Zur Ausgabe
Artikel 15 / 64

Kein Kniefall vor »König Fußball«

aus DER SPIEGEL 7/1976

Die vorläufige Bilanz des Strafverfahrens in Sachen Schalke ist bekannt: neun Verurteilungen zu Geldstrafen und -- am Mittwoch letzter Woche -- zwei Freisprüche. Es ist die schriftliche Urteilsbegründung abzuwarten. Doch zu der Reaktion auf diese Urteilsbilanz muß schon jetzt etwas gesagt werden. Die 7. Große Strafkammer des Landgerichts Essen hat sich allzu vornehm verhalten. Sie gab durch ihren Vorsitzenden Richter Günter Pohl, 44, lediglich ihr »Erschrecken ob der Leichtfertigkeit« bekannt, mit der ein Gericht verdächtigt werden kann, wider Wissen und Gewissen entschieden zu haben.

Hier ist nicht Urteilsschelte geübt, sondern verleumdet worden. Die gemeinsten Attacken kamen dabei aus unerwarteter Richtung. Es gibt offenbar Berufsrichter in der Bundesrepublik, mit denen man sich auf dem nicht mehr sonderlich knusprigen Niveau von Radio-Eriwan-Witzen verständigen muß. Frage an Radio Eriwan: Darf man eine Große Strafkammer, ein Gericht also, dem drei Berufs- und zwei Laienrichter angehören, beleidigen? Antwort: Im Prinzip natürlich nicht. Aber wenn man Berufsrichter ist.

Es gilt derzeit in der Bundesrepublik als originell, wenn ein Richter bei der Zeugenbelehrung aktuell ist. So ließ beispielsweise der Richter Friedrich Bracht, 61, in Düsseldorf einen Zeugen wissen, er habe mit einer Freiheitsstrafe zu rechnen, so er falsch Zeugnis ablege -- »es sei denn, Sie seien ein bekannter Fußballer, dann bekommen Sie nur eine Geldstrafe«.

Der Tatrichter, der Richter also, der den Angeklagten und die Zeugen sieht und hört, hat in der Rechtsprechung einen Vorsprung vor dem Richter, der die Strafsache allein als Akte, also im Zusammenhang mit der Einlegung des Rechtsmittels, kennenlernt. Dieser Vorsprung plagt den Justizberichterstatter nicht gerade selten. Er meint, auch der Richter (oder besser: gerade der Richter). der in der Revision über das Urteil zu befinden hat, sollte sich einen Eindruck vom Angeklagten und von den Zeugen verschaffen können.

Dieser Meinung wird jedoch gerade seitens der Richterschaft widersprochen, unter anderem eben der bedeutsamen Rolle des Tatrichters wegen, die nicht durch die Möglichkeit der detaillierten Überprüfung im Rechtsmittel einer fatalen Irrtumsfähigkeit verdächtigt werden dürfe. Doch jetzt, in Sachen Schalke -- erleben wir Richter, die ein Urteil schmähen, als pochten sie nicht sonst darauf, daß nur sie den Angeklagten und die Zeugen gehört und gesehen haben.

Was die Medien zu den Urteilen im Schalke-Strafverfahren absonderten, könnte gering erscheinen angesichts derartiger richterlicher Urteilsschmähung, doch was ist da nicht alles geschrieben und gesagt worden ... Von einem Kniefall der Justiz vor »König Fußball« war die Rede, ausgerechnet in der »Frankfurter Allgemeinen«, in der doch sonst Herr Fromme die Autorität der Gerichte zu pflegen die Gewohnheit hat.

