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NAHOST Kindische Träume

Wollte Libyens Gaddafi den Sudan überfallen, Ägypten angreifen und einen neuen Nahostkonflikt heraufbeschwören?
aus DER SPIEGEL 9/1983

Diesmal ging es so, wie es nach der Vorstellung Washingtons und Hollywoods immer zu gehen hat:

Die bedrängten Freunde rufen verzweifelt nach dem großen Bruder USA. Der kommt mit Macht und Glorie, mit Flugzeugträgern und Jets - und schon zieht sich der böse Feind zurück, »ab in seine Kiste«, wie US-Außenminister George Shultz erleichtert feststellte.

Shultz meinte den Mann, der immer für so ein Abenteuerdrehbuch gut ist: Muammar el-Gaddafi, Libyens Führer und, nach Amerikas Auffassung, »Friedensfeind Nummer eins«.

Ihn zu schrecken ist Washington einigen Aufwand wert. Vor Libyens Küste war die atomgetriebene »Nimitz« aufgefahren, der Welt größter Flugzeugträger, extra von seiner Position vor der libanesischen Küste herbeordert.

Zwei F-14 Jäger der »Nimitz« verjagten auch prompt zwei libysche Kampfflugzeuge, die sich dem Schiff genähert hatten. Vier »Awacs«-Überwachungsflugzeuge spähten von Ägypten aus nach verdächtigen libyschen Aufmarschbewegungen Richtung Sudan - Nahost schien am Rande eines neuen Konflikts.

Inzwischen schwimmt die »Nimitz« wieder in Sichtweite der tiefverschneiten Libanon-Berge, sind die Awacs wieder auf ihren Heimatstützpunkt Tinker Air Force Base in Oklahoma zurückgekehrt.

Etwas überrascht diskutieren alle Beteiligten, Amerikaner, Libyer, Ägypter und Sudanesen, die Frage, wie ernst die Lage eigentlich war. Hatte Gaddafi wirklich einen Angriff auf den Sudan geplant? Hatte er wenigstens die Regierung in Khartum stürzen wollen? Oder ging es dem Libyer darum, die Ägypter in ein kriegerisches Abenteuer zu verwickeln?

Ägyptens Präsident Mubarak und der sudanesische Staatschef Numeiri gaben vergangene Woche beruhigende Erklärungen ab - alles halb so schlimm. Zwar hatten libysche Flugzeuge den ägyptischen Luftraum verletzt und deshalb, so Mubarak bei einem Besuch seines Verbündeten Numeiri, habe er die Libyer auch telephonisch warnen lassen. Aber wegen Gaddafi die Amerikaner um die Entsendung von Awacs-Flugzeugen bitten? Keineswegs. Die Awacs hätten sich nur zu Übungszwecken in Ägypten aufgehalten.

Die Amerikaner hätten alles übermäßig dramatisiert, monierten hohe Beamte aus der Begleitung Mubaraks, wie das eben so in deren Art läge. Wirklich schlimm sei daran nur, daß jetzt der Eindruck erweckt sei, daß Mubarak in irgendeiner Weise in Verbindung mit den militärischen Aktionen der Amerikaner stehe.

Auch Numeiri, seit seiner Machtübernahme vor knapp 14 Jahren in einen Dauerkampf ums politische und physische Überleben verstrickt, wollte plötzlich an keine akute Gefahr mehr glauben. Gaddafi plane schon seit Jahren, seine Regierung zu stürzen, meinte er vage. »Ich glaube nicht, daß die libysche Bedrohung in absehbarer Zeit enden wird.«

Und Gaddafi selbst bekannte in kehligem Englisch vor amerikanischen Fernsehkameras, er habe wirklich nichts Böses im Schilde geführt.

Das ist Auslegungssache. Fest steht jedenfalls, daß der umtriebige Libyer während der vergangenen Monate, als die Aufmerksamkeit der Welt mehr auf den Libanon und die Palästinenser gerichtet war, nicht müßig blieb: Er erschreckte die tunesischen Nachbarn durch Truppenkonzentrationen an ihrer Grenze, stiftete ihm hörige Nigerianer zu religiösen Unruhen an, unterstützte die Rebellen in der Zentralafrikanischen Republik.

Derlei gehört bei Gaddafi zum normalen Geschäftsgang; daß er versuchte, im Sudan zu zündeln, ist ihm ein tieferes Anliegen. Denn gerade jetzt ist einer seiner Hauptgegner, Tschad-Präsident Hissein Habre, auf dem besten Wege, sich enger an den Sudan anzuschließen.

Die bloße Existenz Habres erinnert den libyschen Oberst an den unglücklichen Ausgang seiner Tschad-Invasion von 1980, die den Zweck hatte, dem Gaddafi-Favoriten Gukuni Weddei auf den Präsidentenstuhl zu verhelfen.

