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Kein Hitler

Von Rudolf Augstein
aus DER SPIEGEL 10/1991

Wer in Saddam Hussein einen zweiten Hitler gesehen hat, seinen »Wiedergänger« (Hans Magnus Enzensberger), muß sich enttäuscht fühlen. Nichts ist zu sehen von einem Todeswunsch, nichts vom »Privileg, als letzter zu sterben«.

Statt dessen vermutlich Gesuch um Asyl in einem angeblich befreundeten Land. Was für ein Heldenleben!

Ist Saddam ein »Feind des Menschengeschlechts«? Das war Napoleon auch. Wie sieht ein solcher Feind aus? Er ist eine »Erscheinung des 20. Jahrhunderts«. Bei allem Respekt, auf Napoleon trifft das nicht zu. Was könnte er dann sein? Nun, einfach eine »anthropologische Tatsache«. Das paßt auf Dschingis Khan wie auf Ajatollah Chomeini.

Warum hat man dann nicht den iranischen Ajatollah mit den modernsten Waffen gegen Saddam aufgepäppelt, sondern Saddam gegen Chomeini? Wieder ganz einfach. Man hat sich schlicht geirrt. Acht Jahre lang hielt man den Ajatollah aus Ghom für den »Feind des Menschengeschlechts«.

Aber Saddam hat doch während dieser acht Jahre an die 13 000 Kurden vergast, Männer, Frauen und Kinder? Ja nicht daran rühren, denn in der heute alliierten Türkei werden nahezu täglich Kurden ermordet. Sie hatte während des Ersten Weltkriegs auch an die 1,5 Millionen Armenier umbringen lassen - freilich ohne Gas.

Da denn George Bush gerade erst wieder die internationale Rechtsordnung bemühte: Stimmt es etwa nicht, daß Pol Pot vor gar nicht langer Zeit noch der Alliierte der USA war, der von acht Millionen friedlichen Einwohnern Kambodschas jeden vierten hat umbringen lassen? »Wirtschaft, Horatio«, »thrift«, möchte man da mit Hamlet sprechen. Um Armenier, Kurden und Kambodschaner schert man sich als Moralist nicht.

Hitler war, anders als Saddam, ein Ideologe. Er glaubte an seine Sache. Es war ihm selbstverständlich, lieber in seinem Bunker unterzugehen, als eine Ausflucht zu suchen. Hier kann der Fachmann mit der Wünschelrute einen Todestrieb ausmachen.

Schon offenkundig verloren, lehnte dieser Führer einen neuerlichen Pakt mit den Russen ausdrücklich ab, gleichgültig, ob er noch zu haben war oder nicht. Und der »Todfeind der Engländer« (Enzensberger) war er schon gar nicht. Am liebsten hätte er sich mit ihnen die Welt geteilt. Leicht erklärt sich die Geschichte, wenn man auf zu dünnem Eis mit zu großer Geschwindigkeit einherrast.

Was hat denn Saddam getan? Er ist, gestützt auf US-Appeasement und geplagt von seinen Kriegsschulden, im reichen Emirat Kuweit eingefallen. Dazu hatte er nicht viel Recht, aber immer noch mehr als Preußens Friedrich 1740 in Schlesien und Bismarck 1866 in Hannover.

Wie Saddam wieder herausbringen, ohne Menschenleben zu riskieren? Das war so wenig möglich - und nur hier mag ein Vergleich statthaft sein - wie im Fall Hitlers 1936 im Rheinland. Beide hätten das politisch wohl nicht überlebt.

Den Saddam, der Kuweit überfiel, hat niemand ernstlich gewarnt. Niemand weiß, was eine ernstliche Warnung bewirkt hätte. Hitler hingegen war von Neville Chamberlain 1939 ernstlich gewarnt worden. Zwar enttäuschte ihn, daß England Wort hielt. Aber zum Krieg gegen Polen war er ohnehin entschlossen.

Schon deshalb wirkt der Vergleich zwischen Hitler und Saddam leicht abstrus, weil Hitler noch Mitte 1943, nach Stalingrad also, vor den Ölfeldern von Maikop und am Kaukasus stand. Saddams Krieg hingegen mag viele Zehntausende von Irakern das Leben gekostet haben. Der Kriegsheld selbst harrte in seinem Bunker aus und bediente, weil das Fernsehen ausgefallen war, sein Dampfradio.

George Bush nach seiner Statur mußte eingreifen und ist der Sieger. Man mag es ihm gönnen. Seine Armada hatte allerdings keinen echten Gegner. Israel gab ihm mit seinen Atomwaffen für den Fall eines Gasangriffs einen Stand-by-credit.

Unbeantwortet bleibt nicht die Frage, ob dieser Krieg nötig war, sondern ob ein künftiger Krieg angesichts der Umweltrisiken führbar sein wird. Selbst Hitler, ökologisch noch unbeleckt, entfuhr angesichts der Raketen in Peenemünde der Schreckensruf: »Dann wird Krieg ja unmöglich.«

Nicht Saddams Feind ist die Welt, nicht die Welt Saddams Feind, wie Enzensberger meint. Vielmehr wird die Welt aus Zwang zum Feind des Krieges. Saddam war da nur ein Steinchen.

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