Es gibt sogar einen Kollegen, der mitteilte, gelegentlich der beiden Freisprüche in der vergangenen Woche habe der Vorsitzende Richter Pohl »zwar« und »sogar« ein »gewisses Unbehagen« zugegeben. Der Kollege nahm nicht an der Hauptverhandlung in Essen teil. Und so hat er auch nicht gehört, wie der Richter Pohl mit einem Ernst und in einem Ton, die jeden Verdacht widerlegten, in der Begründung der beiden Freisprüche sagte: »Die Kammer ist von der Unschuld der Angeklagten nicht überzeugt. Sie ist aber auch von der Schuld der Angeklagten nicht überzeugt.«

Sauberer kann das »in dubio pro reo«, das »im Zweifel für den Angeklagten« nicht festgestellt werden. Und sauber war auch die Begründung des Gerichts dafür, daß es den nur zu Geld- und nicht zu Freiheitsstrafen verurteilten Angeklagten einen Aussagenotstand zubilligte. Als Rechtfertigung für diese Entscheidung wurde das drohende Berufsverbot durch den Fußballverband nur unter anderem erwähnt.

Richter Pohl, der die Meineide dei« Angeklagten nicht mit einer Silbe bagatellisierte, teilte als Erkenntnis der Strafkammer mit: »Weil die Justiz damals (als die Eide der zu Geldstrafen verurteilten Angeklagten abgenommen wurden) mehr getan hat, als notwendig war, muß sie bei der Strafe jetzt zurückhaltend sein.« War das nicht deutlich genug? Quellen die Ohren über vor Schmalz?

Im Jahr 1974 wurde gegen 282 Angeklagte wegen Meineid verhandelt. Es ist ein Ruhmesblatt der Strafjustiz, daß ihr Meineide relativ selten unterkommen. Sie prüft in der Regel penibel, bevor sie schwören läßt, und der Gesetzgeber unterstützt sie dabei: Neuerdings kann auf die Vereidigung mit Einverständnis aller Beteiligten verzichtet werden. 1974 wurde in 263 Fällen auf Freiheitsstrafen erkannt, die in 236 Fällen zur Bewährung ausgesetzt wurden. Nur in 19 Fällen erfolgten Verurteilungen zu Geldstrafen, also wegen eines Aussagenotstands.

Muß sich indessen ein Gericht der Statistik unterwerfen? Die Gleichheit vor dem Gesetz wird nicht durch Zahlengehorsam demonstriert. Gerade wo es um Meineid geht, ist wirklich jeder Fall ein anderer Fall.

Nun wartet man auf den Deutschen Fußball-Bund (DFB). Was wird er mit den Verurteilten, den Freigesprochenen tun? Der Bundesliga-Skandal wurzelte auch darin, daß man meinte, ein Millionengeschäft auf Vereinsebene organisieren zu können: die Börse wurde zur Zweigstelle des« Sparvereins. Der DEB wäre wohlberaten, nicht Mitschuld, aber immerhin doch ein Versäumnis an Rücksicht auf die Anfälligkeit der menschlichen Natur in Rechnung zu stellen. Doch da ist der Herr Kindermann, der »Chefankläger« des DFB, Herr Kindermann, der Unerbittliche, der Ritter Georg hoch auf der Mähre.

Der Herr Kindermann ist auch Vorsitzender Richter in Stuttgart. Wir halten es für unvereinbar, daß jemand Richter ist, unabhängig und unabsetzbar und über den Dingen stehend -- und zugleich den Dingen auf das massivste verhaftet als Strafverfolger in einem Sportverband, der eine der gewichtigsten Wirtschaftsmächte in der Bundesrepublik ist. Richten (von Amtes wegen) und Anklagen (innerhalb eines derart voluminösen Vereinsverbandes) -- das ist unvereinbar.

Der Vorsitzende Richter Kindermann scheint ein verhinderter Staatsanwalt zu sein. Man stelle ihm einen Watschenmann oder einen Lukas zur Verfügung, damit er seine unterdrückte Identität abreagieren und weiterhin Vorsitzender Richter sein kann. Doch man lasse nicht zu, daß er im DFB seine wahre Bestimmung auslebt.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 15 / 64
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren