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»KEIN ANDERER WEG ALS SIEG ODER TOD«

aus DER SPIEGEL 45/1967

Die Kraft meiner Armee war nach dem zehntägigen Kampf derartig erschöpft, daß sie nicht mehr in der Lage war, dem nächsten Durchbruchsversuch des Gegners wirksam zu begegnen. Wegen des großen Fahrzeugmangels erschien eine geordnete Rückführung der nichtmotorisierten Verbände nicht mehr möglich.

Auch die schnellen Verbände waren fest in den Kampf verstrickt, wir konnten daher nicht erwarten, daß sie sich in ihrer Gesamtheit würden lösen können. Bei dieser Lage mußten wir mit der allmählichen Vernichtung der Armee rechnen. Gleichlautend hatte ich auch an diesem Tage (2. November) dem Führerhauptquartier berichtet.

Am 3. November 1942 wollten wir vor dem britischen Druck mit unseren Verbänden bis in die Gegend östlich von El Daba südwärts ausweichen. Die Loslösung im Mittel- und Südabschnitt gelang unbemerkt.

Leider gingen diese Bewegungen sehr langsam vor sich, weil keine Fahrzeuge vorhanden waren. Trotz allem befanden sich die Süddivisionen am nächsten Morgen in den neuen Stellungen.

Der 3. November wird einer der denkwürdigsten Tage in der Geschichte bleiben. Denn an ihm offenharte sich nicht nur endgültig, daß das Kriegsglück unsere Fahnen verlassen hatte, sondern von diesem Zeitpunkt an unterlag die Entschlußfreiheit der Panzerarmee schwersten Beschränkungen durch das dauernde Einmischen der vorgesetzten Stellen in die Kampfführung.

Ich hatte bereits am Morgen dieses Tages ein unsicheres Gefühl, ob die obersten Stellen trotz unserer eindeutigen Lageberichte auch tatsächlich aus den gegebenen Verhältnissen die Folgerungen ziehen würden, und beschloß, meinen Ordonnanzoffizier, Oberleutnant Berndt, zum Lagevortrag zum Führer zu schicken.

Berndt sollte dem Führerhauptquartier eindeutig unsere Situation klarmachen und andeuten, daß der afrikanische Kriegsschauplatz wahrscheinlich verloren sei. Weiterhin sollte er vollste Handlungsfreiheit für die Panzerarmee verlangen.

Auf keinen Fall wollte ich dem britischen Bestreben, uns einzuschließen und zu vernichten, in die Hände arbeiten, sondern mich so lange in keine entscheidenden Kämpfe einlassen, bis wir entweder kräftemäßig dazu in der Lage wären oder bis der Großteil der Afrikaarmee nach Europa abtransportiert sein und nur noch ein Rest zur Deckung des Rückzuges auf afrikanischem Boden stehen würde.

Am Morgen um 9 Uhr fuhr ich zum vorgeschobenen Gefechtsstand auf der

Erwin Rommel: »Krieg ohne Haß«. Heidenheimer Verlagsanstalt, Heidenheim! Brenz; 1950; 412 Seiten; 14 Mark.

Küstenstraße nach Osten. Auf der Straße stauten sich viele Fahrzeuge, hauptsächlich Italiener, und erstaunlicherweise waren noch keine britischen Jagdbomber zu sehen. Das Deutsche Afrika-Korps (DAX) hatte noch 30 einsatzbereite Panzer. Die Briten griffen an diesem Vormittag nur zögernd und örtlich an und schienen ihre Verbände zu reorganisieren und aufzufüllen. Die Gelegenheit erschien günstig, und deshalb befahl ich den Abmarsch eines Teils der italienischen Verbände.

In dichten Kolonnen flossen unsere Fahrzeuge nach Westen. Italienische Infanterie marschierte ab, und die Straße war dicht belegt. Bald hatten die Briten jedoch unsere Bewegungen nach Westen erkannt und setzten ungefähr 200 Jagdbomber auf die Küstenstraße an. Allein das DAX wurde am Vormittag elfmal von starken Bombergruppen angegriffen.

