, etwa in Form von Bürgschaften, sprechen.
Auch Finanzsenator Nolting-Hauff, der anschließend im Bonner Bundesfinanzministerium vorstellig wurde; brachte die Nachricht mit nach Hause, der Bund betrachte den Fall Borgward zunächst als eine Angelegenheit des Landes Bremen.
Von Bonn im Stich gelassen und mithin allein dem selbstbewußten Borgward gegenüber, der durch sein Hinauszögern. der Umwandlung die 12,5 Millionen Mark fälligen Steuern herauszuschlagen gedachte, reagierten die besorgten Stadtstaatväter einigermaßen panisch. Als die Landesbank sich anschickte, die am 5. Februar fällige dritte Zehn-Millionen-Rate anzuweisen und nachfragte, ob der Senat den Betrag verbürge, hieß es im Rathaus: Es wird nichts mehr verbürgt und nichts zur freien Verfügung Borgwards ausgezahlt.
Statt dessen marschierte die Bremer Regierung im Geeschwindschritt auf eine Lösung gemäß ihrer Gesetzesvorlage zu.
Am Montag, dem 30. Januar, umriß Wirtschaftssenator Eggers vor Bremer Journalisten die Lage und die in Aussicht genommenen Maßnahmen: Die Firma Borgward sei erheblich verschuldet. Sie habe rund 200 Millionen Mark Schulden, davon etwa 80 Millionen Mark Bankverpflichtungen und 120 Millionen offenstehende Rechnungen der Lieferanten. Von den Forderungen der insgesamt 2200 Gläubiger seien mehr als die Hälfte überfällig. Es müsse mit einer Einstellung der Zahlungen, möglicherweise sogar damit gerechnet werden, daß Löhne und Gehälter nicht rechtzeitig gezahlt werden könnten.
Angesichts dieser Situation plane der Senat die Errichtung einer Auffang-Gesellschaft in Form einer AG, die mit einem Kapital bis zu 50 Millionen Mark ausgerüstet werden solle. Es werde nunmehr an Dr. Borgward liegen, dieser neuen Gesellschaft eine Generalvollmacht auszustellen und ihr die Geschäftsführung zu übertragen.
Eggers erklärte am Mittwoch, dem 1. Februar, werde die Bürgerschaft über die Vorlage beraten, so daß die Zeitungen frühestens am Donnerstag, dem 2. Februar, über den Sanierungsplan berichten dürften.
Die Hamburger »Welt« indes, die auch auf Informationen über den mißlungenen Vorstoß Kaisens in Bonn fußte, war Im Begriff, ohne Rücksicht auf die Sperrfrist über den Plan zu berichten. Obwohl Eggers verzweifelt mit dem Leiter des Wirtschaftsressorts der »Welt«, Dr. Pentzlin in Hamburg, telephonierte, war die Veröffentlichung nicht mehr zu verhindern, und auch die anderen Tageszeitungen hielten sich daraufhin nicht mehr an den Termin. Noch am Montag gaben die Vereinigten Wirtschafts-Dienste eine Meldung heraus, in der es hieß: »Wenn es nicht gelingt, die Auffang-Gesellschaft zu gründen, dann werden in der kommenden Woche in Bremen voraussichtlich 20 000 Arbeiter arbeitslos.«
Mit einigem Grund nennt man den Dienstag vergangener Woche im Hause Borgward den »Katastrophen-Dienstag«. Nicht nur, daß die Alarmmeldungen in den Zeitungen Käufer und Lieferanten der Bremer Gruppe zu Entschlüssen veranlaßten, die den bisherigen Absatz- und Zahlungsschwierigkeiten neue hinzufügen; im Auftrag des Senats traf an diesem Tage auch der von der Henschel- und BMW-Sanierung her bekannte Wirtschaftsprüfer Dr. Johannes Semler als eine Art Revisor in Bremen ein. Gestützt auf den von Carl Borgward ich Dezember unterschriebenen Revers, begann er Kasse, Bücher und die Auto-Halden einer Inspektion zu unterziehen.
