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FASCHISTEN Kinderlos einsam

aus DER SPIEGEL 47/1966

Ob der tote »Hitler lebt«, hat Werner Smoydzin, 41, Regierungsdirektor beim Verfassungsschutz, von Berufs wegen und jetzt auch als Autor untersucht. Er veröffentlichte eine Untersuchung über »die Tätigkeit und Zielsetzung internationaler faschistischer Organisationen"*:

Gemeinsames Kennzeichen dieser braunen Gruppen laut Smoydzin: Sie erkennen Hitler »als ihr Vorbild und einen der größten Führer aller Zeiten« an, bekennen sich zur »Vorherrschaft der weißen Rasse« und fordern nach wie vor die »Ausweisung und Entrechtung der Juden und anderer völkischer oder Rassengruppen«.

Sie leben von den alten Losungen, vollbringen allerdings kaum neue Taten. Die Berichte über NS-Geheimorganisationen sind - so Smoydzin - mehr Dichtung als Wahrheit (siehe Auszug Seite 87).

Die neofaschistischen Gruppen bilden »keine gegenwärtige Gefahr für irgendeinen Staat der freien Welt«. Hitlerwahn, Rassendünkel und Antisemitismus sind überall Sache »kleinster Minderheiten«.

Zu den faschistischen Organisationen zählt Smoydzin die »Movimento Sociale Italiano«, und sie ist weitaus die größte: Als einzige ist sie im Parlament ihres Landes vertreten - mit 27 Abgeordneten und 15 Senatoren.

In der Neuen Welt hört die »American Nazi Party« (ANP) auf das Kommando des ehemaligen Marineflieger -Offiziers George Lincoln Rockwell. Nach seinen Angaben hat die ANP rund 2000 Mitglieder. Die US-Nazis randalieren gern in imitierten SA-Uniformen. Einer von ihnen, Russel M. Hudson, kettete sich im Dezember 1964 mit einer Handschelle an den Zaun der Britischen Botschaft in Washington, um Freiheit für die braunen Brüder in England zu ertrotzen.

Die übrigen nationalen Verbände schrumpften meist zu »reinen Debattierclubs« (Smoydzin) zusammen. So etwa

- die dänische »Reform Bewegelse«, der nur noch 20 Volksgenossen angehören;

- die »Nederlandse Sociaale Beweging«, die auf weniger als 100 Mitglieder zusammenschrumpfte;

- das »Comite National Francais«, das wegen Mitgliederschwundes »weitgehend inaktiv« wurde;

- die »Volkspartei der Schweiz«, die nur noch bei einem Dutzend Eidgenossen Rückhalt hat;

- die »Österreichische Soziale Bewegung« mit knapp 100 Angehörigen;

- das »Union Movement« der begüterten britischen »Schlüsselfigur des internationalen Faschismus«, Sir Oswald Mosley, der mit seinen rund 500 Parteimitgliedern Afrika im Verhältnis 1:2 zwischen Weißen und Negern aufteilen möchte.

Nicht recht gelungen sind bislang die Bemühungen der Hitler-Erben, aus diesen kleinen Gruppen eine braune Internationale zu bilden.

Delegierte aus sieben Ländern gründeten zu Pfingsten 1951 in Malmö die »Europäische Soziale Bewegung«. Im Januar 1953 taten sich in Paris Faschisten zur »Europäischen Verbindungsstelle« zusammen, aus der die »Europäische Neuordnung« hervorging. Diese beiden Verbände verfügen zur Zeit laut Smoydzin über »3000 bis 4000 Anhänger in ganz Europa«. Hier reihten sich auch die Angehörigen eingegangener oder verbotener Gruppen ein. Smoydzin: »Es sind immer dieselben Leute.«

In Deutschland konnten die Neofaschisten bislang keine neue Gruppe gründen, nachdem die »Sozialistische Reichspartei« für verfassungswidrig erklärt und verboten wurde. Aber die Marschrichtung wird trotzdem von der Bundesrepublik aus bestimmt.

Für das gefährlichste »Bindeglied und Publikationsmittel... auf internationaler Ebene« und für den »Konzentrationspunkt der europäischen Faschisten« hält der Verfassungsschützer die seit Januar 1951 in Coburg erscheinende Monatsschrift »Nation Europa« des ehemaligen SS-Sturmbannführers Arthur Ehrhardt. Zu den Gesellschaftern des Verlages gehört - neben anderen Alten Kämpfern - auch der ehemals stellvertretende Reichspressechef Helmut Sündermann.

Dank internationaler Unterstützung speit die Coburger Rotation in einer Auflage von 8000 Stück monatlich Gedankengut aus, dem zu danken ist, »wenn ... Deutschland heute wieder als Nährboden faschistischer Bestrebungen gilt« (Smoydzin).

Beispielsweise würdigte das Blatt den Todestag Adolf Hitlers: »Es gibt einen sicheren Maßstab für ... das Vertrauen, das ein Volk seinem Führer schenkt: Die Geburtenziffer! - Wenn heute Deutschland ... überhaupt wieder politisches Gewicht hat, dann dank der geburtenstarken »Hitlerjahrgänge«. Seine giftigsten Gegner können sie nicht wegdisputieren. Hitler, der kinderlos Einsame, hinterließ sie uns als schönstes Erbe.«

Kontakte zwischen »Nation Europa« oder ausländischen NS-Gruppen und der rechtsradikalen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands vermochte Verfassungshüter Smoydzin nicht festzustellen: »Die NPD hält sich davon ziemlich klar. Die sind da sehr vorsichtig.«

NPD-Vorsitzer Fritz Thielen zollt der Coburger »Nation Europa« allerdings Anerkennung: »Soweit ich es lesen konnte, ist der Inhalt sehr gut.«

* Werner Smoydzin: »Hitler lebt«. Ilmgau -Verlag, Pfaffenhofen; 224 Seiten; 9,80 Mark.

Verfassungsschützer Smoydzin

Lebt Hitler?

Festgenommene US-Nazis in Atlantic City: Es sind immer

US-Nazi Hudson in Washington

... dieselben Leute«

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