Um die Mittagszeit kehrte ich zu meinem Gefechtsstand zurück. Auf dem Rückweg konnten wir gerade noch in rasender Fahrt einem Bombenteppich ausweichen, der von 18 britischen Maschinen gelegt wurde. Um 13.00 Uhr traf ein Führerbefehl ein, der folgendermaßen lautete: An GFM. Rommel

Mit mir verfolgt das deutsche Volk in gläubigem Vertrauen auf Ihre Führerpersönlichkeit und auf die Tapferkeit der Ihnen unterstellten deutsch-italienischen Truppen den heldenhaften Abwehrkampf in Ägypten. In der Lage, in der Sie sich befinden, kann es keinen anderen Gedanken geben als auszuharren, keinen Schritt zu weichen und jede Watte und jeden Kämpfer, die noch freigemacht werden können, in die Schlacht zu werfen. Beträchtliche Verstärkungen an fliegenden Verbänden werden in diesen Tagen dem Oberbefehlshaber Süd zugeführt werden. Auch der Duce und dos Commando Supremo werden die äußersten Anstrengungen unternehmen, um Ihnen die Mittel zur Fortführung des Kampfes zuzuführen, Trotz seiner Überlegenheit wird auch der Feind am Ende seiner Kraft sein. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, daß der stärkere Wille über die stärkeren Bataillone des Feindes triumphierte. ihrer Truppe aber können Sie keinen anderen Weg zeigen als den zum Siege oder zum Tode.

Adolf Hitler

In diesem Befehl wurde das Unmöglichste verlangt. Der gläubigste Soldat wird von einer Fliegerbombe totgeschlagen. Anscheinend war im Führerhauptquartier trotz unserer eindeutigen Lagemeldungen noch immer nicht klar geworden, wie es in Afrika stand.

Was helfen konnte, waren Waffen, Benzin und Flugzeuge, aber keine Befehle. Wir waren alle wie vor den Kopf geschlagen, und ich wußte das erste Mal während des afrikanischen Feldzuges nicht, was ich tun sollte. Eine gewisse Apathie bemächtigte sich unser, als wir befahlen, die im Moment besetzte Stellung sei auf höchsten Befehl zu halten.

Ich hatte mich zu diesem Entschluß durchgerungen, weil ich selbst immer wieder unbedingten Gehorsam verlangt hatte und mich infolgedessen auch für meine Person diesem Prinzip unterordnen wollte. Nach meinen künftigen Erfahrungen wäre mein Entscheid anders ausgefallen, denn wir waren später immer wieder gezwungen, Führer- und Ducebefehle zu umgehen, um die Armee zu retten.

Der erste Fall einer Einmischung höherer Stellen in die taktische Führung auf dem afrikanischen Kriegsschauplatz hatte eine erhebliche Schockwirkung. In uns stieg eine maßlose Erbitterung hoch, wenn wir an den hervorragenden Geist der Armee dachten, denn der letzte Soldat wußte, daß eine Wende des Schlachtverlaufes selbst durch die größte Anstrengung nicht mehr eintreten konnte.

Bereits eingeleitete Bewegungen nach Westen wurden abgestoppt und alles getan, um die Kampf kraft zu stärken. Dem Führer aber meldeten wir, daß im Fall eines weiteren Haltens der im Augenblick durch die Panzerarmee eingenommenen Positionen der Verlust der Armee und damit ganz Nordafrikas unvermeidbar wäre.

Auch die Nacht vom 3. auf den 4. November verlief ohne besondere Bewegung der Briten. All dies war verlorene Zeit. Wir hätten inzwischen mit allen Verbänden Fuka erreicht und dabei aller Wahrscheinlichkeit nach nur geringe Verluste erlitten. Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, daß uns der britische Führer eine derartige Chance geben würde. Nun verstrich sie ungenützt.

Am Morgen des 4. November gegen 8 Uhr griffen die Briten nach etwa einstündiger Artillerievorbereitung an.

Gleichzeitig traf Feldmarschall Kesselring (der Oberbefehlshaber Süd) auf meinem Gefechtsstand ein. Da ich annahm, daß der Führer auf Grund von optimistischen Lagebeurteilungen der Luftwaffe seine Entscheidungen gefällt hatte, gab es einige bittere Worte. Kesselring meinte, der Führer habe im Osten die Erfahrung gemacht, daß man in solchen Fällen unbedingt die Front halten muß.

Ich sagte dem Oberbefehlshaber Süd ausdrücklich: »Ich hatte bisher angenommen, daß der Führer mir die Führung der Armee überläßt. Dieser unsinnige Befehl hat auf uns wie ein Bombenschlag gewirkt. Er kann doch nicht einfach seine größtenteils aus Erfahrungen in Rußland geschöpften Kenntnisse auf die Kriegführung in Afrika übertragen. Er hätte hier schon mir die Entscheidung überlassen müssen.