Das Eintreffen des Branchen-Totenvogels Semler war für das Renommee der Bremer ebenso schädlich wie die Alarmnachrichten des Senators Eggers in den Zeitungen. Carl Borgward war an diesem Tag für seine in Scharen anrufenden Gläubiger nicht zu sprechen und kommentierte die zur Unzeit publik gewordenen Auffang-Pläne: »Da machen sie mir ja 20 000 Menschen kaputt.« Seinen Anwalt Dr. Lüthke ließ er versichern: »Wir wußten von nichts und haben auch inoffiziell, vom Senat keine Nachricht über die geplante Auffang-Gesellschaft erhalten.«
Finanzdirektor Otto Carstens protestierte leidenschaftlich gegen die Bezeichnung Auffang-Gesellschaft, »weil sie nach Pleite riecht«. Ebenso wie sein Chef vertrat er noch vergangene Woche die Auffassung, was Botgward fehle, seien lediglich die zehn Millionen Mark Liquiditätshilfe für den Monat Februar, dann werde man schon den Anschluß finden.
Der Senat teilt diese Hoffnung nicht mehr. Nach seinen Intentionen soll der Sanierungsexperte Semler Vorsitzender des Aufsichtsrates der Auffang-AG werden und die notwendigen Rationalisierungsmaßnahmen - vor allem eine Begrenzung der Vielzahl von Typen und wahrscheinlich den Abbau von 5000 bis 6000 Arbeitskräften - in die Wege leiten, ohne daß Borgward Einsprüche erheben könnte. Die Sanierung, so hieß es, verlange nicht zuletzt »ein Opfer von demjenigen, der bisher in dem Unternehmen verantwortlich zeichnete«.
Ohne Debatte stimmte die Bremer Bürgerschaft am vergangenen Mittwoch der Vorlage über die Auffang-Gesellschaft zu. In einer Erklärung heißt es: »Nach diesem Beschluß sind Bürgerschaft und Sehat entschlossen, die Unternehmen der Borgward-Gruppe zu stützen, wobei es in erster Linie auf die Mitwirkung von Herrn Borgward selbst ankommt.«
Über das Angebot wurden am vergangenen Wochenende zwischen Senatsvertretern und dem Alleininhaber die Verhandlungen aufgenommen. Konsul Borgward war bei allen Überlegungen
davon ausgegangen, er werde in einer neu zu gründenden Aktiengesellschaft nicht nur 51 Prozent der Aktien, sondern auch die Position des Generaldirektors erhalten. Beide Zugeständnisse lehnt der Bremer Senat nunmehr ab.
Dazu der Bremer Senat in einer offiziellen Erklärung: »Der Senat legt Wert auf die Feststellung, daß es sich bei seinen Vorschlägen ausschließlich um eine Maßnahme handelt die der Erhaltung der Arbeitsplätze und des Industriepotentials Bremens dienen soll und nicht etwa die privaten Vermögensinteressen von Herrn Dr. Borgward berücksichtigt.«
Ehe nicht die weitere wirtschaftliche
Entwicklung abgesehen werden kann, bleibt auch die Frage nach Carl Borgwards-restlichem Vermögen offen. Karl Eggers betonte: »Die Auseinandersetzung mit Herrn Dr. Borgward kann nur mit der Maßgabe erfolgen, daß Herr Dr. Borgward für die Übertragung der Vermögenswerte (auf die Auffang-Gesellschaft) zunächst ein Entgelt nicht erhält.« Der Senator weiter: »Es könnte durchaus ein Minus-Vermögen vorhanden sein.«
Sanierer Eggers, Kreditsucher Borgward: Ford und Nordhoff lehnten ab
Regierer Kaisen
Wenn der Senat hustet ...
Revisor Semler
... wackelt Borgward
Autohalden in Bremen: »Nicht zuwenig Geld, sondern zu viele Wagen«
Borgward-Finanzdirektor Carstens
Weil es noch Pleite riecht