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BELGIEN / KORRUPTION Kein Alibi für Alibet

aus DER SPIEGEL 50/1960

Einem aufgedeckten Konkursschwindel

haben es belgische Bürger zu verdanken, daß sie jüngst von dem Alpdruck eines Mannes befreit wurden, der wie kein zweiter Politiker das Land beherrschte und Minister stürzte: Belgiens fleischig-rustikaler Landwirtschaftsminister Baron Albert de Vleeschauwer mußte seinen Posten quittieren, weil er sich in einen Finanzskandal verwickelt sah.

»Hinter ihm erkennt man das ganze katholisch-liberale Regime mit seinem Sinn fürGefälligkeiten, für Roßtäuschermanieren, Schmiergelder und schmutzige Korruptionsgeschichten«, entrüstete sich das sozialistische Parteiblatt »Le Peuple«.

In der Tat hatten sich die Belgier seit Jahren angewöhnt, in dem Landwirtschaftsminister Vleeschauwer den mächtigsten Repräsentanten der katholischliberalen Regierungskoalition zu sehen: Vertrauensmann des Hofes und Schutzherr einer engherzigen Kolonialpolitik, galt der robuste Flame, dessen politischer Einfluß - so die »Neue Zürcher Zeitung« - »groß und auch gefürchtet« war, als die Graue Eminenz der belgischen Politik.

Am eifersüchtigsten wahrte der Landwirtschaftsminister die Hofinteressen am Kongo. Als der christlich-soziale Kongo-Minister Van Hemelrijck eine fortschrittliche Emanzipationspolitik in Zentralafrika anstrebte, stürzte ihn Vleeschauwer im Spätsommer 1959 mit Hilfe einer Hofkamarilla.

Seine vielfältigen Interessen am Kongo wurden jedoch dem mächtigen Minister zum Verhängnis. Zur gleichen Zeit, da die Gnade des Monarchen den Postboten-Sohn zum Baron erhob, gingen in Brüssel Gerüchte um, Vleeschauwer habe sich in finanzielle Machenschaften eingelassen, die mit seiner amtlichen Position nicht mehr zu vereinbaren seien.

Die Spuren Vleeschauwers im kongolesischen Dschungel wurden zum erstenmal sichtbar, als die Staatsanwaltschaft in Léopoldville im Sommer 1957 beim Überprüfen der Buchführung einer zahlungsunfähig gewordenen belgischen Kongo-Baufirma namens »Socoga« auf Manipulationen stieß, die einem betrügerischen Konkurs auf Kosten der Gläubiger Vorschub geleistet hatten.

Dabei entdeckte die Staatsanwaltschaft ein inoffizielles Konto jener Baufirma, das Zuwendungen an einen gewissen Monsieur Alibet aufwies. Der geheimnisvolle Geldempfänger war rasch identifiziert: Es war der Baron Albert de Vleeschauwer, den die Kongolesen mit der verstümmelten Form seines Vornamens »Alibet« anzureden pflegten.

Aus den Büchern der bankrotten Firma ging deutlich hervor, daß der Firmen-Teilhaber Baron Francois de Kerchove vor dem Konkurs sieben Millionen belgische Franc (580000 Mark) von seinem Konto abgezweigt hatte. Die Hälfte dieser Summe war in die Taschen des Landwirtschaft§ministers Vleeschauwer geflossen. Die Léopoldviller Staatsanwaltschaft fühlte sich daher zu der Annahme berechtigt, der Minister sei der stille Teilhaber des Unternehmens gewesen, Kerchove dagegen nur sein vorgeschobener Strohmann.

Die Staatsanwaltschaft gab daraufhin das »Alibet-Dossier«, ein Aktenbündel von 200 Kilogramm Gewicht, an die Strafverfolgungsbehörde der belgischen Kleinstadt Nivelles ab, in der Hauptschuldiger Kerchove wohnte. Gestützt auf die Bestimmungen der damaligen »Kolonial-Charta«, die eine Verfolgung strafrechtlicher Verfehlungen belgischer Bürger im Kongo in Belgien selbst zuließen, verfolgte die Staatsanwaltschaft den Socoga-Fall weiter.

