BUNDESWEHR / STARFIGHTER Kauf von Schrott
Hauptfeldwebel Maximilian Ambs, 28, setzte in seinem »Starfighter« F-104 G kurz vor dem Fliegerhorst Memmingen zur Landung an. Flughöhe: 600 Meter, Geschwindigkeit: 240 Knoten.
Ambs wollte das Fahrwerk ausfahren, als er einen heftigen Schlag in den Steuerknüppel bekam. Die Maschine trudelte, der Pilot feuerte den Schleudersitz.
Der 100. Starfighter zerbarst letzten Montag am Boden. Ambs pendelte unverletzt am Fallschirm. Zwei Bauern pflückten ihn aus einer Baumkrone. Drei-Sterne-General Johannes Steinhoff, Inspekteur der Luftwaffe, war mit dem Reflex des Fliegers zufrieden: »Er ist sofort ausgestiegen. Das war richtig.«
Während Bundeswehr und Öffentlichkeit auf eben diesen Starfighter-Absturz buchstäblich gewartet hatten, brütete die Führungsspitze des Bonner Verteidigungsressorts längst über einem Faszikel mit dem Aktenzeichen IV 6-9470 (1) 59-87: Der Bundesrechnungshof in Frankfurt hat auf 40 Schreibmaschinenseiten die ruinöse Pfuscherei beim Starfighter-Geschäft ins Visier genommen.
Bis Ende dieses Monats muß das Verteidigungsministerium auf den Verriß der Bundesprüfer antworten, die den Starfighter-Einkäufern schlicht Unfähigkeit ankreiden: »Mangel an Kenntnissen und Erfahrung bei der Entwicklung und Beschaffung von Hochleistungsflugzeugen.«
Aus einer Serie von Fehlleistungen -- so ermittelten die Frankfurter Pfennigfuchser -- entstanden »Nachteile für den Bund, die nicht wiedergutzumachen«, Schäden, die nicht einmal »mehr feststellbar« sind.
Die Dummheiten im Starfighter-Programm begannen an der Spitze. Franz Josef Strauß, als oberster Bundesverteidiger gierig auf die Teilhaberschaft am Atomknüppel der Amerikaner, glaubte 1958, seine Chance sei gekommen. Im Starfighter erblickte er den schnellen und weitreichenden Atombomber, von dem er träumte.
Es wurde ein teurer Traum. Er verführte Strauß zum ersten großen Fehler. Bei einer Visite im kalifornischen Werk des Starfighter-Produzenten Lockheed hinterließ er laut Aktennotiz der Firma schon am 11. März 1958 den »definitiven Eindruck, daß die F-104 das Flugzeug sei, das das deutsche Verlangen nach einem Hochleistungs-Mehrzweck-Flugzeug ... befriedigt«.
Die Frankfurter Prüfer konstatieren: Obschon die Experten des Luftwaffen-Führungsstabes noch im Herbst 1958 die Konkurrenz-Muster »Mirage III A« und »Super Tiger« testeten, brauchte Lockheed sich bei den Vertragsverhandlungen mit Bonn dank Straußens Biereifer nicht mehr um Wettbewerb zu kümmern.
»Bei dieser Sachlage«, so steht es im Frankfurter Papier, »hätte der starken Verhandlungsposition der Firma wenigstens eine mit Sach- und Fachkenntnis ausgestattete deutsche Vertretung entgegengestellt werden müssen.«
Die Wirklichkeit sah so aus: »Bei den (ersten) Vertragsverhandlungen in Los Angeles hatte die Firma fünf Personen, darunter den Finanzdirektor, den Verkaufsmanager und zwei Juristen aufgeboten. Der Bundesverteidigungsminister war dagegen lediglich durch einen Referenten vertreten.«
Verschiedene Referenten rangelten hernach in Bonn, um ihre speziellen Wünsche für die Endfassung des Vertrages anzubringen: »Bei den Verhandlungen in Bonn vertraten die deutschen Teilnehmer Lockheed gegenüber in vielen Punkten keine einhellige Meinung.«
Resümee: »Aus allem ist zu entnehmen, daß die Vorbereitung des Vertrages mangelhaft war.«
Das Pentagon in Washington bot den Starfighter-Beschaffern, die den hemdsärmeligen Geschäftspraktiken der Amerikaner nicht gewachsen waren, Rat und Beistand an. Stolz verzichteten die Deutschen.
Dazu der Rechnungshof: »Wir bitten zu begründen, warum die angebotene US-Hilfe ... nicht in Anspruch genommen wurde, obgleich im Bundesverteidigungsministerium zu damaliger Zeit im Gegensatz zur US Air Force noch keinerlei Erfahrungen bei der Entwicklung und Beschaffung derartiger Hochleistungsflugzeuge vorhanden waren.