Tatsächlich lag dem höchsten Befehl eine ganz andere Ursache zugrunde, wie sich auch in der folgenden Zeit immer deutlicher zeigen sollte.

Man konnte sich nicht damit abfinden, daß man dem deutschen Volk und der Welt sagen muß, daß El Alamein verlorenging, und glaubte, dieses Schicksal durch einen Befehl »Sieg oder Tod« wenden zu können. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir immer völlige Handlungsfreiheit in Nordafrika gehabt. Dies war nun zu Ende.

Nach der Besprechung mit Feldmarschall Kesselring fuhr ich zum Gefechtsstand des DAX, der einige Kilometer östlich der Front in einem Erdloch untergebracht war. Durch das Telephon erfuhr ich von meinem Chef des Stabes, Oberst Westphal, daß das XXI. Armeekorps südlich des XX. Armeekorps von den Briten durchbrochen wurde und Teile desselben nach Westen flohen.

Im ganzen ergab sich am frühen Nachmittag folgende Situation: Rechts des DAX hatte der Gegner mit starken Panzerkräften das XX. italienische motorisierte Korps vernichtet und damit eine Lücke von ungefähr 20 Kilometer Breite in die eigene Front geschlagen, durch die starke Panzerverbände im Vorgehen nach Westen waren.

Damit drohte die Einschließung der im Nordabschnitt befindlichen eigenen Verbände durch zwanzigfach überlegene Panzerkräfte des Gegners. Während die 90. Leichte Division in hervorragender Weise die britischen Angriffe gegen ihre Front abgewehrt hatte, war das DAX nach tapferstem Widerstand der Truppe an mehreren Stellen durchbrochen worden.

Nun war das eingetreten, was wir mit aller Macht zu vermeiden gesucht hatten: Die Front war zerbrochen, und der vollmotorisierte Gegner ergoß sich in unser Hinterland. In diesem Moment konnte es keinen höheren Befehl mehr geben.

Nach vorangegangener Besprechung mit Oberst Bayerlein, der die Führung des DAX übernommen hatte, gab ich trotz anderer Weisung den Befehl zu sofortigem Rückzug, um zu retten, was noch zu retten war. Das konnte wenigstens die motorisierten Teile der Panzerarmee vor der Vernichtung retten.

Trotz allem aber hatte die Armee durch die 24 Stunden Verzögerung neben beinahe ihrer gesamten Infanterie derartige Mengen an Panzern, Fahrzeugen und Geschützen verloren, daß sie nicht mehr in der Lage war, den britischen Vormarsch an irgendeiner Stelle aufzuhalten.

Die Befehle zum Rückzug gingen um 15.30 Uhr heraus und die Bewegungen liefen sofort an. Es war nicht mehr möglich, die Kolonnen zu ordnen, da nichts anderes als rascher Rückzug uns den britischen Luftangriffen, deren Ausmaß an diesem Tage den Höhepunkt erreichte, entziehen konnte.

Was nicht sofort die Straße gewann und abfloß, war verloren, denn der Gegner stieß in breiter Front nach und überwalzte alles, was ihm in den Weg kam. Am Morgen des nächsten Tages, viel zu spät, traf ein Funkspruch des Führers ein, in dem die Zurücknahme der Armee in die Fuka-Stellung genehmigt wurde.

Wir hatten die Entscheidungsschlacht im afrikanischen Feldzug verloren. Es war deshalb eine Entscheidungsschlacht, weil die Niederlage den Verlust eines Großteils unserer Infanterie und unserer motorisierten Verbände begründet hatte.

Erstaunlich war, daß deutsche und italienische Stellen die Fehler nicht im Versagen des Nachschubes, in unserer Luftunterlegenheit, in dem Befehl, vor El Alamein zu siegen oder zu sterben, suchten, sondern bei der Führung und Truppe.

Ich kann mich nach allen Erfahrungen nur zu einem Fehler bekennen und dies ist, daß ich nicht schon 24 Stunden früher den Befehl »Sieg oder Tod« umgangen habe. Dann wäre die Armee aller Wahrscheinlichkeit nach noch in einem halbwegs kampfkräftigen Zustand samt ihrer Infanterie gerettet worden.

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