Keulenschläge
Minutenlang mußte Heinrich Peter
Hellwege, 1. Vorsitzender des Direktoriums der Niedersächsischen Landespartei, seine Rede im Lüneburger Schützenhaus unterbrechen. Nur mit Mühe gelang es dem Versammlungsleiter, die Ruhe einigermaßen wiederherzustellen.
Hellwege hatte die SPD ("eine Partei mit Hilfestellung") und deren Vorsitzenden scharf angegriffen. Dr. Schumacher, so sagte der Welfenführer, sei auf seiner Englandreise dem deutschen Volk in der Rücken gefallen. Er habe in London die Anhänger der nichtmarxistischen Parteier verdächtigt, einem versteckten Faschismus zu huldigen. Das aber seien Keulenschläge gegen das deutsche Volk.
Es war auch schon vorher in der Versammlung munter hergegangen. Ein Zwischenrufer warf dem Redner das Wort »Aschenbecher« an den Kopf, als er die Privatinitiative bemühte, um die anlaufende Gebrauchsgüterfertigung zu würdigen, die sich in den Schaufensterauslagen der Städte darbiete.
Trotzdem ließ Hellewege nicht locker, jeden Versuch einer Sozialisierung zu attackieren. Die Sozialisierung sei der Beginn einer »Macht-vor-Recht-Politik«. Allen, die heute diesem Grundsatz huldgen, rief der Redner seine Warnung und sein »Wehe!« entgegen.
In deutlicher Anspielung auf den Kampf der Alt-Hannoveraner, zitierte Hellwege wider den »Götzen Macht«, der vor 80 Jahren seinen Einzug in Deutschland gehalten und Niedersachsen unter das preußische Joch gezwungen habe.
Hellwege, Kaufmann und Landrat, mit 38 Jahren einer der jüngsten unter den deutschen Parteiführern, liebt es, aus der Vorgeschichte seiner niedersächsischen Heimat seine politischen Tagesansichten zu nähren. Wie er in seiner Lüneburger Rede die geschichtliche Waffen- und Stammesgemeinschaft mit den Engländern anführte, so beruft er sich auf seinen Großvater und seinen Vater, die ihn zum »Kampf gegen das dem hannoverschen Volk von Preußen im Jahre 1866 zugefügte Unrecht« erzogen. In seinem Arbeitszimmer in Neuenkirchen im Kreise Stade wird das Bild seines Vaters von einer großen gelb-weißen Schleife umrahmt, auf deren Enden unter der Herzogskrone die Buchstaben »E A« mit Gold aufgestickt sind. (Ernst August, Herzog von Braunschweig und Lüneburg).
Im September 1945 fing Hellwege an, seine alten hannoverschen Parteifreunde wieder um sich zu sammeln. Im Niedersächsischen Landtag steht die NLP mit 17 Abgeordneten hinter SPD und CDU an dritter Stelle.
Schon zweimal soll die NLP in Fusionsverhandlungen mit anderen Parteien gestanden haben. Auf dem ersten Landesparteitag in Celle im Mai 1946 war es Hellwege selbst, der einen Zusammenschluß seiner Partei mit dem Landesverband Hannover der Freien Demokraten ankündigte. Deren ebenfalls anwesender Präsident Heile, der vor einigen Tagen von der FDP abgesetzt wurde, suchte die Verbrüderung aufzuhalten - umsonst, man verstand ihn miß, und erst ein energisches Dementi der Freien Demokraten brachte eine Klärung.
Jetzt meldete der Sozialdemokratische Pressedienst, daß sich die NLP mit allen Rechtsgruppen, wie der Deutschen Rechtspartei und der Deutschen Konservativen Partei, zusammenschließen und eine »Deutsche Landespartei« bilden wolle. Die neue Partei werde rechts von der CDU stehen und sich über alle Zonen erstrecken.
Wieder folgte das Dementi der Ankündigung auf dem Fuße. Diesmal von Hellwege selbst. Die NLP wisse »weder von diesbezüglichen Verhandlungen noch von der Vereinigung irgend etwas«.
In Wuppertal tagte etwa gleichzeitig der erste Kreisparteitag der Deutschen Konservativen Partei. Unter der Losung: »Deutschland muß leben!« Es wurde die Sammlung aller politisch rechtsgerichteten Deutschen gefordert.
Unter der gelb-weißen Schleife Heinrich Hellwege