Starfighter-Minister Strauß und seine Gehilfen wähnten sich -- wie im kaufmännischen Bereich -- auch in moderner Technik den Amerikanern ebenbürtig. Sie begriffen nicht, worauf sie sich einließen, als sie ein Waffensystem kauften, das noch gar nicht existierte.
Eher fahrlässig als vorsätzlich enthielt Strauß dem Verteidigungs- und dem Haushaltsausschuß des Bundestages zunächst vor, »daß das Flugzeug, das er beschaffen wollte, bisher nur als Schönwetterjäger für amerikanische Verhältnisse hergestellt worden war und erst noch zum Mehrzweckflugzeug mit Allwetter-Eigenschaften umkonstruiert und weiterentwickelt werden mußte« (Bundesrechnungshof).
Die Bundes-Buchprüfer zählen auf, was alles getan werden mußte, nämlich »daß zumindest
* die Zelle verstärkt, Seitenruder und Höhenleitwerk geändert und erprobt, die Kühlanlage verbessert, eine neue Radarnase eingebaut, ein neuer Schleudersitz vorgesehen und eine Enteisungsanlage am Triebwerkseinlauf erprobt werden müsse;
* der Trägheitsnavigator beträchtliche
Entwicklungsarbeit erfordere;
* für Flugwertrechner und Bombenrechner die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Geräten während des Flugversuchsprogramms erst entwickelt und ausgewertet werden müßten und auch Autopilot und Mehrzweckradaranlage noch umfangreicher Entwicklungsarbeit bedürften«.
Alles in allem: »Die Weiterentwicklung war so umfassend, daß sie einer Neukonstruktion gleichkam.«
Die Konsequenzen erwiesen sich als verhängnisvoll. Der Bundesrechnungshof sieht jedenfalls einen Zusammenhang zwischen der technologischen Hybris der Bonner Gernegroße, die knapp drei Jahre nach dem Bundeswehr-Start gänzlich unerfahren »das Flugzeug von übermorgen« (Steinhoff) begehrten, und der Starfighter-Unfallserie.
Laut Prüfungsbericht hegen die Frankfurter den Verdacht, »daß in der Weiterentwicklung begründete Konstruktionsschwächen -- darunter die mangelnde Allwetterfähigkeit und das geänderte Schwingungsverhalten des Flugzeuges und einzelner Bauelemente infolge des erhöhten Gewichts gegenüber dem ursprünglichen Baumuster -- zu manchen Unfällen der ersten Zeit wesentlich beigetragen haben«.
Nicht minder katastrophale Folgen brachte die Vertragsmixtur mit sich, nach der Lockheed gleichzeitig Dutzende von hochkomplizierten Bauelementen neu entwickeln und das komplette Waffensystem, das aus, diesen Teilen erst entstehen sollte, schon in Serie fertigen mußte.
Strauß nahm sich keine Zeit, die Entwicklungsergebnisse vor dem Serienbau jeweils testen und abnehmen zu lassen. Fehlerhafte, aber rasch gelieferte Flugzeuge waren ihm lieber als zeitraubende Qualitätsarbeit.
In einer Aktennotiz des Verteidigungsressorts. von den Rechnungsprüfern mit Sorgfalt registriert, steht geschrieben, welche Verantwortung sich Strauß damals auflud: »Von dem Herrn Minister wurde entschieden, daß die Einhaltung der Liefertermine
den Vorrang hat und demgemäß auf eine Abnahme des Entwicklungsergebnisses verzichtet werden müsse.«
Nach diesem Machtwort schärfte der damalige Verteidigungsstaatssekretär Dr. Josef Rust den Abteilungsleitern ein, »jeder müsse für seinen Geschäftsbereich ... die Verantwortung übernehmen«.
Rust übte damals zarten Druck aus. »Es dürfe nicht noch einmal passieren«, vermerkt das Sitzungsprotokoll, »daß -- wie im Falle Hispano Suiza (Schützenpanzer HS 30) -- einzelnen Herren des Hauses die Verantwortung für das gesamte Objekt zugeschoben werde.«
Den Verlust an Steuergeldern, der aus der Kombination von Entwicklung und Serienbau entstand und für den die Militärbürokraten mithaften sollten, ahnte nicht einmal Strauß. Ein Sitzungsbericht des Ministeriums vom 22. Januar 1959 bestätigt: »Es war dem Herrn Minister bis dahin nicht bekannt, daß in einem so hohen Ausmaß -- 130 Millionen Mark -- erst Entwicklungsarbeiten betrieben werden müssen. Über diesen Umfang sind die Ausschüsse des Parlaments ... nicht unterrichtet worden.«
Sechs Wochen später, im Haushaltsausschuß des Bundestages, bezifferte Strauß die Entwicklungskosten schon auf 135 Millionen Mark, im Juni 1962 dann auf 280 Millionen Mark.
