ENGLAND Kein Weg zurück
Im Zentrum des walisischen Städtchens Pontypridd schienen die Fronten im britischen Bergarbeiterstreik plötzlich verkehrt: 2000 Kumpel eroberten das regionale Hauptquartier ihrer eigenen Gewerkschaft. Sie legten ringsum den Verkehr lahm und besetzten die Büros der National Union of Mineworkers (NUM) im dritten Stock des ockerfarbenen Gebäudes.
Andere Kumpel verbarrikadierten die Treppenaufgänge, die zu den NUM-Büros hinaufführen. Sie zogen Stacheldraht von Wand zu Wand und versperrten Flure und Foyers. »Genossen, es gibt keinen Weg zurück, kapituliert wird nicht«, rief Emlyn Williams, grauhaariger Chef der walisischen Bergarbeiter, ins Megaphon, »wir werden kämpfen und gewinnen, selbst wenn wir dabei sterben müssen.«
Williams und seine Männer waren unter roten Fahnen zu einer Kraftprobe mit der Justiz angetreten, bei der es zwar nicht um Leib und Leben, wohl aber um die Kasse und die Existenz der walisischen Gewerkschaft ging. Doch der Widerstand war zunächst nur symbolisch: Die unmittelbaren Feinde - vier Gerichtsvollzieher - ließen sich bis zum Ende vergangener Woche nicht vor der Bergarbeiterfestung blicken.
Der Londoner High Court hatte vorigen Mittwoch die Beschlagnahme des gesamten südwalisischen NUM-Vermögens angeordnet, weil die Regionalgewerkschaft eine Geldstrafe in Höhe von 50 000 Pfund nicht anerkennen wollte. Die aber war nur zwei Tage vorher vom gleichen Gericht ausgesprochen worden. Die Gewerkschaft, so Richter Hugh Park, habe sich der »Mißachtung des Gerichts« ("contempt of court") schuldig gemacht, eines in der englischen Rechtsprechung schwerwiegenden Delikts.
Dazu war es gekommen, nachdem zwei Fuhrunternehmer eine gerichtliche Verfügung gegen die Kumpelgewerkschaft von Südwales erwirkt hatten.
Den Fuhrbossen gefiel nicht, daß die NUM ihre Streikposten vor dem Stahlwerk des walisischen Küstenorts Port Talbot aufmarschieren ließ, um die Fabrik vom Koks- und Kohle-Nachschub, der mit Schwerlastwagen angekarrt wird, abzuschneiden. Dort und mit Streikposten vor anderen Stahlwerken versuchte Arthur Scargill, Präsident der NUM-Gesamtgewerkschaft, Druck auf die Regierung Thatcher auszuüben, um sie zur Zurücknahme des Streikanlasses - die geplante Schließung von 20 unrentablen staatlichen Kohlegruben - zu bewegen.
Doch weder er noch die Gewerkschafter von Pontypridd zogen die Streikposten vor dem Stahlwerk von Port Talbot ab. Sie behinderten die Lkw-Konvois trotz gerichtlicher Verfügung weiterhin und warfen gelegentlich auch Steine durch die Frontscheiben der Koks- und Kohle-Trucks.
Damit aber verstieß die Gewerkschaft gegen einen zentralen Paragraphen des Bündels von Gesetzen, mit denen Margaret Thatchers konservative Regierung versucht, den von jeher weitgesteckten gewerkschaftlichen Streikraum einzuengen.
Der Paragraph verbietet das sogenannte »secondary picketing« - die Entsendung von Streikposten zu Unternehmen, die mit dem jeweiligen Arbeitskonflikt nicht unmittelbar zu tun haben. Im britischen Kohlekampf aber scheuten bisher sowohl Staatskonzerne wie British Steel und die Strombehörde CEGB, deren Kraftwerke teils auch belagert werden, vor einer Klage wegen »secondary picketing« zurück.
Die Chefs von Strom und Stahl fürchteten gemeinsam mit Regierungschefin Maggie Thatcher, die Streikenden mit einem Gerichtsurteil nur noch mehr zu radikalisieren.
Der Fuhrunternehmer Richard Read und dessen Neffe George indessen scherten sich um solche Rücksichtnahme nicht. Sie gaben sich vorige Woche entschlossen, die Regionalgewerkschaft von neuem zu verklagen, wenn Streikposten ihre Koks- und Kohlelaster abermals behindern sollten. »Da kennen wir nichts«, drohten die Reads, »wir gehen vor Gericht, wenn wir es für richtig halten.«
Die Read-Verwandtschaft, polterte daraufhin ein Funktionär der NUM in Pontypridd, versuche, »auf dem Rücken streikender Bergarbeiter zu Millionären« werden zu wollen. Doch das kann, was zum Beispiel Richard Read angeht, nicht ganz stimmen. Denn zum Pfund-Millionär wurde er bereits vorher dank seiner Fuhrpark-Flotte, die vor allem im Dienst der Kohlebehörde NCB und des Stahlwerks von Port Talbot unterwegs ist. Onkel Read besitzt außerdem noch eine 90-Hektar-Farm und ein gutgehendes Pub, das er, wie Neffe George, im firmeneigenen Rolls-Royce besucht.
Für die Gewerkschafter könnten weitere Klagen der kampflustigen Reads die finanzielle Auszehrung und damit den Zusammenbruch des Zechenstreiks bedeuten. Ähnliches widerfuhr zum Beispiel Ende 1983 schon der Druckergewerkschaft National Graphical Association (NGA). Die Drucker wurden zu Geldstrafen von insgesamt 675 000 Pfund verurteilt, weil sie unter anderem das Druckereigebäude eines nordenglischen Anzeigenblatt-Verlegers mit Streikposten belagerten, die nicht zu dem bestreikten Betrieb gehörten. Am Ende mußte sich die NGA schmachvoll bei Gericht entschuldigen.
Die Bergarbeitergewerkschaft freilich will nicht klein beigeben. Das Vermögen der Waliser, bei Streikbeginn im März drei Millionen Pfund, wurde zum größten Teil auf ausländische Konten transferiert, der Rest in Lebensmittelkäufen für die Streikkumpel angelegt.
Gewerkschaftsführer Scargill triumphierte: die Streikposten von Port Talbot, so verkündete er, würden nicht abgezogen, »unabhängig davon, wieviel von unserem Eigentum beschlagnahmt wird«. Scargill: »Wenn nötig, wird die NUM von einer Telephonzelle aus operieren.«