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Konrad Adenauers letzte Worte: »KEIN GRUND ZUM WEINEN«

aus DER SPIEGEL 18/1967

Als er im Sterben lag, droben in seinem Haus am Hügel, diesem privaten Kyffhäuser, eingereiht in die Monumente rheinischer Romantik zwischen Drachenfels und Rolandsbogen -- da kamen sie wieder: Die Frauen, denen er seine Siege dankt.

Sie kamen trockenen Auges, ein undeutliches Drängen im Herzen, Wirrsal im Sinn, auch Angst. Sie waren ihm doch immer treu, manche ein Leben lang.

»Das war noch ein Mann«, sagte eine alte Dame jenseits der Achtzig, eine Spur Rouge auf den bebenden Lippen, »ein gottbegnadeter Mann.« Wer von den Männern, die nach ihm kamen, würde es wohl auf 91 Jahre bringen, wer? Vitalität -- wo war sie geblieben in diesen modernen Zeiten?

Einige kamen von weiter her -- Meda Wilhelmine Müller aus dem deutschen Norden zum Beispiel, die ihr Alter nicht preisgeben wollte, denn sie sei nicht verheiratet, sei es auch nie gewesen. Rosen hatte sie bringen wollen, bloß es gab keine mehr, und nun war sie in Sorge, ob der alte Herr die rosa Nelken, die es noch gab, auch schön finden werde.« Wissen Sie, ich habe Herrn Doktor Adenauer sehr verehrt.« Und auch sie, das ist ihr Trost und Triumph, hat Briefe von ihm.

Manche alte Damen gingen stundenlang auf und ab in der Dr.-Konrad-Adenauer-Straße, allein zumeist, denn sie brachten weder Blumen noch heilkräftigen Kräutertee noch selbstgemalte Christusbilder, nur ihre unerfüllten Träume, von denen sie nun lassen sollten. Sie schämten sich, hinaufzustarren zu dem weißen Haus mit den dunkelgrünen Klappläden und dem schiefergrauen Satteldach. Verstohlen nur schauten sie im Vorübergehen hügelan, als ob ihre Blicke sie verraten könnten.

Dabei gingen sie ohnehin unter im Trubel der Hausfrauen, der vom Wechsel des Wetters eher abzuhängen schien als vom Wechsel im Befinden des tödlich Erkrankten. Eine Art Ausflug hatte diese Jüngeren hergebracht, ein Spaziergang, den man sowieso gemacht hätte, ein kleiner Umweg von Kochtopf zu Kochtopf, ein bißchen Auslauf für die Kinder, ehe der Regen wiederkam.

Da überwog das Normale -- das Leben, das ja weitergeht, die unbefangene Besinnlichkeit am Fuße eines Denkmals, das seit langem schon ins Bild des Alltags gehört. Die Kinder probierten Fahrradkunststücke oder buddelten im Bausand, und die Mütter gaben es schließlich auf, ihre Gespräche immer wieder mit der Mahnung zu unterbrechen, die Kinder sollten doch ein bißchen leiser sein.

Es war eine mehrdeutige Anteilnahme. die das Volk herführte in die Straße und vor das Haus des sterbenden Alten. Man kann sie nicht nur im übertragenen, überhöhenden Sinne verstehen. Es war auch der Drang, dabeigewesen zu sein, Geschichte gespürt zu haben mit den eigenen schwachen Sinnen. Es war auch jene unstillbare Sehnsucht, die den Wanderer dazu bringt, seinen Namen in die Rinde alter Bäume zu ritzen oder in die Säulen des Parthenon. Und es war auch ein wenig der Wunsch, sich in der Verklärung des Bildschirms wiederzufinden, war auch ein wenig der Wunsch nach jener Winke-Winke-Präsenz, die das Fernsehen gezüchtet hat.

Um ihretwillen duldete man die dauernde Anwesenheit der im übrigen verabscheuten Chronisten, die überall Filmkartons, Zigarettenschachteln und die verbalen Rückstände ihrer blasphemischen Berufsauffassung ausstreuten.« Damals bei Churchill«, maulten die einschlägig spezialisierten Nachrichtenjäger nach einer Nacht im Auto mit Fachmännern und vielleicht sogar mit Mädchen, »damals hatten wir wenigstens Zelte.«

In der Kirche »Maria Heimsuchung« freilich, ein paar Schritte bloß entfernt, war eigentlich immer ungenutzter Platz. Nur am vorletzten Sonntag versammelten sich dort in nennenswerter Zahl die Gläubigen des Sprengeis, um nach Aufforderung des Rhöndorfer Pfarrers Lemmens, mit dem Konrad Adenauer nie besonders gut gestanden hat, um die Genesung »unseres Bundeskanzlers« zu beten, ersatzweise um einen guten Heimgang; denn wenn der Herrgott es anders beschlossen habe, dann solle man ihm auch nicht in den Arm fallen.

Wer sich also darauf einrichtete, daß der Herr der Schöpfung den populären Mythos vom hundertjährigen Adenauer nun doch nicht litt, der mochte wohl zum Friedhof gehen, an Konrad Adenauers Grab.

Von da, wo die Dr.-Konrad-Adenauer-Straße sich zu einem schmalen Durchlaß zwischen zwei windschiefen alten Häusern verengt, ist es nur ein kurzer, gesunder Spaziergang halbwegs den Drachenfels hinauf, durch eine jener buntscheckig von Fachwerk und willkürlichem Neubau begrenzten Gassen, in denen man schon gar keine Antwort auf die Frage findet, warum es denn wohl am Rhein so schön sei.

Auf dem Waldfriedhof selber geht es erst recht eng her. Ein Erweiterungsbau der Totenkapelle ist zwar im Honnefer Etat von 1967 mit 175 000 Mark veranschlagt, aber noch nicht begonnen. Das Adenauer-Grab, wo des Urkanzlers Eltern, seine beiden Frauen Emma und Gussie und sein bald nach der Geburt gestorbener Sohn Ferdinand auf ihn gewartet haben, ist gleich in der Nähe, an der obersten Serpentine, unter einem Dom von Bäumen.

Es ist kein trauriges Grab. Nicht der Totenengel ist in den Grabstein gemeißelt, sondern der Auferstandene. Eine heitere Holzbank lädt zum Verweilen, und unter dem Efeu blüht es bunt. Der Alte hat sogar einmal versucht, hier Rosen zu züchten. Ein transzendenter Optimismus ist um dieses Grab. Der es angelegt hat, Konrad Adenauer, muß seinem Herrgott wohl getraut haben.

Als er im Sterben lag, droben in seinem Haus am Hügel, diesem privaten Kyffhäuser, erkannte er, ehe das Bewußtsein ihm schwand, am Totenbett seine Kinder, und er sah ihre Tränen.

»Kein Grund zum Weinen«, sagte Konrad Adenauer.

Es waren seine letzten Worte.

Hermann Schreiber

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