Des Ministers Geschäftsfreunde aber stellten Monsieur Alibet, ihren stillen Teilhaber; so bereitwillig bloß, daß der Staatsanwalt von Nivelles eine Vernehmung des Barons de Vleeschauwer für dringend notwendig hielt. Der Aktenstapel wanderte wiederum eine Instanz weiter: zum Generalstaatsanwalt in Brüssel.

Ein 43 Seiten langer Brief des Generalstaatsanwalts belehrte endlich Regierung und Parlamentspräsident über den Verdacht, der Landwirtschaftsminister habe sich in betrügerischer Weise bereichert. Die Regierung hielt es jedoch nicht für nötig, Monsieur Alibet den Rücktritt anzuraten.

Erst als Mitte November die regierungsfeindliche Wochenzeitung »Pourquoi Pas?« den Skandal aufdeckte, sahen sich die Beschützer des diskreditierten Ministers gezwungen, ihren Freund fallenzulassen.

Kammerpräsident Baron Kronacker entschuldigte seine Diskretion gegenüber dem Parlament mit mangelnder Zeit: Er habe nicht nur den Brief des Generalstaatsanwalts, sondern auch das Akten-Paket erst gründlich studieren wollen. Zudem habe er den bedrängten Landwirtschaftsminister loyal behandeln müssen, da Vleeschauwer obwohl er die ihm zur Last gelegten Verfehlungen bestritt, bereit war, sich der Justiz zu stellen.

Monsieur Alibet behauptete denn auch noch nach den Enthüllungen von »Pourquoi Pas?«, er sei von der Firma bis zu seinem Ausscheiden nur als juristischer Berater engagiert und für diese Dienste auch bezahlt worden; weitere Zuwendungen seien als Rückzahlungen zu verstehen, und zwar für eine Summe, die er seinem Freund de Kerchove einmal privat geliehen habe.

Freund de Kerchove aber korrigierte sofort, der Minister habe genauso wie er vor dem Konkurs aus der Kongo-Baufirma Socoga - sie erhielt durch Vermittlung Vleeschauwers Staatsaufträge - rund 3,5 Millionen Franc herausgezogen. Mit diesem Geld habe Monsieur Alibet auf seinen, Kerchoves, Namen in. Leopoldville ein Haus im Wert von 3,3 Millionen Franc gekauft, dessen Mieterträge ihm über Mitglieder seiner Familie überwiesen wurden; auch die Restsumme seiner Abfindung als Bauunternehmer erhielt er auf diesem Wege.

Solche Enthüllungen veranlaßten Belgiens Premier Gaston Eyskens Ende November, sich seines Landwirtschaftsministers auf eine ebenso zynische wie geschmeidige Art zu entledigen: Er wies seinen Pressechef an, die Nachrichtenagentur »Belga« über Gerüchte in Regierungskreisen zu informieren, wonach der Rücktritt des Landwirtschaftsministers unmittelbar bevorstehe; zur gleichen Zeit aber dementierte noch Vleeschauwer, daß er zurücktreten wolle.

Als der lästig gewordene Minister von dem Eyskens-Manöver erfuhr, ließ er seinen Ingrimm an dem Regierungs-Pressechef aus. »Sakristei-Laus«, schimpfte er, bevor er seinen Abschiedsbrief schrieb.

Allerdings besteht wenig Aussicht, daß die belgische Justiz dem königstreuen Flamen ernstlich schaden wird. Seit dem 30. Juni dieses Jahres, dem Tag der Unabhängigkeit des Kongo, existiert jene »Kolonial-Charta« nicht mehr, die eine Strafverfolgung von Kongo-Vergehen in Belgien gestattete.

Tröstete der sozialistische »Peuple": »Es wird Vleeschauwer vieles verziehen werden, denn er hat viel gesündigt.«

Gestürzter Minister Vleeschauwer

Viel gesündigt, viel verziehen

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