Aber nach dem Rückzug der Libyer 1981 besiegte Habre mit mehr oder minder diskreter Hilfe der Ägypter, Sudanesen, Amerikaner und Israelis seinen Rivalen Gukuni Weddei. Für Gaddafi sind da einige Rechnungen offen.

Als Habre unlängst nach Khartum reiste, um ein Abkommen über technische Zusammenarbeit zwischen dem Tschad und dem Sudan zu unterzeichnen, schien es an der Zeit zu handeln: S.127 Der Libyer zog Wüstenkämpfer in den Kufra-Oasen vor der Sudan-Grenze zusammen. Zugleich alarmierte Gaddafi die von ihm finanzierten Teile der sudanesischen Opposition zum entscheidenden Schlag gegen Numeiri. Aber da war nicht viel aufzubieten.

Der inzwischen verstorbene sudanesische Oppositionsführer Hindi hatte Gaddafis Hilfsgelder gewinnbringend in der Schweiz angelegt und dadurch die Zukunft seiner Familie möglicherweise besser gesichert als durch einen Umsturz.

Außerdem hatte Numeiri, aus Selbsterhaltungstrieb ständig auf der Hut, aus den unsicheren Elementen in der Armee ein Freiwilligenkorps gebildet und es mit besten panarabischen Wünschen zu Iraks Präsidenten Saddam Hussein zwecks Verwendung im Krieg gegen die Perser in Marsch gesetzt.

Deshalb hatte Numeiri keine Mühe, die rund 20 Drahtzieher, die sich schließlich bereit fanden, Gaddafis Pläne auszuführen, dingfest machen zu lassen. Numeiri empörte sich nach außen zwar rechtschaffen, nahm aber die Gaddafi-Aktion in Wirklichkeit sehr gelassen.

Daß Gaddafi wirklich einen Angriff auf den Sudan versuchen würde, hielt außer den Experten des Pentagon ohnehin niemand für durchführbar. Wie auch sollten die Libyer ihren Nachschub über gut 2000 Kilometer Wüste und Steppe ohne Straßen heranschaffen?

Daß sich die Amerikaner zur aktiven Teilnahme an dem nordafrikanischen Wüstentheater herbeiließen, war auch die Schuld ägyptischer Geheimdienstler, die ihre amerikanischen Kollegen seit mehreren Wochen vor einer libyschen Aktion gewarnt hatten. Mißtrauisch waren die Ägypter geworden, als Gaddafi Verbindung zu Abu Ghasala (Vater der Gazelle), dem ägyptischen Verteidigungsminister und obersten militärischen Befehlshaber, aufnahm. Er möge doch, so angeblich der Libyer, die ägyptische Armee in aller Stille wieder gegen Israel mobilisieren. Abu Ghasala ließ Gaddafi abblitzen: »Wachen Sie auf aus Ihren kindischen Träumen.«

Doch in Kairo waren nun abenteuerliche Gerüchte in Gang gesetzt: Warum hatte der einstige Luftwaffengeneral Mubarak seinen Ex-Vorgesetzten Abu Ghasala nicht zu seinem Vizepräsidenten ernannt? Traute er ihm nicht? Gab es am Ende doch Spannungen zwischen dem Präsidenten und dem Oberbefehlshaber, die Gaddafi jetzt zu nutzen trachtete?

Tatsache ist, daß sich die Amerikaner nicht lange bitten ließen. Gaddafi, den sie sogar verdächtigen, einen Mordanschlag auf ihren Präsidenten Reagan geplant zu haben, trauen sie alles zu.

Auch die Lage im Sudan betrachteten sie als ernst. Denn außer Ägypten ist der Sudan der wichtigste prowestliche Staat zwischen Rotem Meer und Atlantischem Ozean. Fiele aber Numeiri, fiele auch der Sudan - und dann zöge sich bald ein roter Gürtel durch Afrika, eine Schreckensvision für das Weiße Haus.

Zum Kummer der Ägypter und Sudanesen, die auf diskrete Hilfen, am liebsten Geld und Waffen, gerechnet hatten, gingen die Amerikaner jedoch grobschlächtig vor. Ägypten ist gerade dabei, die diplomatischen Beziehungen zu anderen arabischen Staaten, zum Irak zum Beispiel und zu Jordanien, zu erneuern und konnte sich nicht als Kampfgenosse einer Supermacht gegen einen Araberstaat decouvrieren, auch dann nicht, wenn der Gegner Gaddafi heißt.

Außerdem wollen sowohl Ägypten wie der Sudan im März auf dem Gipfel der Blockfreien in Neu-Delhi eine aktive Rolle spielen, was sie als Verbündete der USA nicht könnten. »Wir haben die Amerikaner nicht gebeten, gegen irgendeine andere Regierung vorzugehen«, erklärte Mubarak. Etwas verlegen stellten die Amerikaner ihre Aktion ein. US-Außenminister Shultz: »Die Drohung war da, sie hat nachgelassen.«

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