VEBA Kegeln und aufsetzen
Von den Kursgewinnen der VW -Aktie, so hieß es in der vergangenen Woche an Deutschlands Börsen, konnten sich die Volksaktionäre ein Fernsehgerät kaufen. Das neue Volkspapier des ehemals bundeseigenen Veba -Konzerns hingegen werfe allenfalls die Reparaturkosten eines TV-Geräts ab.
Mittlerweile ist auch dies schon zweifelhaft. Das Präsent der Bundesregierung an die Wähler erwies sich als Windei. Bis zum Montag letzter Woche war der Börsenkurs von 241 auf 215,25 gefallen. Damit erreichte der Kurs beinahe jenen Betrag, den die 2,64 Millionen Aktionäre für jedes Papier einschließlich Provisionen bezahlt hatten: 212 Mark.
Der Kümmerkurs ist das Ergebnis einer Serie von Fehlschlüssen und -entscheidungen. »Kein Fehler, den man bei einer Börseneinführung machen kann, wurde hier ausgelassen«, bescheinigte die »Zeit« der Bundesregierung und den verantwortlichen Banken, an ihrer Spitze die Dresdner Bank.
In ihrem Drang, den ursächlichen Zusammenhang von Wahl und Aktienausgabe möglichst deutlich zu machen, verkaufte die Bundesregierung ihre 5,25 Millionen. Veba-Aktien zu einem Zeitpunkt, zu dem
- die Sparerreserven
wegen der Urlaubsmonate gering,
- die Börsen wegen
des anstehenden Wahltermins lustlos und
- die Geldreserven
der Geschäftsbanken wegen des Bundesbank-Feldzugs gegen die Inflation geschrumpft waren.
So kam es, daß viele Aktionäre mangels Kasse gezwungen waren, ihre Veba -Scheine mit dem Verkaufserlös zu bezahlen. Neue Interessenten fanden sich nicht, und auch die Banken waren nicht gewillt, die kursdrückenden Zertifikate vom Markt zu nehmen. Durch den Verkauf von Aktien im Nominalwert von 16 Millionen Mark sackte der Kurs, den namhafte Bankiers auf 260 geschätzt hatten, unter den -Einführungskurs 226 durch. Während der Fahrstuhl abwärts glitt, lagen bei den Banken noch Verkaufsorders von optimistischen Aktionären, die sich beim Kurs 700 von ihren Papieren trennen wollten.
Ebensowenig wie das Heer der Kleinsparer war Bonn auf das Desaster vorbereitet. Das Kursbuch des Schatzministers Werner Dollinger war nur auf Hausse abgestellt. Vorsorglich hielt der Bund ein kleines Paket Aktien aus Eigenbesitz für den Fall parat, daß der Kurs in allzu lichte Höhe steigen sollte. Durch zusätzliche Verkäufe sollte eine nicht unerwartete Springflut der Kurse' eingedämmt werden.
Hingegen hielt es Dollinger für ausgeschlossen, daß Bonn oder die-Banken zu Stützungskäufen gezwungen sein könnten. Im Konsortialvertrag mit den 47 an der Aktienausgabe beteiligten Banken hatte das Bundesschatzministerium nur recht unverbindlich fixiert, daß man sich, wenn nötig, über die Kurspflege noch einmal beraten müsse.
Als dann eintraf, was nicht sein durfte, lief Ratlosigkeit in den Amtsstuben der Bonner Schatzverwaltung um. Bundesmittel zu Stützungskäufen waren nicht vorhanden. Veba-Vorstandsmitglied Dr. Lilliluise Ristow, vom Veba -Chef Alfred Hartmann als sommerliche Palastwache zurückgelassen, eröffnete dem Minister, auch die Veba sei zu Kurshilfen nicht in der Lage. Die vorsichtige Finanzchefin des Konzerns möchte die zum 30. September fällige Jahresbilanz nicht mit einem größeren Posten eigener Aktien befrachten.
Erst am Freitag vorletzter Woche rückten die Vertreter des Bankenkonsortiums, geführt von dem eigens aus seinem Urlaubsdomizil Juist eingeflogenen Direktor Kühl von der Dresdner Bank, im Schatzministerium an. Die Großbankiers zeigten, obwohl von einem Kollegen der Pferdmenges-Weisheit »Wer mitkegelt, muß mit aufsetzen« konfrontiert, Dollinger zunächst die kalte Schulter. Wegen der angespannten Liquiditätslage sei man zunächst nur zu kleinen kurspflegerischen Maßnahmen bereit.
Tatsächlich hatten die Banken unter Führung der Dresdner Bank - bis zum Montag letzter Woche - Veba-Aktien im Nominalwert von zwei Millionen Mark aufgekauft, ein Betrag, der freilich niemals ausgereicht hätte, den Abwärtstrend des Volkspapiers umzudrehen. Pro Tag legte die Konsortialführerin niemals mehr als 500 000 Mark an.
Erst Sparkassen-Präsident Fritz Butschkau und der Vertreter der Genossenschaftsbanken, die zur Zeit höhere Kassenreserven haben als die Geschäftsbanken, brachten die Konsortialfront ins Wanken. Die Herren versprachen, sich noch einmal zusammenzusetzen.
Als sie am Donnerstag letzter Woche hinter verschlossenen Türen in Düsseldorf wieder über ein Stützkorsett berieten, war die unmittelbare Gefahr - ein Sinken des Kurses unter 215 Punkte - freilich gebannt. Werner Dollinger hatte sich mittlerweile in die Public Relations geflüchtet und eine Serie günstiger Veba-Nachrichten in Auftrag gegeben, mit denen er die Börse planvoll umstimmen will.
Bereits am vorletzten Freitag vermeldete die Veba, der Geschäftsverlauf in den ersten neun Monaten des Bilanzjahres 1964/65 lasse erkennen, »daß die Ertragslage sich weiterhin günstig entwickelt hat und die vorgesehene Dividendenpolitik damit bestätigt wird«.
Am Montag letzter Woche folgte Vebas nächster Börsenballon: »Während noch im Jahre 1949 im Veba-Bereich rund vier Milliarden Kilowattstunden erzeugt wurden... ist (1965) mit einer Erzeugung von 20 Milliarden Kwh zu rechnen. 1970 dürften im Veba-Bereich mindestens 30 Milliarden Kwh erzeugt werden.«
Schließlich wurde an der Börse das Gerücht ausgelegt, Bonn lasse den Veba -Kurs nicht unter 215 sinken.
Die Einreibung wirkte. Tatsächlich krabbelte die Veba-Börsennotiz vom Dienstag an nur mühsam wieder auf 220. Masseur Dollinger will auch in den kommenden Wahlkampfwochen das PR-Pulver trocken halten:
- Am Montag dieser Woche veröffentlichte die Veba ihren ersten sechzehnseitigen, vierfarbigen Aktionärsbrief in Hochglanz ("die Veba rechnet... auch für die Zukunft mit stabilen Ertragsverhältnissen");
- am Dienstag weiht Dollinger die Glashütte Wahlstedt des Veba-Konzerns ein;
- am 16. September setzt der Minister das Großkraftwerk Großkrotzenburg der Veba-Tochter Preußenelektra in Betrieb.
Mittlerweile haben auch die 47 Konsortialbanken Dollinger ihre Unterstützung zugesagt. Die Institute wollen ein Jahr lang 60 Millionen Mark bereithalten und dafür sorgen, daß der Kurs nicht unter 215 absackt. Für ihre Stütz- und Spanndienste wollen sie dem Bund achteinhalb Prozent Zinsen berechnen.
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