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UNO / KONGO Kehrtwendung

aus DER SPIEGEL 8/1961

Walerian A. Sorin Sowjet-Diplomat aus Molotows harter Schule, seit fünf Monaten wieder Chefdelegierter bei den Vereinten Nationen, produzierte ein Lächeln für den Dienstgebrauch, als er Kennedys Uno-Botschafter Adlai Stevenson am Hufeisentisch des Sicherheitsrats willkommen hieß.

»Mr. Stevenson ist seit langem als Vorkämpfer der internationalen Zusammenarbeit bekannt«, lobte Sorin den einstigen Gesprächspartner Chruschtschows und Mikojans an Moskauer Kaminen. »Er ist ein Mann, der keineswegs die Absicht hat, irgendeiner anderen Nation, einen fremden Willen aufzuzwingen.«

Ex-Gouverneur Stevenson, zweimal gescheiterter Präsidentschaftskandidat und Rußland-Reisender aus politischer Passion, lächelte zurück. »Wir betrachten die Vereinten Nationen nicht als einer Kampfplatz des Kalten-Krieges«, erwiderte er, »sondern als ein Instrument, das uns hilft, den Kalten Krieg zu beenden.«

Sorin klatschte Beifall. Auch die übrigen Delegierten applaudierten. Dann ging der Rat zur Tagesordnung dieses trüben Februar-Nachmittags über: zur Kongo-Krise, die den Kalten Krieg der Weltmächte mitten im Schwarzen Erdteil in einen - stellvertretend von Afrikanern ausgefochtenen - heißen Krieg zu verwandeln droht.

Der unerwartete Austausch west-östlicher Höflichkeiten erleichterte es dem Uno-Generalsekretär Dag Hammarskjöld, einen Plan vorzutragen, der - wie sich 48 Stunden später zeigte nicht nur die volle Unterstützung der neuen amerikanischen Regierung, sondern auch die Billigung wichtiger Länder des afro-asiatischen Blocks besaß.

Der Uno-Generalsekretär empfahl:

- Entwaffnung aller kongolesischen Streitkräfte, die unter dem Kommando von General Mobutu, Katanga - Premier Tshombé und Lumumba - Stellvertreter Gizenga als Bürgerkriegsarmeen operieren.

- Bildung einer kongolesischen Koalitionsregierung »auf breiter Basis«, einschließlich des in Katanga inhaftierten Ex-Premiers Lumumba.

- Nichteinmischung der Großmächte.

»Es ist höchste Zeit für die Uno, ihre (Kongo-) Politik zu überprüfen und weitreichende Maßnahmen zu erwägen«, begründete der Uno-Generaisekretär seine Vorschläge, »selbst wenn diese Maßnahmen von einigen als eine Art Intervention betrachtet werden sollten.«

Der Hammarskjöld-Plan - nach langen Gesprächen mit Stevenson lanciert, der seinerseits mit zahlreichen afrikanischen Delegierten konferierte - sah in der Tat eine völlige Kehrtwendung der Uno-Politik am Kongo vor. »Zum ersten Male werden die Vereinten Nationen aufgefordert«, kommentierte der britische »Guardian« besorgt, »sich über die Souveränität eines ihrer Mitglieder hinwegzusetzen und gegen dessen De-facto-Regierung zu handeln.«

Das Projekt, das - entgegen den bisherigen Resolutionen des Weltsicherheitsrats - alle Macht am Kongo in die Hände des Uno-Oberkommandos legen soll, hätte nur dann eine geringe Chance, Wirklichkeit zu werden, wenn der Finanzier des kongolesischen Uno-Abenteuers und sein- weltpolitischer Gegenspieler, die Vereinigten- Staaten und die Sowjet-Union, sich gemeinsam zu der geplanten Kehrtwendung entschließen würden.

Die tatendurstige Kennedy-Regierung machte sich Hammarskjölds Gedankengänge rasch zu eigen, zumal der von Léopoldville nach Washington zur Berichterstattung beorderte US-Botschafter Timberlake im Weißen Haus bestätigte, was dem Uno-Generalsekretär Mitte Januar als prophetische Quintessenz einer Afrika-Reise (SPIEGEL 5/1961) heimgebracht hatte: Der gefangene und geprügelte Lumumba kommt in Kürze wieder an die Macht (sofern er nicht, wie der britische »Guardian« vermutete, in Katangas Folterkammern bereits verendet ist).

Stevenson suchte die Sowjet-Union in vertraulichen Gesprächen mit seinem Uno-Kollegen Sorin durch den diskreten Hinweis, solches Wohlverhalten werde künftig zweiseitige Verhandlungen über Abrüstung und Berlin erleichtern, zumindest zum Stillhalten zu bewegen. Sorin, höflich gegen Stevenson, gehässig gegen Hammarskjöld, konnte das Nein-Sagen in diesem Falle den aufgebrachten Kongolesen überlassen.

