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MANNESMANN Kein Unternehmen

aus DER SPIEGEL 38/1962

Andreas Matthias Donner, holländischer Jurist und Präsident des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg, hat mit seinen vier Richterkollegen den Ruhrkonzern Mannesmann AG zur Zahlung von mindestens 25 Millionen Mark verdonnert. Der Millionensegen soll nachträglich einer seit mehr als drei Jahren verblichenen Institution, der Schrottausgleichskasse der Montan -Union, zugute kommen.

Diese Kasse, Anfang 1954 in Brüssel gegründet, hatte in einer Periode hoher Rohstoffpreise den teuren Import-Schrott aus Ländern außerhalb der Montan -Union verbilligen sollen. Die Hüttenwerke hatten die Kasse zu füllen, indem sie für jede Tonne im Inland gekauften Schrotts ("Zugkaufschrott") einen bestimmten Betrag nach Brüssel abführten.

Von der Abgabe war lediglich der Schrott befreit, der innerhalb eines Unternehmens anfiel und von ihm selbst verbraucht wurde ("Eigenschrott"). Die Mannesmann AG hatte folglich alles Alteisen, das aus konzerneigenen Unternehmen in konzerneigene Stahlöfen wanderte, als Eigenschrott verbucht und dafür keine Abgaben an die Kasse geleistet.

Indes, schon im Dezember 1957 fand die Hohe Behörde der Montan-Union in Luxemburg an dieser Mannesmann -Praxis etwas zu bemängeln. Als Eigenschrott, so führten die Luxemburger brieflich aus, könne nur der Schrott gelten, der innerhalb eines einzelnen Unternehmens anfalle; die Grenzen des Unternehmens seien durch dessen rechtliche Form, die sogenannte juristische Person, bestimmt.

Der Mannesmann-Konzern bestand aber bis Ende 1958 aus einer Holdinggesellschaft und juristisch selbständigen Tochtergesellschaften. Mithin, so folgerte die Hohe Behörde 1957, sei für Schrottlieferungen von einer Mannesmann-Gesellschaft an die andere eine Abgabe an die Brüsseler Kasse zu zahlen.

Vorerst konnte der Düsseldorfer Konzern gegen dieses Votum nicht beim Europäischen Gerichtshof klagen, da der Brief aus Luxemburg keine formgerechte Entscheidung darstellte. Erst am 5. Juli 1961, zweieinhalb Jahre, nachdem die Schrottkasse ihre Arbeit eingestellt hatte, gab die Hohe Behörde dem Brieftext von 1957 die Form einer Entscheidung.

Jetzt war die Klage zulässig, und siegessicher zogen die Mannesmann-Anwälte vor Andreas Donners Gericht. Die Schrottkasse, so argumentierten sie, habe eindeutig wirtschaftlichen Zwekken gedient. Es sei deshalb wenig sinnvoll, in diesem Fall den Begriff des Unternehmens ausschließlich nach juristischen Gesichtspunkten auszulegen.

Die Mannesmann-Tochtergesellschaften, die 1958 in nichtselbständige Betriebsabteilungen umgewandelt wurden, seien auch vorher schon reine Produktionsstätten gewesen, die Unternehmensfunktion habe allein bei der Obergesellschaft gelegen.

Auch das westdeutsche Steuerrecht, so trugen die Mannesmann-Vertreter vor, erkenne derart konstruierte Konzerne als Einzelunternehmen an. Sogar die Hohe Behörde selbst habe dem Mannesmann-Konzern in anderen Fällen die Unternehmens-Eigenschaft zuerkannt.

Zur Verblüffung der Konzern-Manager ließen sich jedoch die Europa-Juristen vom schlichten wirtschaftlichen Volksempfinden nicht beeindrucken. Auf die wirtschaftliche Realität komme es nicht an, urteilten sie, vielmehr seien juristisch selbständige Tochtergesellschaften mit Recht als selbständige Unternehmen anzusehen.

Die Brüsseler Kasse habe deshalb für den Schrott-Austausch zwischen den Mannesmann-Töchtern Zahlungen beanspruchen dürfen, »und zwar selbst in den Fällen, in denen die Bewegung vom wirtschaftlichen Standpunkt aus keine wirkliche Wertübertragung darstellt«.

Auch die Tatsache, daß der Mannesmann-Konzern von den Montan-Europäern bei anderer Gelegenheit als geschlossenes Unternehmen angesehen worden war, wischten die Richter vom Tisch: Es sei nichts daran auszusetzen, daß der Unternehmensbegriff speziell für die Zwecke der Ausgleichskasse auch einmal anders aufgefaßt werde.

In ihrer Bedrängnis berief sich die Mannesmann AG auf den Gleichheitsgrundsatz. Ein Unternehmen wie beispielsweise die Phoenix-Rheinrohr AG in Düsseldorf komme bei so spitzfindiger Auslegung mit sehr viel geringeren Kosten davon als Mannesmann, nur weil der Phoenix-Konzern zu Zeiten der Schrottkasse eine einheitliche juristische Form gehabt habe. Falls Mannesmann zahlen müsse, bedeute es für das Unternehmen nachträglich eine Verteuerung von fünf Mark je Tonne Rohstahl und von acht Mark je Tonne Walzstahl.

Auch dieser Einwand bereitete dem Donner-Gericht keine Schwierigkeiten. Befand das Kollegium: »Der Grundsatz der gleichen Behandlung darf nicht auf die Spitze getrieben werden.« Und: »Aus der Bilanz des Mannesmann-Konzerns ... geht hervor, daß Mannesmann sich in einer besonders erfreulichen Lage befindet. Es muß daher ausgeschlossen werden, daß die Wettbewerbsfähigkeit der Klägerin eine schwere Beeinträchtigung erfahren hat.«

Empörte sich die »Deutsche Zeitung": »Ebensogut könnte ein Richter einem Bestohlenen entgegenhalten, es ginge ihm trotzdem noch ganz gut.«

Daß die formelle Entscheidung der Behörde, welcher Schrott umlagepflichtig sei, erst zweieinhalb Jahre nach Auflösung der Schrottkasse gefällt worden war, störte die Richter nicht. Sie brauchen auch nicht zu befürchten, daß ihr anfechtbarer Spruch angefochten wird: Es gibt weder eine Berufungs- noch eine Revisionsinstanz.

Die Konzernleitung im Mannesmann -Hochhaus am Düsseldorfer Rheinufer muß sich nun mit dem Gedanken vertraut machen, 25 Millionen Mark, das entspricht rund einem Drittel der für 1961 als Reingewinn ausgeschütteten Dividendensumme, der längst begrabenen Schrottkasse hinterherzuwerfen.

Sagt Mannesmann-Generaldirektor Winkhaus: »So was ist doch ein unerträglicher Zustand. Wir wissen noch nicht, ob wir freiwillig zahlen werden.«

Europa-Richter Donner

Mit 25 Millionen ...

Mannesmann-Kläger Winkhaus

... zur Schrottkasse gebeten

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