Tatsächlich aber, so hält es der Rechnungshof dem Verteidigungsministerium vor, zahlte der deutsche Steuerbürger rund 340 Millionen Mark -- den Kaufpreis von 57 Starfightern -- ausschließlich für die Weiterentwicklung eines Schönwetter-Jägers zum Atombomber für Nacht und Nebel.
Oberbefehlshaber Strauß, wie vor ihm schon sein Staatssekretär Rust, ließ ausdrücklich Generale, Dirigenten und Referenten des Ministeriums am kostspieligen Risiko des Unternehmens Starfighter teilhaben: »Die Verantwortung trägt das ganze Haus.«
Scharf tadelt der Bundesrechnungshof: »Die Erklärungen des Bundesverteidigungsministers, das ganze Haus übernehme die Verantwortung ... hätte personelle Folgerungen nach sich ziehen müssen, als zu erkennen war, daß der Minister und das Parlament über den Umfang der Entwicklung ... nicht ausreichend, teilweise sogar unrichtig unterrichtet worden sind.«
Der Frankfurter Hof verlangt eine Erklärung, »warum diese Verstöße nicht in angemessener Zeit untersucht und verfolgt worden sind«.
Die von den Bundesprüfern gerügten Fehlentscheidungen verursachten im amerikanischen Herstellerwerk, bei der deutschen Nachbau- und Wartungs-Industrie sowie in den Starfighter-Geschwadern bald ein Chaos. Da Lockheed, von Bonn gedrängt, im Rhythmus der Taktstraße Flugzeuge lieferte, deren Einzelteile aber zugleich unaufhörlich weiterentwickelte, kamen Starfighter nach Deutschland, die in ihrer Ausrüstung so buntgescheckt. waren wie ein Flickenteppich.
Der Rechnungshof beschreibt den Wirrwarr: »Flugzeuge im fortgeschrittenen Bauzustand und bereits abgelieferte ... Ausführungen mußten laufend nachgerüstet werden. Dadurch verzögerte sich auch die Lieferung von Ersatzteilen sowie von Bodendienst- und Prüfgeräten mit der Folge, daß die Verbände und die Industrie, die die Flugzeuge warten wollten, nicht ausreichend und nicht rechtzeitig versorgt
erden konnten. Die Schwierigkeiten verstärkten sich noch, als Anfang 1961 der europäische Nachbau anlief, lange bevor die Entwicklung bei Lockheed zu einem gewissen Abschluß gekommen war.«
In einem Katalog sortieren die Bundesbuchhalter die unfallträchtigen und einsatzhemmenden Beschaffungsmängel bis ins einzelne:
* »der unterschiedliche Konstruktionsstand der Flugzeuge;
* die Beeinträchtigung der militärischen Einsatzbereitschaft;
* die beschränkte Austauschbarkeit der Geräte und Bauelemente;
* der Zwang zur Bestellung von Ersatzteilen ... mit der Folge, daß sie in großem Umfang bei der Lieferung schon durch die Entwicklung überholt und unbrauchbar waren, das heißt: Kauf von Schrott zum Preis neuwertiger Waren;
* der erweiterte Ersatzteilumfang für die verschiedenen Rüstzustände;
* laufende Nachrüstung durch ein kostspieliges Retrofitprogramm (fortgesetzter Einbau der jeweils neuesten Teilentwicklungen);
* vermehrte Industrie-Stehzeiten durch laufende Nachrüstung und dadurch verringerte Verfügbarkeit bei den Verbänden«.
Was Wunder, daß die Erprobungsstelle der deutschen Luftwaffe noch im Dezember 1962 die von Lockheed gelieferten Starfighter als »kaum verwendungsfähig« qualifizierte, wohingegen der Produzent ihnen immerhin »bedingten taktischen Einsatzwert« zuerkannte. Die US Air Force urteilte härter: »Nicht zufriedenstellend.«
Dazu die Rechnungsbeamten: »Die F-104 G sollte nach der Terminplanung 1962 in den Verbänden einsatzfähig sein. Tatsächlich einsatzfähig war das Waffensystem -- und auch da nur beschränkt -- aber erst ab 1964.«
Schließlich: »Eine endgültige Musterzulassung hat die F-104 G bis heute noch nicht.«
Der Bundesrechnungshof vergleicht das Starfighter-Debakel mit den ebenso gravierenden Rüstungspannen beim Einkauf des Schützenpanzers HS 30, der U-Boote aus amagnetischem Stahl sowie der hölzernen Minensuchboote, die alsbald der Pilz fraß. In allen Fällen gingen die Wehr- und Waffenplaner mit so viel Hast zu Werk, daß
* »sich die Ausrüstung der Bundeswehr mit brauchbaren Waffensystemen weit mehr verzögerte, als wenn die Gegenstände erst bis zur Beschaffungsreife entwickelt und erprobt worden wären;
* die Truppe zunächst mit mangelhaften, vielfach unbrauchbaren Waffen versorgt, dadurch ihre Sicherheit gefährdet und ihre Einsatzfähigkeit beeinträchtigt wurde;
* erhebliche unnötige Ausgaben entstanden«.
Beim Verschwenden von Steuergeldern zeigten sich die im modernen Waffengeschäft unerfahrenen Aufrüster aus Bonn auch sonst großzügig.
Die Firma Lockheed, im Ausschlachten ihrer starken Verhandlungsposition nicht gerade ehrpusselig, forderte Provision für ihre Vertreter in Westeuropa. Nach amerikanischen Regeln dürfen derlei Vergütungen »überhaupt nicht gezahlt werden« (Rechnungshof). Dennoch erfüllte Bonn prompt Lockheeds Forderungen: 3,5 Millionen Mark für die »Briefträgerfunktion« (Rechnungshof) der US-Agenten.
Fast eine dreiviertel Million Mark zahlten die Bonner Träumer allein für einen Fall bürokratischer Schlamperei. Ursprünglich sollte die US-Firma Bendix den zentralen Luftwertrechner (Air Data Computer) für den Starfighter bauen. Ohne den Auftraggeber in Bonn zu informieren, bestellte Lockheed dieses Gerät bei der Firma General Controls, die solcherlei noch nie produziert hatte.
Schon im nächsten Monat wünschte die Abteilung »Technik« im Bundesverteidigungsministerium den Rechner von der Firma Honeywell zu beziehen. Nach weiteren acht Wochen meldete sich der Führungsstab der Luftwaffe: Die Firma Air Research müsse den Computer liefern.
Da Bonn leichtfertig Lockheed das Recht eingeräumt hatte, Unterlieferanten nach Gutdünken auszuwählen, setzte die Firma General Controls der Bundesregierung Stornierungskosten in Höhe von 710 000 Mark auf die Rechnung.
Die ersten acht Navigationskreisel des Unterlieferanten Litton waren zu schwer. Litton baute die bereits voll bezahlten Geräte um und kassierte dafür pro Stück 562 000 Mark, insgesamt 4,5 Millionen. Nagelneue Kreisel hingegen hätten die Bonner zum Stückpreis von knapp 370 000 Mark bekommen können.
Auch bei den sogenannten Sonderbetriebsmitteln ließen sich die Besteller vom Rhein nicht lumpen. Sie zahlten Beträge, die »das Sechs- bis 38fache« der Voranschläge ausmachten, in einem Falle von 400 000 Mark auf 15,6 Millionen Mark gestiegen waren.
Schlechterdings nicht auszurechnen sind nach Meinung der Frankfurter Prüfer die Kosten für die Inszenierung eines absurden Theaterstücks, das die Luftwaffenführung Anfang 1963 mit 47 Starfightern aufführte.
Die Maschinen waren bereits in den deutschen Geschwadern, als Order kam, sie zur Pilotenausbildung nach Amerika zurückzuverfrachten.
Das bedeutete: Lockheed hatte die Flugzeuge montiert, erprobt, danach wieder zerlegt und kistenweise nach Deutschland geschickt. Die deutsche Lizenz-Industrie remontierte sie und übergab sie der Luftwaffe.
Alsbald standen die 47 Starfighter wieder in Messerschmitt-Hangars, wo sie aufs neue demontiert und dann scheibchenweise per Luftpost nach Kalifornien zu Lockheed retourniert wurden.
Kopfschüttelnd bauten die Amerikaner die Wandervögel abermals zusammen und verstauten sie im Depot, bis Deutschlands teuerste Soldaten Monate später ihr Training beginnen konnten.
»Bei ordentlicher Planung«, so der Bundesrechnungshof, wäre dieser teure Schildbürgerstreich vermeidbar gewesen. Und: »Das Ansehen des Auftraggebers hätte nicht gelitten.«