Zur Ausgabe
Artikel 13 / 62

POLIZEI Kerle fangen

Immer mehr Schupos ziehen die Uniform aus und gehen in Zivil auf Streife -- Bürgerhilfe, Bürgerschreck.
aus DER SPIEGEL 1/1975

Es war noch dunkel in Düsseldorf, frühmorgens 4.30 Uhr, als der Rentner Verdächtiges vernahm: Durch seine Gemüsebeete schlichen zwei Gestalten in Lederjacken. »Was wollt ihr da, ihr Schweine, macht bloß, daß ihr wegkommt«, rief der 66jährige durchs Fenster.

»Polizei, Polizei«, tönte es zurück.

»Euch werde ich Polizei geben, euch brate ich was über«, zeterte der Rentner und ballerte gleich los, mit einer Schreckschußpistole.

Von den Beeten her erwiderten die beiden Lederjackentypen das Feuer, mit Polizeipistolen und in die Luft.

Es waren in der Tat Polizisten, Beamte einer Düsseldorfer Zivilstreife, die, auf der Suche nach einem Einbrecher, statt Uniform saloppes Zeug trugen -- große Mode unter westdeutschen Ordnungshütern.

Immer häufiger geraten in Großstädten Bürgerbeschützer zu Bürgerschrecken, entstehen durch Mißverständnisse nach dem Düsseldorfer Muster gefährliche Situationen. Immer häufiger aber auch legen Polizisten, getarnt als Ganoventypen, echten Ganoven die Handschellen an.

Von Amts wegen suchen westdeutsche Schupos passendes Mimikry fürs Milieu: Mal müssen es Männer mit Bärten sein oder auch Kerle mit langen Haaren. Vielerorts schlüpfen die Beamten in Rocker-Montur, in Hamburg gibt es für den Hafen den Typ Seebär. für den Hauptbahnhof hingegen den Typ Geschäftsmann. Gelegentlich zittert einer als alte Dame in Frauenkleidern los, so ein Berliner Fahnder, der einen Handtaschenräuber faßte.

Da werden, etwa in Hannover, täglich die Autos gewechselt oder wenigstens dann und wann die Nummernschilder, wie in Hamburg. Berlins Spezialtrupp ist mit Funkgeräten in Taschenformat ausgerüstet; ihre Hannoveraner Kollegen können sogar über kugelschreibergroße Mikrophone Daten aus dem Computer erfragen und bei Sondereinsätzen Sprechkontakt zum Hubschrauber aufnehmen.

Während sich die Bundesländer Mobile Einsatzkommandos, Sondereinheiten scharfschießender Spezialisten, zur Bekämpfung von Terroristen und Geiselgangstern zulegten, ließen in den Großstädten Polizeipräsidenten Spezialisten für die Alltags-Kriminalität fitmachen: jüngere, aber schon erfahrene Beamte mit Spürsinn.

Sie passen nicht ins Klischee des auffällig unauffälligen Kripobeamten, der nach dem Verbrechen kommt und kombiniert. Sie ähneln schon gar nicht dem Schupo, der nach herkömmlicher Bürgererfahrung, stets in Uniform, ordentlich und adrett, für Sicherheit auf den Straßen sorgt.

»Keine Großstadt«, sagt Kölns Polizeipräsident Jürgen Hosse, »kann auf den Einsatz von Zivilen verzichten.« In München, wo die Einsätze in Zivil »stark gestiegen« sind, erläutert Schutzpolizeivize Franz Haimerl: »Wir reden nicht viel davon, sondern machen es einfach.«

In Berlin rühmt der Leitende Polizeidirektor Günther Freund gern die »höchste Effektivität« seiner Zivilfahndertruppe. Seit sich 1969 die ersten Schupos in zerschlissenen Jeans zu den Gammlern, Ausgeflippten und Trebegängern auf die Stufen zur Gedächtniskirche setzten, wurde aus der Zivilfahndung »fast so was wie ein Programm« (Freund). Nun arbeitet eine knappe Hundertschaft im Schichtwechsel Tag und Nacht auf Berlins Straßen.

Ebenso viele Zivilfahnder lauern neuerdings in Frankfurt. vorwiegend bei Dunkelheit, Einbrechern und Räubern, Sittlichkeitstätern und Autodieben auf. Die Spezialstreifen sind im Laufe des Jahres 1974 »verdoppelt worden, weil sie sich bewährt haben«, sagt Bezirkskommissar Hans Neitzel.

In Köln entwickelte Polizeipräsident Hosse nachgerade Vorliebe fürs Zivile. Er schickte unlängst seine Männer ohne Uniform auf zwei Großfahndungen ("Ernte 74« und »Spätlese"), und auch sonst verwendet er »für die Repression und bei der Verfolgung strafbarer Taten nur noch Zivile«.

Denn nach seiner Erkenntnis nutzt die uniformierte Streife nur zur generellen Prävention. aber »sobald die vorbei ist, tun dann die Ganoven hinter deren Rücken, was sie auch ursprünglich vorhatten«. Das Bruch-Gewerbe müsse deshalb »bei jedem Wagen, der vorbeifährt, damit rechnen, daß da Polizisten drinsitzen«.