Der eilig konzipierte Tausch - einen halbtot geprügelten Lumumba gegen einen arg bedrängten Hammarskjöld - mußte dem Sowjet-Diplomaten als ein wenig seriöses Geschäft erscheinen. Denn die Schwierigkeiten Hammarskjölds wuchsen, je mehr Lumumbatreue afrikanische und asiatische Staaten ihre am Kongo stationierten Truppen dem Uno-Oberkommando entzogen, während der politisch-propagandistische Wert des afrikanischen Märtyrers Patrice Lumumba ohne Zutun der Sowjets in die Höhe schnellte, je schlimmer ihn seine katangesischen Kerkermeister mißhandelten.

Nachdem die Vereinigte Arabische Republik ihre Kontingente abgezogen und Hammarskjöld die Regierungen von Mexiko, Indien, Irak und Iran vergebens um Truppenverstärkungen gebeten hatte, war die Uno-Streitmacht im kongolesischen Busch von 19 100 auf knapp 14 000 Mann geschrumpft. 20 000 Soldaten sind jedoch - so konstatierte der irische Uno-Oberkommandierende Generalmajor Sean McKeown - das »absolute Minimum«, um einen offenen Bürgerkrieg zu verhindern.

Diese Zahlen enthüllten, daß Hammarskjölds neuer, von den USA akzeptierter Plan nicht allein eine Aktion zur Rettung des Kongo sein sollte, sondern zuerst und vor allem eine Operation zur Rettung der Vereinten Nationen und ihres Generalsekretärs, die sich beide einem tödlichen Prestigeverlust ausgesetzt sehen.

»Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen«, klagte Dag Hammarskjöld dem Sicherheitsrat, »daß die starke Schwächung der Uno-Streitmacht es ihr unmöglich machen könnte, ihre Aufgabe zu erfüllen. Das würde es notwendig machen, die Liquidation der Uno-Streitkräfte und schließlich der gesamten Uno-Operation am Kongo vorzuschlagen.« Einer solchen Blamage könnte nur noch die von den Sowjets seit Monaten geforderte Demission des Generalsekretärs folgen.

Um den damit verbundenen Zusammenbruch der gegenwärtigen Uno-Konstruktion zu verhüten, war die Kennedy-Regierung nicht nur bereit, die Anti-Lumumba-Politik ihrer Vorgängerin in eine Pro-Lumumba-Politik umzukehren; ihr Uno-Emissär Stevenson ging sogar so weit - entgegen dem ironisch gewürzten Lob Sorins -, einer »anderen Nation einen fremden Willen aufzuzwingen«.

Erst als vom Kongo grimmige Proteste kamen und Amerikas europäische Verbündete Großbritannien und Frankreich Zweifel an der praktischen Ausführung der geplanten Entwaffnungsaktion äußerten (die einem regierenden Lumumba von vornherein jedes Machtinstrument entwinden sollte), schränkte US-Außenminister Rusk die amerikanische Mitverantwortung für das Hammarskjöld-Projekt vorsichtig ein. »Es wäre nicht korrekt«, retirierte Kennedys außenpolitischer Chefberater, »von einem amerikanischen Plan zu sprechen.«

In Léopoldville aber dröhnte Kongo-General Mobutu: »Entwaffnung bedeutet Krieg zwischen der kongolesischen Armee und den Vereinten Nationen.« Und in Elisabethville spottete Katanga-Premier Tshombé: »Hammarskjöld ist verrückt, wenn er glaubt, er könnte uns mit Gewalt entwaffnen.« Mit seinem Plan, der den von der Uno als legitimen Kongo-Präsidenten anerkannten Kasavubu dem Katanga-Separatisten Tshombé und dem Lumumba-Statthalter Gizenga gleichstellt, hätte sich der Uno-Generalsekretär sämtliche kongolesischen Bürgerkriegsparteien zu Feinden gemacht.

»Der erste Test für Kennedys Außenpolitik und Stevensons Diplomatie« ("New York Times") ist demnach nicht von Glück begünstigt, auch wenn sich der Weltsicherheitsrat zunächst auf unbestimmte Zeit vertagte, um einer unbequemen Entscheidung auszuweichen und der Kennedy-Regierung - mit stillschweigender Zustimmung Sorins - eine peinliche Niederlage zu ersparen.

Keiner der jetzt noch an der Uno-Streitmacht beteiligten Staaten (wie zum Beispiel Äthiopien, Ghana, Nigeria, Irland und Schweden) ist offensichtlich bereit, seine Truppen für eine gewaltsame Entwaffnung der kongolesischen Privatarmeen zur Verfügung zu stellen. Nur die Großmächte könnten eine solche militärische Operation vornehmen und das Niemandsland am Äquator, das Hammarskjöld in die erste Uno-Kolonie verwandeln möchte, zugleich in Einflußsphären aufteilen.

»Wir werden der Uno nicht erlauben«, tönte indes Bomboko, der heute in Kasavubus Diensten stehende ehemalige Außenminister Lumumbas, »den Kongo ebenso zu teilen, wie Deutschland, Korea und Palästina geteilt worden sind. Wenn wir gegen die Uno kämpfen müssen, so werden wir marschieren...«

Het Parool

... und er bewegt sich doch!

Sorin

Amerikas Uno-Botschafter Stevenson

Von Sorin gelobt

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