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ITALIEN Keimende Pflanze

Die palästinensischen Terroranschläge schüren den Fremdenhaß. Mit einem neuen Ausländergesetz will Rom jetzt gegen 800000 illegale Einwanderer vorgehen. *
aus DER SPIEGEL 3/1986

Jean-Pierre, 32, Schwarzarbeiter aus Zaire, steht mittags mit Hunderten seiner Schicksalsgenossen vor der Caritas in Rom nach einer warmen Mahlzeit an. Das katholische Hilfswerk teilt täglich Nudel- und Fleischgerichte für die Arbeits- und Obdachlosen aus.

Die meisten stammen aus der Dritten Welt. Zu Hunderttausenden strömten sie in den vergangenen Jahren vor allem aus den armen Mittelmeerländern nach Italien, um Arbeit und Brot zu finden - meist ohne sonderlichen Erfolg.

Aufgeschreckt durch den blutigen Anschlag auf dem Flughafen von Rom, arbeiten die italienischen Behörden seit Jahresbeginn an einem neuen Ausländergesetz, um den internationalen Terrorismus auf ihrem Boden zu bekämpfen. Betroffen sind vor allem über 800000 illegale überseeische Gastarbeiter, sie müßten Italien verlassen, wenn sie nicht riskieren wollen, wegen einer fehlenden Aufenthaltsgenehmigung drei Monate, wegen nicht gültiger Ausweispapiere gar ein Jahr eingesperrt zu werden.

Den Entschluß der sonst so liberalen Italiener, endlich ihr leidiges Ausländerproblem anzupacken, empfinden viele

»clandestini« (illegale Einwanderer) als Rassendiskriminierung. Das Gesetz, so fürchtet auch die Caritas, werde vornehmlich die Schwachen und Ehrlichen treffen, »die nichts mit dem arabischen Terrorismus zu tun haben«. »Oder haben Sie schon einmal einen Afrikaner gesehen, der eine Bombe auf einen Flughafen warf?« beklagt sich Jean-Pierre bei einem italienischen Reporter.

Dank großzügiger Einreisebestimmungen, die noch aus dem Jahr 1931 stammen, und einer nahezu orientalischen Laxheit in den Büros der Ausländerpolizei hat Italien in den vergangenen zehn Jahren illegale Einwanderer aus Afrika und Asien zuhauf angelockt. In Sizilien, Rom, Bologna und in dem Industriedreieck Mailand-Genua-Turin ließen sich die illegalen als Tellerwäscher, Kellner, Hausmädchen und Matrosen anheuern.

Im sizilianischen Mazara del Vallo kamen allein 4000 Marokkaner und Algerier in der Fischerei-Industrie unter. Ohne die billigen Mannschaften könnten die sizilianischen Kutter nicht mehr auslaufen.

Die Zahl der Illegalen hat sich nach Angaben des italienischen Innenministeriums seit 1980 von 400000 auf mindestens 800000 verdoppelt, weil viele, einmal im Land, ihre Brüder, Vettern und Schwäger nachholten.

Die illegalen Gastarbeiter ohne festen Arbeitsvertrag erhalten von ihrem Padrone oft nur ein Viertel dessen, was ein italienischer Arbeiter an Lohn- und Sozialkosten verursacht. Sie werden daher besonders gern von jenen Klein- und Subunternehmern angestellt, die in Italiens weitverzweigter Schattenwirtschaft inzwischen nahezu allgegenwärtig sind.

So entstand ein rechtloses Subproletariat, von dem die Behörden nur dann Notiz nahmen, wenn einer der Einwanderer straffällig wurde oder wenn die Polizisten sich zu einer Ausweiskontrolle unter den vielen fliegenden Händler auf der Piazza bequemten.

33000 Ausländer wurden 1983/84 verhaftet, aber nur 2600 der Inhaftierten wurden auch des Landes verwiesen. Oft genug hatten sie noch nicht einmal das Geld für die Heimreise. Jeder zehnte italienische Häftling stammt aus dem Ausland, allein ein Drittel der Straffälligen kommt aus arabischen Ländern (Marokko, Tunesien, Ägypten).

Die Italiener machten sich wenig daraus. Erst die zehn blutigen Attentate, die vorwiegend Araber im letzten Jahr auf italienischem Boden verübten, beendeten die lange gepflegte Toleranz.

»Wenn wir uns nicht darauf verstehen, die vielen einreisenden Araber zu kontrollieren, warum schicken wir sie dann nicht alle weg?« schimpfte eine Römerin am Morgen nach dem Blutbad in Fiumicino in der Radiosendung »Prima Pagina«.

Italienische Polizisten mußten unmittelbar nach dem Anschlag den durch Granatsplitter verletzten Fernsehtechniker Abd el-Karim Tigrini vor dem Lynchtod retten. Der Algerier war von der wütenden Menge wegen seiner dunklen Hautfarbe und seines krausen Haares als vermeintlicher palästinensischer Terrorist attackiert worden.

Schon die Affäre um die entführte »Achille Lauro« hatte trotz der proarabischen Außenpolitik der Regierung Craxi antiarabische Gefühle angeheizt. Als im Dezember dann gar Bomben in der prächtigen Basilika Santa Maria degli Angeli in Assisi explodierten, schwanden die Araber-Sympathien vollends dahin.

Der 23jährigen Araber Asis, dem die römische Ausländerpolizei die Aufenthaltsgenehmigung als Student verweigert, weil er keine regelmäßigen Einkünfte nachweisen kann, schläft wie viele farbige Obdachlose unter dem großen Dach des römischen Hauptbahnhofes. Dort wurde der gestrandete Student von den Schicksalsgenossen in den vergangenen Wochen immer häufiger als palästinensischer Terrorist verdächtigt. »Dabei leiden Terroristen weder an Geldnot noch an gültigen Ausweispapieren. Sie steigen in Hotels ab«, beklagt sich Asis.

Jetzt sollen die neuen Ausländerbestimmungen Ordnung in den Untergrund-Dschungel der Clandestini bringen. Bevor die »keimende Pflanze des antiarabischen Fremdenhasses weiterwächst, muß dringend ein neues Gesetz verabschiedet werden, das die Einwanderung vor allem aus den armen Mittelmeerländern stoppt«, erklärte in Rom der zuständige Staatssekretär im Innenministerium, Raffaele Costa.

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