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HAMBURG Ketten rasseln

War Hamburg gemeint, als Kanzler Schmidt von den Möglichkeiten einer SPD/CDU-Koalition sprach?
aus DER SPIEGEL 48/1976

Die Partner piesacken sich unablässig. »Unberechenbar«, so mäkelte Bundeskanzler Helmut Schmidt auf einer Hamburger Parteiveranstaltung, seien die Freien Demokraten der Hansestadt, und ihr Landesverband werde »auch nicht gerade erstklassig geführt«. Sozialdemokrat Hans-Ulrich Klose, Chef der sozialliberalen Koalition, träumt laut von »einer Mehrheit«, die es ihm erlauben würde, ohne die FDP zu regieren.

Mathematikprofessor Dieter Biallas andererseits, Zweiter Bürgermeister und Cheftheoretiker der FDP, würde sich »ehrlich freuen«, wenn er »gegen eine Große Koalition von SPD und CDU in Opposition gehen« dürfte. Und die FDP-Landesverbandsvorsitzende Helga Schuchardt konterte den »unqualifizierten« Angriff des Kanzlers mit dem drohenden Hinweis, »auf welch hohes Maß an Loyalität Sie selbst in den vier Jahren angewiesen sind«.

In Hamburg scheinen die letzten Reste an Loyalität zwischen den Verbündeten schon verbraucht. Die am rechten Rand der Gesamtpartei siedelnden Sozialdemokraten verbindet außer dem regelmäßigen Austausch von Grobheiten wenig mehr mit den linkslastigen Liberalen.

Nachdem der Kanzler in Bonn erklärt hat, ebenso wie CDU und FDP etwa in Niedersachsen oder im Saarland könnten SPD und CDU »in einem Bundesland« koalieren, hält Frau Schuchardt es gar für »gut möglich«, daß Schmidt dabei an die Hanseaten gedacht hat. Und auch FDP-Fraktionsvize Gerhard Weber glaubt, Hamburg sei »das einzige Land, das da in Frage kommt«.

Ohne Zank und Zunder geht kaum noch etwas im gemeinsamen Regierungsgeschäft. So sprach sich -- jüngster Beleg -- vorletzte Woche der von der SPD dominierte Senat für den Bau des umkämpften Atomkraftwerks Brokdorf aus; letzte Woche aber forderte der FDP-Landesverband seine Freidemokraten im Landesparlament auf« darauf hinzuwirken, »daß die Bauarbeiten unterbrochen« werden.

In den Haaren liegen sich die Partner bei Personalfragen -- erst lehnten die Sozialdemokraten ab, als die FDP einen Mann ihrer Couleur auf einen Staatsratsposten heben wollte, dann kippte die FDP einen SPD-Kandidaten für den höchsten Beamtenposten des Landes. Uneins sind sich die Regierenden des in Geldnöten steckenden Stadtstaats auch über die politischen Prioritäten: Die SPD fordert Vorrang für die Arbeitsplatzsicherung und den Sturmflutschutz im Hafen. die FDP möchte der Bildung Vorrang gehen.

Mühsam nur wurde der Streit um die Einstellung Radikaler in den öffentlichen Dienst beigelegt, Auseinandersetzungen über einen Entwurf für ein Verfassungsschutz-Gesetz stehen bevor -- »da ist sicher noch Sprengstoff drin« (Schuchardt).

Keine Gelegenheit verstreicht, ohne daß sich die Gefährten Unartiges unterbreiten. Als etwa in Niedersachsen überraschend die sozialliberale Koalition abgewählt wurde, befand Hamburgs SPD-Fraktionschef Ulrich Hart-- mann, auf die hanseatischen Freidemokraten sei nun auch »kein Verlaß mehr«. Prompt giftete die Vorsitzende Schuchardt zurück: »Mildernde Umstände wegen politischer Unreife.«

Und als nach der Bundestagswahl -- die Hamburger SPD kam mit IB Verlustpunkten überdurchschnittlich gut weg, die FDP verlor mit einem Prozent überdurchschnittlich viele Stimmen -- sich neues Selbstbewußtsein bei den Genossen verbreitete und sie, wie FDP-Biallas wahrnahm, die« Morgenluft der absoluten Mehrheit witterten«, rief Helga Schuchardt ihre Gefolgschaft auf, bei der nächsten Bürgerschaftswahl eine »absolute SPD-Mehrheit zu verhindern«. Ohnehin, so die Vorsitzende« seien Hamburgs Sozialdemokraten die »CSU in der SPD«.

Der SPD-Landesvorsitzende Oswald Paulig keilte unverzüglich zurück: Er bewundere« »daß Sie trotzdem mit den hanseatischen Bajuwaren koalieren«, notierte »Wohlwollen« für die »linken bzw. linkischen Exerzitien« der Politikerin und unterschrieb seinen Brief mit »Oswald »Franz Josef« Paulig«.

Letzte Woche schließlich kam es zu neuem Eklat. als ein vertraulicher Bericht aus dem Parlaments- »Unterausschuß Theater« publik wurde. Darin hatte SPD-Parlamentarier Wolfgang Tarnowski unverblümt seine Meinung über die liberal verwaltete hamburgische Kulturbehörde (beherrscht von »Mißtrauen und Kleinkariertheit") und über Amtschef Biallas ("keinerlei Impulse") verbreitet.

Trotz allem allerdings kann sich Freidemokrat Biallas »überhaupt nicht vorstellen«, daß die Liberalen durch eine Große Koalition aus der Regierung verdrängt werden -- »von allem anderen abgesehen, denken Sie nur mal an die Personalprobleme«.

Die sind erheblich: CDU-Spitzenkandidat Erik Blumenfeld kehrt nur zu Wahlkampfzeiten in der Heimat ein, muß aber dennoch weiterhin als Vorzeigefigur herhalten. Und die Parlamentarier-Riege der Hanseaten-Union ist so dünn mit guten Leuten besetzt, daß drei neu in den Bundestag gewählte Christdemokraten neben dem Bonner auch noch ihr Hamburger Mandat ausüben wollen.

FDP-Biallas scheint entschlossen, sich über die Feindseligkeiten unter den Koalitionsfreunden nur maßvoll zu ärgern: »Je fester man an einen Verbündeten gefesselt ist«, so deutet er den Dauerstreit. »desto mehr neigt man scheinbar dazu, mit den Ketten zu rasseln.« Zwar sieht er »individuelle Grenzen der Loyalität«, aber »die sind bei uns weit gesteckt«.

Und sosehr ihm die Abhängigkeit von der quertreibenden FDP zuwider ist -- auch für Regierungschef Klose scheinen die Grenzen noch nicht erreicht. Einen Pakt mit der CDU lehnt er »strikt« ab, vorerst: »Mit mir nicht.«

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