Auch Baden-Württembergs Polizei handelt, so der für die öffentliche Sicherheit zuständige Ministerialdirigent Alfred Stümper aus dem Innenministerium, zunehmend nach der Devise: »Wenn man die Bevölkerung beruhigen will, zeigt man zuerst uniformierte Polizei. Will man irgendwelche Kerle fangen, geht man in Zivil.«

Man tut"s auch, wenn es um Damen geht, wie in Lörrach, wo fünf Beamte eines Karlsruher Sonderkommandos in allerzivilster Tarnung ein als Massagesalon ausgewiesenes Bordell besuchten und die Masseuse Monika überführten. Protokoll: »Sie fragte mich, ob ich GV will. Ich willigte auftragsgemäß ein.«

Freilich, die verfeinerten Fangmethoden verursachten auch beträchtliche Beunruhigung, zumal im Volk der Deutschen ohnehin »eine irrationale Angst vor dem Verbrechen herrscht«, so Hamburgs Kriminaldirektor Hans Zühlsdorf. Aber gerade dort, wo öfter mal was passierte, wo sich brave Bürger zu Recht unsicherer fühlen mußten als anderswo, tauchten die Getarnten häufiger aus der Dunkelheit auf.

Sie wirkten »wie Wegelagerer«, beschwerte sich ein Mann im »Weser-Kurier": »Ich bekam es mit der Angst zu tun.« Sie glichen »finsteren Gestalten empörte sich eine Sekretärin im »Hamburger Abendblatt": »Ich dachte, das sind Rocker und lief und lief.« Sie sahen aus »wie Zuhälter«, rechtfertigte sich der Frankfurter Porschefahrer Dieter Wolf, der -- als er angehalten wurde -- auf »Überfall« schaltete, Gas gab und dann beschossen wurde. Vor allem aber geriet die zivile Fahndung ins Zwielicht, als Todesschüsse fielen: In München wurde der Taxifahrer Günter Jendrian von einem Sonderkommando erschossen, das in Gesichtsmasken, Jeans und Rollkragenpullover in dessen Wohnung eingedrungen war. Jendrian hatte zum Gewehr gegriffen, in solch einer Situation »ein halber Selbstmord«, so Oberstaatsanwalt Herbert Fendt, der den Fall untersuchte (SPIEGEL 22/1974).

Sicher ist, daß durch Zivilfahndung Mißverständnisse »nie ganz auszuschließen sind«, räumt Münchens Schupo-Vize Haimerl ein. »Das ist ein latenter Nachteil, der unvermeidlich ist«, muß in Hamburg auch der Leitende Polizeidirektor Werner Giese zugeben: »Doch was der Bürger meint, an Furcht einbringen zu müssen, bekommt er auf der anderen Seite durch eine deutlich verbesserte Verbrechensbekämpfung in hohem Maße honoriert.«

In Gieses Hamburger Bezirk Mitte, der die kriminogenen Viertel St. Pauli und St. Georg umfaßt, waren 1974 etwa acht Prozent der Streifenbeamten in Zivil unterwegs. Auf ihr Konto aber kamen bis zum Dezember 16 Prozent der Festnahmen. Von den Straftaten, die nicht aus dem Volke gemeldet, sondern von der Polizei selbst festgestellt wurden, spürten sie gar 41 Prozent auf.

Hannovers 60 Mann starkes Zivilstreifenkommando (ZSK), technisch ausgestattet wie kaum ein anderes in der Bundesrepublik, hat nach Ansicht von ZSK-Leiter Karl-Heinz Gottschalk so manchen Einbrecher davon abgehalten, »in Hannover ein Ding zu drehen": Die Straftaten-Statistik ist erstmals seit 1970 wieder rückläufig. Das Kommando faßt pro Monat 35 bis 40 Tatverdächtige, überprüft aber etwa siebenmal so viele Passanten.

Doch bei solchen Kontrollen fliehen gelegentlich auch harmlose Bürger vor der zivilen Polizei, eine Erfahrung. die Hamburgs Polizeipräsident Günter Redding an die Hanseaten appellieren ließ: »Stehenbleiben.« Düsseldorfs Kollege Horst Jäger rät, »in aller Ruhe den Dienstausweis des Zivilbeamten zu studieren«.

Gleichwohl, so sagt der Wuppertaler Polizeirechtler Kurt Gintzel, »ist inaktives Verhalten immer besser, sei es, daß zivile Polizeibeamte oder auch Rocker an den Bürger herantreten«. Denn bei den Fahndern lösten panische Fluchtreaktionen automatisch den Verdacht aus, »das ist ja ein ganz dicker Wauwau«. Und bei Gewalttätern wird nach Gintzels Einschätzung »durch inaktives Verhalten des Opfers die Aggression zumindest nicht weiter aufgebaut, sondern eher gedämpft«.

Damit sich die Zivilfahnder zumindest nicht gegenseitig erschrecken oder gar jagen, gibt Hamburgs Polizei jeden Tag ein mehrsilbiges Kodewort heraus, mal »Erbsensuppe« oder »Vogelbauer«, mal »Wintermantel« oder »Weihnachtsmärchen«. Polizeidirektor Giese: »Denn es passierte hin und wieder, daß zwei Streifen in einem dunklen Haus herumtappten und sich gegenseitig anriefen: 'Halt, stehenbleiben, Polizei.'«

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 13 / 62
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren