UNION Keinerlei Gegensatz
Franz Josef Strauß hat endlich errreicht, was er seit langem erstrebte: Der Kanzlerkandidat der Unionsparteien will kämpfen -- gegen den CSU-Chef, notfalls bis zum Bruch des Bündnisses mit der bayrischen Schwesterpartei.
Eine Kette von Demütigungen hat Kohl so zermürbt, daß er den Schein der Einheit nicht länger wahren und der entscheidenden Auseinandersetzung mit dem CSU-Chef kaum noch ausweichen kann. Der Mainzer sieht nur die Alternative: Entweder er läßt seine Autorität weiter durch den Bayern-Führer demontieren, oder er nimmt das Duell um die Führung der Opposition auf. Ein friedliches Arrangement mit Strauß scheint dem Christdemokraten nicht mehr möglich.
Seit sich der CDU-Vorsitzende anschickte, die Nummer eins der Christenunion für den Wahlkampf 1976 zu werden, hat Strauß keine Gelegenheit ausgelassen, Helmut Kohl zu ducken. Das vorläufig letzte Bayernstück: Ohne Absprache mit dem CDU-Führer vermahnte der CSU-Chef am Freitag vorletzter Woche schriftlich die Ministerpräsidenten der CDU-Länder und alle Abgeordneten der Union, das jüngste Abkommen mit Polen im Bundesrat und Bundestag abzulehnen.
Noch freilich ist Kohl überzeugt, hinter den Strauß-Attacken stecke die Absicht, einen »archimedischen Punkt« (ein Kohl-Vertrauter) zu finden, um den gering geachteten Kanzlerkandidaten doch noch auszuhebeln und sich selbst an dessen Stelle zu setzen.
Doch die Analyse des CDU-Führers trifft einmal mehr daneben: Der Bayer weiß längst, daß ein Kanzlerkandidat Strauß keine Chance hat, die absolute Mehrheit zu erreichen. Er ist überzeugt, daß allein die Spaltung der Christenunion in zwei voneinander unabhängige Bundesparteien die Mehrheit von SPD und FDP in Bonn brechen könnte. Seine Absicht: Durch seine Provokationen möchte er den CDU-Chef in die Rolle desjenigen treiben, der im Krach mit der CSU die Einheit der Union zerstört.
Die Gelegenheit bietet sich schon bald. Der Mainzer ist bislang fest entschlossen, bei der Aufstellung der Kernmannschaft für den kommenden Wahlkampf klarzumachen. daß er und nicht Strauß die Route der Union bestimmt.
Zwar hat der Kandidat bei der Aussprache mit dem CSU-Chef über die Ausfälle seines Generalsekretärs Kurt Biedenkopf im SPIEGEL Mitte Oktober im bayrischen Kreuth Strauß in dem Glauben gelassen, er werde nach dem Willen von Strauß nur eine kleine Kernmannschaft mit den CSU-genehmen CDU-Politikern Gerhard Stoltenberg, Hans Katzer, Karl Carstens und Alfred Dregger berufen. Aber jetzt soll Strauß sich getäuscht haben. Statt des Strauß-Freundes Dregger will Kohl den Strauß-Feind Rainer Barzel aufstellen. Und selbst an dem vom »Bayernkurier« als »Hampelmann« titulierten Biedenkopf, für Strauß-Anhänger »persona non gratissima« (CSU-Staatssekretär Erich Kiesl), soll als Mitglied der Kernmannschaft für den bayrischen Christenführer kein Weg vorbeigehen. Als Auftakt der General-Abrechnung mit Strauß hat Kohl die Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am Dienstag dieser Woche vorgesehen.
Der Mainzer sieht sich zum Angriff gegen Strauß auch deshalb gezwungen, weil selbst bei seinen treuesten Anhängern Zweifel an der Führungsqualität ihres Favoriten aufgekommen sind. Freunde und Gegner des Mainzers sind sich einig: Allzu dilettantisch hat sich Kohl wieder einmal in der Bonner Politik versucht, als er sein Votum gegen das Polen-Abkommen vier Tage nach dem Strauß-Veto nachschob und so als Marionette des Bayern dastand.
Der westfälische CDU-Vorsitzende Heinrich Windelen maßregelte seinen Bundesoberen öffentlich: Kohl hätte besser daran getan, sein Nein zu den Abmachungen mit Warschau bereits früher zu Protokoll zu geben. Und CSU-MdB Walter Becher, Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, drohte gar unverhüllt: Sollte die CDU den Vertrag mit Warschau nicht ablehnen, dann könne er seinen Sudetendeutschen nicht länger empfehlen, diese Partei zu wählen.
Verbittert kommentierte ein Mitglied des CDU-Präsidiums den offensichtlichen Autoritätsschwund des Kanzlerkandidaten: »Bei den Rechten kann sich wohl mittlerweile jeder alles erlauben. Wenn der linke Blüm seinen christlichen Gewerkschaftlern empfohlen hätte, nicht die CDU zu wählen, weil sie die paritätische Mitbestimmung ablehne, dann wäre der längst aus der Partei gefeuert worden.«
Selbst in Kohls eigenem Haus, im Kabinett zu Mainz, brach am vergangenen Dienstag offener Widerstand gegen den Chef aus. Kultusminister Bernhard Vogel und Sozialminister Geißler erhoben sich gegen Kohls Nein zu den Verträgen, weil das Schicksal von 125 000 deutschstämmigen Aussiedlern höher rangieren müsse als taktisches Kalkül. Kohls Minister weigerten sich -- am selben Tag, an dem der Kanzlerkandidat sein negatives Votum bekanntgab -.ein Bundesrats-Nein gegen die Verträge durch die Landesregierung zu beschließen und zu veröffentlichen. Anders als ihr Ministerpräsident wollten sie nicht als willfährige Befehlsempfänger von Strauß erscheinen.
In der Tat sind Kohl bei seiner Stellungnahme zu dem Polen-Abkommen gravierende Führungsfehler unterlaufen. Bis zuletzt verwirrte er Freunde und Gegner über seine wahren Absichten. In einem Brief an den Bonner Vertreter der Evangelischen Kirche, Bischof Hermann Kunst, hatte der CDU-Chef vor drei Wochen versichert, die CDU werde die Verträge im Bundesrat nicht scheitern lassen.
Strauß aber gewann in Kreuth wenig später die Gewißheit, er sei sich mit Kohl in der bedingungslosen Ablehnung der Verträge einig. Auf einer Pressekonferenz am vorletzten Montag wiederum wich Kohl einem klaren Nein zu den Verträgen aus. Strauß rief, als ihm erste Meldungen über das Kohl-Verhalten vorgelegt wurden, empört aus: »Das kann der doch nicht machen.«
Im CDU-Bundesvorstand schließlich, in dem sich eine Mehrheit für ein Ja zu den Polen-Verträgen abzeichnete. verhinderte Kohl eine förmliche Abstimmung: »Ich weiß ja ohnehin, wenn ich mich hier umgucke, wie die einzelnen abstimmen wollen.« Dann aber folgte er wieder nicht der Aufforderung von Strauß, der während einer Sitzung des außenpolitischen Arbeitskreises der CDU/CSU-Fraktion gefordert hatte, Kohl solle nicht länger ausweichend operieren. Drei Tage später lehrte der Bayer mit seinem Brief an die CDU den Christdemokraten schließlich Mores.
Als der Kandidat vier Tage später dann doch mit seinem Nein nachklappte, waren seine Anhänger entsetzt, weil sich der Mainzer nun auch noch in Gegensatz zu Außenminister Hans-Dietrich Genscher gesetzt hatte, der den Polen-Akkord als Herzstück seiner Ostpolitik ansieht und mit dessen FDP Kohl 1976 zu koalieren hofft. Prompt reagierte FDP-Fraktions-Vorsitzender Wolfgang Mischnick auf dem Mainzer Parteitag der Liberalen mit einer klaren Absage an eine CDU/FDP-Koalition.
Seine Fehler will der Christdemokrat nun durch Härte gegen Strauß vergessen machen. Grundlage seiner Konfliktstrategie ist die Überzeugung, daß Strauß seine Drohung mit der vierten Partei vor der Wahl 1976 keinesfalls mehr wahrmachen könne. Weder werde die CSU-Basis ihm dabei folgen, weil sie den Einbruch der CDU nach Bayern fürchte, noch reichten Zeit und Mittel, um bis zum Wahlkampf eine schlagkräftige Organisation außerhalb der weißblauen Grenzen aufzubauen.
Doch auch diese Kohl-Rechnung stimmt nicht mehr. Inzwischen ist das Zerwürfnis zwischen CSU und weiten Teilen der CDU so tief, daß Strauß in Bonn bereits ausstreuen läßt, es werde ihm ein Leichtes sein, auf einem Sonderparteitag der Christsozialen die erforderliche Mehrheit für eine Satzungsänderung zusammenzubringen, die er für die Ausweitung der CSU braucht.
Auf neuestem Stand ist zudem eine Kartei im Büro Strauß, in der fleißig die Namen von Sympathisanten überall im Land gesammelt werden. CSU-Funktionäre verbreiten in Bonn, selbst ein halbes Jahr bis zu dem Wahltermin reiche »bei unseren Vorbereitungen«, um doch noch eine vierte Partei auf die Beine zu bringen -- zumindest in einigen bereits ausgesuchten Schwerpunkten in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hamburg.
Ein Strauß-Kenner im CDU-Präsidium gewann letzte Woche die Erkenntnis: »Daß die vierte Partei in einigen rheinischen Großstädten versucht wird, schließe ich nun nicht mehr aus.«