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Rudolf Augstein Kein Solo, bitte!

Von Rudolf Augstein
aus DER SPIEGEL 30/1972

Der Zwist zwischen Karl Schiller und seiner Partei ist nicht die Souterrain-Geschichte, für die man sie gern ausgibt. Vielmehr war der Konflikt in der Konstellation, früher hätte man gesagt der Gestirne, unausweichlich angelegt. Schiller hat eines der nicht eben zahlreichen bp-Gehirne. die es auf der Welt im ökonomischen Bereich überhaupt gibt. Dazu verfügt er über ein dem Politiker durchaus bekömmliches typisches Erscheinungsbild. als den Klassenersten im Matrosenanzug konnte man sich ihn immer gut vorstellen. Mit seiner Politik und mit seiner Person beschäftigte er die Phantasie der Menschen. ja der Massen.

So hätte eine SPD mit Hämmern genagelt sein müssen, es mit diesem Erster-Klasse-Mann nicht zu versuchen. Er hat ihr vielleicht sogar die Kanzlerschaft eingebracht (obwohl jeder Sieg, wie Karl Schiller einmal selbst erkannt hat, viele Väter hat).

Aber die andere Seite dieses Goldstücks war auch immer zu sehen, er hat sie nie versteckt: seine Neigung, die hier psychologisch nicht weiter ergründet werden soll, seine politischen Probleme für die einzigen zu halten, die wert sind, erörtert und gelöst zu werden. Schiller. mit Respekt sei es gesagt, war oder besser ist ein Egomane. Nur mit einem gewissen Schauder kann man sich an seine Ambition erinnern, Kanzler oder gar Parteivorsitzender der SPD zu werden.

Mit solchen Spitzenleuten ins Gefecht zu ziehen, bietet eine Zeitlang eine unbezweifelbare, oft eine einzigartig große Chance. Aber man darf sich nicht einbilden, das Glück allzu lange versuchen zu können. Schiller fordert seinen Kollegen auf die Dauer zuviel ab. Das Wort gilt, daß die Mitglieder dieses Kabinetts zum Schluß so weit waren, lieber vier Jahre in der Opposition als noch einmal vier Jahre mit ihm am Kabinettstisch sitzen zu wollen; im Ernst gilt das sogar für die FDP-Minister.

Hält man sich diese Situation vor Augen, so gewinnt Herbert Wehners wohlkalkulierte und gleichwohl imkluge Insinuation. Schiller sei aus Karrieregründen ausgeschieden, eine ganz andere Beleuchtung, Natürlich hatte Schiller recht, seine Wirtschaftspolitik als Wirtschaftsminister im Wahlkampf nur dann vertreten zu wollen, wenn er im Falle des Sieges auch wirklich wieder Wirtschaftsminister werden würde; das konnte Willy Brandt, ehrenhaft wie er ist, nicht versprechen (auf einem anderen Blatt steht, ob Schiller sich durch einen übertritt zur CDU selbst verbrennen will; Leute, die ihn gut zu kennen glauben, hielten solches Herostratentum jedenfalls am vorigen Samstag noch für nicht denkbar).

Brandts und Scheels Ersatzlösung krankt an eben dem Mangel, der Schiller zum Rücktritt bewogen hat. Wenn Helmut Schmidt in der kurzen bis zum Wahltag noch bleibenden Zeit als Ökonom Statur und, wichtiger noch, Vertrauen gewinnen will, muß er nicht als der Interimsminister, der ohnehin nichts machen kann, sondern als der künftige Wirtschaftsminister in den Wahlkampf ziehen. Die Abgrenzung zwischen Wirtschafts- und Finanzminister muß jetzt schon betrieben, Hans-Dietrich Genscher für das Gespann der beiden gewonnen werden.

Namentlich die SPD hat Grund, jene besseren Männer, von denen sie 1969 geschwärmt hat, nicht weiter im düstern zu lassen. Drei von ihnen sind aus wichtigen Ministerien geschieden, ohne eine angegriffene Gesundheit auch nur vorzuschützen.

Helmut Schmidt, man weiß es, ist keine Callas, obwohl er seinen von ihm heute zärtlich memorierten Beinamen auch gewissen vokalen Fähigkeiten verdankt. Aber ein Tenor ist er doch, die Stretta vorne an der Bühnenrampe will er sich bis zum Wahltag offenhalten: entweder die Rolle des Wehner-Nachfolgers im Fraktionsvorsitz (angenommen, Wehner wolle nicht mehr) oder die eines denn doch wohl Superministers, der nach seiner eigenen Fasson selig werden kann.

Dies Rätselraten, mit Verlaub. darf uns die Koalition, nach allem, was sie (sich) innenpolitisch geleistet hat, nicht mehr zumuten. Klar geworden sollte sein, daß sehr viel mehr Punkte, als geschehen, nicht mehr zu verschenken sind. Die Koalition kann sich bald nur noch den Vorteil ausrechnen, Strauß und Barzel zu Gegnern zu haben.

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