USA Keksdose als Bankier
Tillie, die Neue, trägt ein knackiges gelb-rotes Kostüm und ist allzeit bereit. Tippt man ihr -- immer in netter Form -- auf den Bauch, spuckt sie Geld aus.
Tückisch werden kann Tillie allerdings auch. Wenn ihr nicht paßt, wie man mit ihr umgeht, schluckt sie ripsch-rapsch den Plastikausweis, der den Zugang zu ihren Diensten ermöglicht.
Tillie -- unter diesem Namen wurde sie dem Publikum von Atlanta vorgestellt -- ist ein elektronischer Bankautomat, mit dem ein Kunde finanzielle Transaktionen vornehmen kann bis hin zur Aushandlung eines Kleinkredits.
Rund 6000 Bankroboter gibt es inzwischen in den USA. Sie werden, sieht die »New York Times« voraus, den »Umgang mit Geld in Amerika fundamental verändern«. Das System heißt im Fachjargon »Electronic Funding Transfer System« (EFTS). Offensichtlich um die Angst ihrer Kunden vor Robotern abzufangen, wird es von den Banken gern in verniedlichter Form angeboten.
»Tillie the Teller« präsentierte sich den Bürgern von Atlanta auf Hunderten von Werbetafeln im Abbild einer properen, apfeiwangigen Maid. »Simple Simon« heißt der Automat in Los Angeles. In Lake Worth in Florida steckte man ihn ins Kostüm einer überdimensionalen Keksdose -- die Vorstellung suggerierend, jeder könne ungestört vom eigenen Bankkonto naschen.
Schon eingebürgert hat sich das System beim Einkauf. An über 200 000 Kassen steht ein Mini-Computer, kaum größer als eine elektrische Schreibmaschine. Ihm wird die Kennkarte des Kunden und dessen geheime Codenummer eingefüttert sowie der Endpreis seiner Einkäufe.
In Sekundenbruchteilen prüft der Computer dann den Kontostand des Käufers und bucht, wenn das Konto es erlaubt, den Rechnungsbetrag auf die Einkaufsstätte um. Zugleich kann der Kunde sogar Bargeld abrufen Kaufhauskassen als Bankschalterersatz.
In New York sind mit stummen Kassierern inzwischen ganze Bankhallen ausgestattet. Sie liegen meist in Vorräumen normaler Banken und stehen rund um die Uhr zur Verfügung. Mit der Kennkarte und ein bißchen Fingergymnastik kann der Kunde Rechnungen bezahlen, sich Bargeld verschaffen oder deponieren.
Den jeweils nächsten Schritt für eine Transaktion gibt der Computer auf einem Bildschirm bekannt. Dann springt eine Schublade auf, in der -- wenn verlangt -- das Bargeld liegt, nebst einem Zettelchen mit Computer-Latein.
Der Computer erläutert auch, wenn er ablehnt. »Guthaben reicht nicht«, kann er barsch erklären, oder auch: »Die Codenummer stimmt nicht.«
In diesem suspekten Fall behält der neumodische Bankier das eingeschobene Plastikkärtchen bei sich. Der verdächtige Kunde muß am nächsten Tag beim leibhaftigen Vorsteher der Maschine vorstellig werden, um das Kärtchen zurückzubekommen.
Die Bankiers hatten sich viel von den Geld-Automaten versprochen, weil sie befürchten mußten, in nächster Zukunft in Papier zu ersticken. 90 Prozent des amerikanischen Geldverkehrs werden per Scheck abgewickelt -- Papieren also, die wie in den Kontoren der Großväter von Menschen bearbeitet werden müssen. Personalkosten pro Scheck: 30 Cent, davon trägt der Kunde zehn Cent.
Die Anschaffungskosten von 50 000 Dollar pro Roboter rentieren sich nur, wenn die Maschine ständig benutzt wird. Viele Kunden fürchten jedoch, per Bankroboter ihre Finanzgewohnheiten preiszugeben.
In der ostamerikanischen Stadt Wilmington fanden sich zwar rund 20 000 Verbraucher bereit, in den Einkaufsstätten elektronisch zu zahlen. In Santa Barbara, Kalifornien, jedoch wurden 137 frisch installierte Maschinen wieder stillgelegt, weil sie rosteten. Viele von ihnen wurden weniger als 20mal im Monat benutzt.
Gleichwohl empfahl ein Ausschuß des Kongresses, der die Tücken des elektronischen Geldverkehrs untersuchen sollte, eine Ausweitung des Computer-Systems.
New Yorks Citibank investierte bislang 50 Millionen Dollar und eröffnete 270 elektronische Zweigstellen. Und John J. Poppen, Vizepräsident einer großen Management-Beratungsfirma, ist vom Erfolg der elektronischen Banker überzeugt: »Wir haben den Punkt längst überschritten, an dem wir zurück könnten.«