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»KEIN SCHLAG, NUR EIN PRESSENDER STOSS ...«

Von Gerhard Mauz
aus DER SPIEGEL 43/1966

Peter Fleischmann, Jahrgang 1946,

derzeit Gefreiter der Bundesmarine und Koch auf dem Zerstörer Hamburg«, ist ein netter, deutscher Junge. Er ist knapp über 1,60 groß, hat dichtes, schwarzes Kraushaar, leicht aufgeworfene Lippen, und seine Hautfarbe entspricht der von Milchkaffee.

Dies ist bereits die ganze Geschichte von der Schlacht in der Sauchiehall Street zu Glasgow, denn diese entzündete sich an Peter Fleischmann. Doch Klio, die Muse der Geschichte, mag's gern ein bißchen ausführlich.

Am Montag vergangener Woche liefen die Zerstörer »Hamburg« und »Schleswig-Holstein« zu einem Freundschaftsbesuch in Glasgow ein. Das Repertoire derartiger Goodwill-Unternehmen ist international: Schiffsbesichtigung, Austausch von Grußadressen und Angebinden, Kranzniederlegung, so sich ein Monument bietet, Kinderfest an Bord und Parties, Dinner-Jacket erbeten.

Doch schon in der Nacht vom Montag auf Dienstag erreichte das freundwillige Landemanöver einen tosenden Höhepunkt, der im anschließenden Morgengrauen als »Straßenschlacht« zwischen Schotten und Deutschen Überschriften machte, die wirklich Schlagzeilen genannt werden durften.

Auch derartiger Überschwang des guten Willens entspricht intertationaler Erfahrung. Indessen waren es die Germans, die wieder einmal an der Front erschienen: ein Katastrophenfall. Am Mittwoch verbreitete sich die Schreckenskunde in der Bundesrepublik.

In einer ersten Verhandlung am Dienstag hatten sich zwei schottische Straßenkämpfer für »schuldig« bekannt und waren zu Geldstrafen von 20 beziehungsweise 10 Pfund verurteilt worden.

Drei »German sailors« jedoch erklärten sich in dieser Sitzung für nicht schuldig«, verweigerten also das abkürzende Verfahren und waren Anlaß zu einer unheilschwangeren Anmerkung des Stipendiary Magistrate, des Richters Thomas McLaughlin: »Eigentlich sollte dies wohl eher ein Freundschaftsbesuch sein ...«

Der Berichterstatter, im Alarmstart aufgeflogen, wird endgültig in Depression versenkt, als er am Abend vor dem Prozeß vom Flughafen Abbotsinch nach Glasgow hineinrollt. Es hat den Anschein, daß Glasgows Straßen nicht von Laternen, sondern von Whisky-Reklamen beleuchtet werden.

1894 Whisky-Spezialitäten werden in Schottland gehandelt. Eine Zahl, für die, bitte, nicht die SPIEGEL-Dokumentation, sondern gegebenenfalls Wilson Russel vom »Scottish Daily Express« zur Rechenschaft zu ziehen ist. Grant's - Crawfords - Duncan McGregor - Logans - Whyte & Mackays - Haigs: Es blinkt und blitzt in allen Farben, hier läuten vermutlich selbst die Kirchenglocken »Whis - ky, Whis - ky«.

Wie kann es anders gewesen sein: Die vaterländische Pflicht zu gewinnendem, bescheidenem Auftreten ertrank im Whisky-Knotenpunkt des Globus. Dem zagen Schritt, der am nächsten Mittag in Erwartung des Unheils den Central Police Court, Turnbull Street

umrundet, wird an der Breitseite des Häuserblocks weitere, ruinöse Ermutigung zuteil: »Jesus saves.«

Der Konvoi der Bundesmarine nähert sich der Stätte des Gerichts, als ginge es zum Abwracken. Chopins Trauermarsch oder der zweite Satz aus Beethovens Siebter wären angemessen. Voran ein schwarzer Rolls-Royce, Modell »Princess«. Auf dem Kühler eine Bundesflagge, schlapp, es regnet.

Im Wagen deutsche Marineoffiziere, Konsul Evan Cameron, Barbara Naujocks, als Dolmetscherin vorgesehen. Im Kielwasser des Linienschiffs auf Rädern ein hellblauer VW 1600 TL. Auf seinem Rücksitz, im Genuß des Komforts, den Nordhoffs Fließheck den Ellbogen und den Köpfen bietet: Oberbootsmann Kinsel, Gefreiter Bertelsmann und zwischen ihnen Gefreiter Fleischmann.

Es soll nicht heißen »Kein Geistlicher hat sie begleitet«. Und so schließt sich droben im Saal noch der deutsche Pfarrer Becher dem Kondukt an, er steht im dritten von sechs Jahren, die er der evangelischen Kirche in Glasgow dienen soll.

Zehn, fünfzehn Zuhörer im Gestühl und Prosecutor Stanley Morrow, in Deutschland würde man ihn Staatsanwalt nennen: klein, zierlich, scharf., Für die Verteidigung William Dunlop; groß, breit, gelassen. »The Court«, im Heroldston, und man erhebt sich. Tief verbeugt sich aber auch Richter McLaughlin, der anschließend die Dolmetscherin akzeptiert und vereidigt.

Parteien sind Anklage und Verteidigung in England, auf gleicher Höhe sitzen sie sich vor dem Gericht gegenüber. Die Anklage führt ihre Zeugen vor, die anschließend von der Verteidigung befragt werden. Danach bietet die Verteidigung ihre Zeugen an, die wiederum gleichfalls das Fegefeuer der Gegenbefragung zu bestehen haben.

Für die Anklage drei Polizeibeamte, die Sauchiehall-Street-Schlacht, nunmehr im Saal, wird aufgebaut. Zwei Zentren des Getümmels schildern die Zeugen übereinstimmend: ein Zivilist im Kampf mit einem Uniformierten - zwei Zivilisten und ein Uniformierter im Gefecht. Der engere Kreis der Beteiligten ist von Glasgows Ordnungshütern, die schließlich einschlägig erfahren sind, präzis erfaßt worden:

Die drei angeklagten Deutschen. Und die Brüder William und John Maynes, 24 und 22, die sich für »schuldig« bekannten und damit der Erörterung entgangen sind. Natürlich war noch sehr viel,mehr Volk, Einheimische und Gäste in Uniform und Zivil, beteiligt, schließlich kam der Straßenverkehr zeitweilig zum Erliegen.

Doch die Mehrzahl der 60 bis 80 Personen, die auf dem Höhepunkt am deutsch-schottischen Austausch mitwirkten, lieferte nur Gedränge und Akustik. Und knuffte und puffte allenfalls mit, wenn sich ein Körperteil der Hauptkämpfer verführerisch bot. Immerhin, ein uniformierter PoliZeibeamter hat einen vollen Treffer im Gesicht registrieren müssen. Absender: Oberbootsmann Kinsel.

Mister Morrow zeigt, was ein britischer Prosecutor ist. Schmerzliche Rührung zwingt sich auf, während er den Beamten die Details ihrer vergeblichen Schlichtungsversuche abfragt. Und am Kaliber der Tätlichkeiten bleibt kein Zweifel, Mister Morrow will es genau wissen: »It was a punch.«

Mister Dunlop wiederum demonstriert die angelsächsische Kunst im Umgang mit den gegnerischen Zeugen. Die meisten Beamten stürzten sich in Zivil ins Getümmel, sie müssen das einräumen. Woher also sollten die Deutschen wissen -?

Die Kunst der Frage, auf die nur bestätigende Antwort möglich ist, sie ist schon eine Kunst. Richter McLaughlin sitzt, hört zu, und manchmal lacht er. Er lacht aber selbstverständlich nicht, als Verteidiger Dunlop sich erkundigt, ob die Beamten auch die Verletzungen der Deutschen gesehen haben. Wie bitte? Nein? Die Herren haben dies und jenes und das nicht gesehen?

Mister Dunlop winkt Peter Fleischmann herbei, kämpft mit dem Kraushaar, das wie eine Kappe sitzt, denn bitte, es ist eben Kraushaar wer's noch nicht begriffen hat, dem wird es demonstriert - ja, da hat Peter Fleischmann tatsächlich eine üble, verkrustete Blessur am Kopf. Und Oberbootsmann Kinsel entblößt die Wade, denn sein Schlag mag getroffen haben, aber was seiner Wade widerfahren ist, oho!

Für die Verteidigung ruft Mister Dunlop als ersten nicht etwa Peter Fleischmann auf, sondern den Gefreiten Wilfried Bertelsmann, 18, und von ihm war und ist in der Sitzung immer nur per »the blond sailor« die Rede.: Ein stämmiger Bursche, mit einem offenen Gesicht, so stellt man sich einen deutschen Matrosen vor.

Und so begann nun alles, Wilfried Bertelsmann zufolge: Mit Peter Fleischmann zusammen war er an Land gegangen. Sie fanden Gesellschaft, zwei Mädchen, mit denen wollten sie gern tanzen. Nur mit der Verständigung klappte es nicht. »Wo Tanz wär'«, fragten die Deutschen, vergeblich. »So wollte ich mich anderswo informieren.« Bertelsmann sprach zwei Passanten an: In what house ist dancing?« Die Antwort, denn sie kam von den Gebrüdern Maynes: »No dancing - good night you ...« You ...? Etwa »German bastards«? Der Punkt bleibt dunkel.

Danach »ging alles ziemlich schnell«. Der »Größere« (William) zog das Mädchen an sich, das sich bei Fleischmann eingehakt hatte, »von dem (William) kriegte er sogar einen Schlag«. Und »da bin ich dazwischengegangen«. Zunächst allerdings ging Bertelsmann zu Boden, und Barbara Naujocks gelingt eine besonders brillante Übersetzung dessen, was John dem Wilfried antat: »He kicked him in bis private parts.«

Prosecutor Morrow kann Bertelsmann nicht erschüttern. Nein, betrunken waren die Deutschen nicht. Zwei, drei Glas Bier im »Mexicana«. »No Whisky?« »No.« Peter Fleischmann als Zeuge in eigener Sache betritt eine wohlbestellte Szene. Er wurde mit einem Regenschirm geschlagen. Mister Dunlop mit Grabesstimme: »He felt the umbrella on bis head - .« Große Pause. »A gentlemans folding umbrella ... » Dieses umbrella-feeling legt sich wie Blei auf die Köpfe.

Am Ende hat Peter Fleischmann geweint. »Als ich dann plötzlich hinter schwedischen Gardinen war. Abgeführt wegen so was. Und in Uniform.« Die Mädchen? »Wie die Schlägerei ang'fange hat - scht, scht - weg.« Und es ging nicht nur um Leib und Leben, es ging auch um die von der Kammer übernommene Ausrüstung, wie man erfährt. Dem Bertelsmann hatten sie den weißen Bezug von der Kopfbedeckung geschlagen, nach dem fischte er links, während er rechts kämpfte. Und Fleischmanns Kragen war ruiniert, den wollte er zwischendurch immerzu ordnen, nur griff leider »der Kleine« (John) stets von neuem an.

Prosecutor Morrow will wissen, ob Peter Fleischmann weiß, was »Scottish bastard« heißt. Das soll er nämlich gesagt haben. Doch der Krauskopf kann kein Englisch, er lächelt verlegen, er hat nichts gesagt: »Ich war ganz sprachlos.«

Oberbootsmann Kinsel, 34, betrat die Arena aus dem »Mexicana« heraus, in Zivil, sah Bertelsmann in Landnot und vor allem Fleischmann. Als Proviantmeister der »Hamburg« ist er »sozusagen, ich meine fachlich« sein Vorgesetzter. Mister Dunlop, Frohsinn in der Stimme: »The chief«. Zu »the blond sailor« trat also »the chief": »Die Schotten hatten die Arme angewinkelt, und da sagte ich he-he.« Einen Polizeibeamten sah Kinsel nicht, der »stechende Schmerz im linken Bein« (die Wadel) nach einem »Kick« war sein Einstand, bitte. Der Schlag? »Es war kein Schlag. Dafür war es zu langsam. Es war ein pressender Stoß.«

Richter McLaughlins Spruch ist knapp: »Not proven.« Das gibt es nur in Schottland. Es bedeutet »unentschieden«. Die Stimmen in des Richters Brust fanden sich nicht zum Duett. Dies also war die Sauchiehall-Street-Schlacht, und Lord Provost John Johnson kommentierte sie für die Stadt Glasgow: »Ein unglücklicher Zwischenfall, der nun vergessen sein soll.« Fregattenkapitän Siegfried Thiel, Kommandant der »Hamburg«, von Gestalt ein blonder Siegfried, überreichte Verteidiger Dunlop ein gerahmtes Bild der »Hamburg«.

Ein Gastwirt sagte zu deutschen Matrosen später am Abend, die deutsche Marine sei die beste der Welt. Aber der Gastwirt war natürlich ein Schotte, und die Engländer wissen, was sie davon zu halten haben. Nichts Böses gegen William, den Großen, und John, den Kleinen. Jede Hafenstadt bewacht ihre Mädchen. Es ist dann halt besonderes Pech, an Krauskopf Peter Fleischmann zu geraten. Vor dem steht die Bundesmarine, bis zum letzten blonden Sailor.

Angeklagte deutsche Seeleute: Straßenschlacht ist zum letzten blonden Sailor

Kinderfest an Bord

Beim Freundschaftsbesuch ...

Zerstörer »Hamburg«, »Schleswig-Holstein«

... Hiebe mit dem Regenschirm

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