BEI DER UFA MACHTE MAN DAS SO ... KINO - DAS GROSSE TRAUMGESCHÄFT
(2. Fortsetzung)
In der Berliner Friedrichstraße, dem Hauptsitz des deutschen Films, konnte man es gar nicht begreifen, woher diese ungeheuerliche Summe kam. Das hatte es noch nie gegeben. Das größte Stammkapital, das eine deutsche Filmfirma bisher besessen hatte, betrug 2,2 Millionen Mark bei der »Union«. Dann war da noch die »Bioscop«. Die arbeitete etwa mit 1 Million Mark.
Alle übrigen waren Zwerg- und Babyfirmen, die alle das gleiche Schicksal erlitten: Sie wurden mit großartigen Plänen gegründet, spuckten ein paar mäßige Filme aus, denn der deutsche Kinobesucher schluckte ja alles, was ihm im Kriege an belichtetem Zelluloid vorgesetzt wurde. Dann ging die Firma erst einmal pleite. Der Filmmann machte sich dabei nicht naß, aber das Dutzend Gläubiger ließ er als begossene Pudel zurück. Er selbst zog ein paar Straßen weiter und gründete eine neue Firma. Großartige Pläne hatte er, kurbelte schnell ein, zwei Filme herunter, machte wieder pleite, zog erneut um, und das Spiel ging weiter.
Jetzt aber kam die Ufa mit 25 Millionen Mark. Damit war sie genau so kapitalkräftig wie etwa der Pathé-Frères-Konzern in Paris. Vor dem Krieg hatte der französische Konzern über ein Kapital von 30 Millionen Francs verfügen können, 1917 sogar über 78 Millionen.
Zwei kleine Konzerne wurden von der Ufa gleich nach der Gründung aufgekauft: Für fünf Millionen Mark der Messter-Konzern, für 2,2 Millionen Mark der Union-Konzern.
Oskar Messter, neben den Gebrüdern Lumière und Edison der wichtigste Filmpionier, hatte sich mit den Jahren ein hübsches Vermögen zusammenbelichtet. Er fing an mit »In Friedrichsruh«. In dem Streifen sah man Bismarck, mit den Händen auf dem Rücken, durch den Sachsenwald stapfen. Seine historische Dogge lief nebenher. Das war 1897. Die Deutschen freuten sich, ihren Bismarck leibhaftig spazieren zu sehen. Doch schon damals begann die große Illusion des Films. Bismarck war nicht Bismarck, sondern ein Mitglied der Familie Messter, dem man einen entsprechenden Bart auf die Oberlippe pappte. Das wurde den Leuten erst klar, als Messter ihnen im nächsten Film »Friedrich den Großen beim Flötenspiel« vorstellte.
Messter blieb bei der nationalen Tour. »Andreas Hofer« war so erfolgreich, daß Messter den Schinken ein Jahr später gleich nochmals verfilmte, Dagegen wurde sein Bayreuth-Film »Richard Wagner« (Regie und Kamera: Carl Froelich) ein grandioser Plumpser, obwohl Wagners Musik dazu von Schallplatten tönte.
Messter gestand später: »Wenn mir damals jemand gesagt hätte, wir hätten eine neue Kunst bekommen, dann hätte ich bloß vielsagend mit dem Finger an die Stirn getippt!«
Mit dem Union-Konzern kam die »Projektions-A.G. Union« in den Ufa-Konzern. Sie brachte die meisten Stars mit. Da war Ossi Oswalda. Eigentlich hieß sie Ossi Sperling. Genannt wurde sie allgemein nur »Ossi«. So unterschrieb sie auch ihre Briefe. Denn schließlich war sie in Kintopps Zeiten der deutsche Lustspielstar. Sie hatte auch etwas zu bieten. Es machte ihr gar nichts aus, in duftig-spärlicher Unterwäsche über die Leinwand Purzelbäume zu schlagen.
Mit einem Purzelbaum hatte Ossi ihre Karriere begonnen. Die kleine Chortänzerin am Berliner Theater war zur »Union« als Tanzkomparsin verpflichtet. Schon einmal draußen beim Film, kam es nun drauf an, aufzufallen. Man drehte eine große Ballszene. Ossi drehte am Rande in großer Toilette ihre Walzerschleifen. Das wurde ihr zu dumm. Plötzlich schlug sie in Richtung auf die Kamera einen Purzelbaum nach dem anderen. Schreiend stoben die Kolleginnen auseinander.
Ossi hatte richtig kombiniert: Statt Rausschmiß gab es Aufstieg. Ernst Lubitsch, Regie-As für Lustspielfilme, engagierte sie sofort. Zuerst für »GmbH Tenor«, dann für die »Austernprinzessin«. Nach diesem Film für Schlemmer war Ossi schon eine gute Partie.
Da war der exzentrische Star Fern Etna Andra, ein Biestchen besonderer Sorte. Für Egon Jacobsohns Buch »Wie ich zum Film kam« schrieb sie über sich selbst: »Als vierjähriges Kind Bühnentournee durch die Vereinigten Staaten als erste Darstellerin von Kinderrollen 'Onkel Toms Hütte', Später in England als Selbst-Unternehmerin von Ragtime-Revuen, zwischendurch Seiltanz mit Willmann-Sisters. Vor Ausbruch des Krieges hatte ich Dauer-Engagement bei Gaumont in Berlin.
»Durchgesetzt: Dank der Vorbildung und der Erziehung ohne große Schwierigkeit, später durch eine viel angefeindete Reklame, die meist von mir und nicht von meiner Gesellschaft gemacht worden ist.
»Ich habe viele meiner Films geschrieben und inszeniert, zum Beispiel:
1. Eine Motte flog zum Licht
2. Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht
3. Wenn Menschen reif zur Liebe werden
4. Todessprung
5. Ernst ist das Leben.«
Fern Andra war nicht ernst zu nehmen. Durch ihre verrückte Reklame machte sie sich bald lächerlich. Sie schrieb sensationelle Romane in köstlichem Nicht-Stil. Sie ließ verbreiten, sie verbringe jedes Jahr zur Läuterung ihres sündigen Lebenswandels ein paar Monate in einem italienischen Nonnenkloster. Sie ließ sich sogar in katholischer Schwesterntracht photographieren und machte ein demutsvolles Gesicht dabei.
Die Nonne Andra kreierte andererseits mit waghalsigen Dekolletés den nackten Rücken im deutschen Film. Um mit Frank Wedekind zu reden: »Sie war ausgeschnitten, hinten bis zum Taillenschluß, vorne bis zur Bewußtlosigkeit.«
Ferns nackter Rücken verhalf einer Anzahl von Filmen und ihr selbst zum Erfolg. Er paradierte in allen Illustrierten und diente den Fabriken für kosmetische und noch diskretere Präparate als Reklameschild. Sie war auch spleenig. Die waghalsigsten Situationen spielte sie ohne Double. Ihre liebste Sportart war Boxen. Mit Kurt Prenzel boxte sie am liebsten. Prenzel war damals das Faustkämpfer-Idol des Berliner Sportpalastes. Er heiratete Fern auch 1925. Beide wanderten nach Amerika aus. Jetzt sitzen sie im Mittelwesten und betreiben dort eine Auto-Service-Station.
Durch den Messter-Konzern kam die Frau zur Ufa, die der Lieblingsstar des deutschen Publikums war: Henny Porten. Sie war die sentimental Liebende, das arme Mädchen mit den feuchten Augen, mit dem die Zuschauer schluchzend Mitleid hatten. Sie war die Romanheldin der Courths-Mahler- und der Marlitt-Filme, als diese im Weltkrieg Nummer 1 große Mode wurden.
Die Porten, 7. 1. 1891 in Magdeburg geboren, lebte mit ihrer Schwester Rosa in der Boheme-Atmosphäre der väterlichen Wohnung. Papa war Schauspieler, Henny schwang Strickstrumpf, Kochlöffel und Scheuerlappen. Mozartzopf und Propellerschleife animierten die Steglitzer Pennäler zu schwülstigen Liebesgedichten. Henny fand das schick. Sie war gerade Backfisch.
Als Vater Franz Porten auf der Bühne keine Erfolge mehr hatte, warf er sich aufs Filmen. Damit konnte man damals leicht Geld machen. Er wurde Regisseur bei Messter. Seine ansehnlichen Töchter Henny und Rosa spielten Heldinnen in den Opernfilmen. Die Filme wurden auf Jahrmärkten gespielt.
Aber Henny Porten spürte selbst, daß diese Filme Schund waren. Da zeigte ihr Schwester Rosa eines Tages ein Manuskript »Das Liebesglück der Blinden«. Die Blindenanstalt war nämlich ganz in der Nähe ihrer Steglitzer Wohnung. Das wurde Hennys erster »Großfilm«. Ihr Name wurde damals - 1911 - noch nicht genannt. Das war eben nicht üblich. Aber die künftigen Filme wurden angekündigt als »Film mit der Darstellerin der Blinden«.
Henny war geschäftstüchtig. Oskar Messter hatte kalkuliert, daß er der kleinen Porten 200 Mark Monatsgage zahlen konnte. Henny machte »phh«, drehte sich um und rauschte ab. Schweißtriefend jagte Messter die vier Treppen von seinem Dachatelier in der Berliner Blücherstraße 31/32 hinunter und holte Henny von der Straße zurück, für 225, - Mark monatlich.
Henny Porten begründete den Starfilm in Deutschland. Das Publikum wollte jetzt seinen Liebling sehen. Den Liebling bekam es dann gleich serienweise. Wer einen Starnamen hatte, mußte acht bis zehn Filme im Jahr drehen. Namen, die mit dem Zelluloid vergilbten: Hella Moja, Hedda Vernon, Lya Mara, Ellen Richter, Lotte Neumann, Erna Morena, Aud Egede Nissen, Leontine Kühnberg. Und noch ein ganzes Sortiment vergessener Größen.
Als der Krieg immer ernster und bitterer wurde, wollte das Publikum keinen Druck auf Tränendrüsen mehr haben. Jetzt lockte nur noch die Sensation. Die Kameramänner stiegen mit ihren Kästen aus den Glasateliers im vierten und fünften Stock der Berliner City noch einen höher. Sie gingen aufs Dach.
Dort wurden die Sensations- und Detektiv-Filme der Stuart-Webbs-Serie, der Harry-Higgs-Serie und ihrer zahllosen Nachahmer gedreht. Waghalsige Flucht über die Dächer Berlins, kühner Sprung von Schornstein zu Schornstein, Hangeln an der Dachrinne, dreißig Meter über dem »Weltstadtverkehr«, atemraubender Zweikampf direkt am Abgrund - das reichte zum Nervenkitzel.
Während in Amerika bereits die Film-Groteske geboren wurde und der Wild-West-Film mit tollkühnen Reiterkunststückchen und Prärieknallereien die Kamera rasen ließ, liebte das flimmernde Europa den Sensationsfilm mit meuchelnden Raubtieren, entgleisenden Schnellzügen, in den Abgrund rasenden Automobilen, explodierenden Häusern, Dolch schwingenden Malayen und im letzten Moment geretteten unschuldigen Mädchen, die dann automatisch den Detektiv heiraten mußten. Es war die goldene Zeit der Artisten unter den Filmdarstellern.
Die goldene Zeit Harry Piels begann damals. Er rettete sich mit seinen tollkühnen Sensationen in Raubtierkäfigen, in Krokodil-beherrschten Bassins, in führerlos dahinjagenden Autos (er natürlich gefesselt), vom Kintopp durch alle Tonfilmzeiten bis heute. Harry Piel kennt sein Publikum. Der Held des Sensationsfilms ist nie gestorben, er wird nie sterben.
Aber schon damals wurde von Fachleuten diese Fassadenkletterer-Romantik glossiert. Man empfahl folgendes Grundrezept: »Ein junges Mädchen wird von einem Schurken geraubt. Er tut ihr nicht etwa etwas Unsittliches Nein, er bindet sie an einen Mühlenflügel fest. Der Geliebte findet sie. Er stellt nicht etwa die Mühle ab, sondern zieht den Revolver und zerschießt ihre Fesseln mit einem wohlgezielten Schuß. Sie fällt aber nicht runter, denn im gleichen Moment kommt der. Detektiv mit einem Flugapparat, streckt die linke Hand aus und fängt sie auf. Da der Schurke inzwischen von der Mühle abgereist ist, jagt der Detektiv hinterher. In vollem Tempo springt er aus dem Flugapparat heraus und landet auf dem Dach eines rasenden Expreßzuges. Denn darin befindet sich natürlich der Schurke. Nach einer Flucht über die ratternden Gestänge des dahinjagenden Zuges erwischt er den Schurken auf dem linken Vorderpuffer der Lokomotive. Die Gerechtigkeit nimmt ihren Lauf.«
Ein Blick in alte Zeitungen zeigt, was den Besuchern der Kinematographen vorgesetzt wurde und was sie auch sehen wollten. Da standen untereinander diese vier Anzeigen:
Die »bewegliche Hirnschale« wurde ein ausgezeichnetes Geschäft. Denn das wollte das Publikum haben: Es wollte weinen über die Tragödie eines reinen Herzens. Oder es wollte, auf knarrenden Stühlen sitzend, miterleben, wie auf der Leinwand blutig gekämpft, das Böse vernichtet und das Gute siegreich wurde.
Aber es gab schon Ansätze zu dem, was man später Filmkunst zu nennen wagte. Da fanden sich 1913 in den neuen Ateliers der Bioscop in Neubabelsberg vier Männer zusammen: Der Schauspieler Paul Wegener, der dänische Regisseur Stellan Rye, der Schriftsteller Hanns Heinz Ewers, der Kameramann Guido Seeber. Sie hatten ein gemeinsames Ziel: Einmal einen Film machen, der in künstlerische Bereiche vorstößt!
Hanns Heinz Ewers, der Dichter des Phantastischen, der 20 Jahre später eine klägliche Rolle im deutschen Film spielen sollte, um dann vergessen unterzugehen, brachte die Idee. Es war die filmisch-gruselige Geschichte des armen Studenten von Prag, der gegen Gold sein Spiegelbild verkauft, um die Liebe einer schönen, unerreichbaren Gräfin zu erringen.
Paul Wegener spielte den Studenten und sein Spiegelbild, das nun dem teuflischen Scapinelli gehört. Eine Doppelrolle und eine Leistung von Wegener, die das Gruseln der Zuschauer mit Begeisterung mixte. Wegeners damalige Frau Lyda Salmonova tanzte die Tänze der irren Gräfin.
Die vier Besessenen schufen für ganze 20000 Mark in Babelsberg und Prag einen Film, der neue Wege wies. Andere versuchten, mit ähnlichen Stoffen voll Mystizismus nachzueifern. Aber der Erfolg blieb - wie oft - nur dem Original treu.
1926 verkaufte Hanns Heinz Ewers seinen Stoff im Stil von E. Th. A. Hoffmann zum zweiten Male. Und Conrad Veidt, der düstere Selbstmorder des deutschen Films, focht und liebte sich zu Tode. Wenn auch der namenlose Regisseur Henrik Galeen sich schülerhaft an das große Vorbild von 1913 hielt - es wurde trotz Werner Krauß als Wucherer Scapinelli ein Mißerfolg.
1932 holte man den Stummfilm »Der Student von Prag« aus der filmhistorischen Kiste zur Berliner Neuaufführung. Der 58jährige Paul Wegener wehrte sich mit Händen und Füßen, er drohte mit einer Klage. Er hatte Angst, die Berliner von 1932 würden über den Wegener-Erstling von 1913 lachen. Er irrte. »Der Student von Prag« fesselte 19 Jahre nach seiner Geburt noch einmal genau so stark. Stärker als 3 Jahre später (1935) die tonfilmische Neufassung mit Adolf Wohlbrück als den Studenten.
Aber vor dem ersten Weltkrieg waren Filme wie »Der Student von Prag« oder Paul Wegeners »Golem« Nußschalen im Atlantischen Ozean des Filmschunds. Zwei Dinge sind aus den Kinematographen-Theatern dieser Epoche nicht wegzudenken: Die Musik und der Erklärer.
Die Musik tremulierte über drei Jahrzehnte vor der Leinwand, bis zu den Tagen, da die Leinwand selbst zu krächzen anfing. Zuerst war es Hauptzweck der Musik, das unsympathische Surren des Vorführapparates zu übertönen. Beim Reißen des Films - alle paar Minuten - und in freiwilligen Pausen gab es schnell zur Beruhigung des Publikums vom Grammophon einen flotten Galopp.
Das Grammophon wich dem schrillen Orchestrion, dem verstimmten Klavier und dem brummenden harmonium. Die Endlösung in den größeren Kinos war das Salon-Orchester vor der Rampe. Mit Trommelwirbel bei jedem Kuß und »Scheiden tut weh«, wenn der Held meuchlings erdolcht wurde.
In diesen Filmen gab es viel zu erklären. Immer, wenn das Bild so flimmerte, als ob das Filmatelier dauernd Wolkenbrüche gehabt habe, mußte der Interpret aushelfen. Ueber den Mutterwitz der von der Schaubude geborgten Erklärer muß man in sämtlichen Filmbüchern die gleiche Anekdote lesen.
Hier einmal mehr: Ein Film über die Königin Luise flimmerte durch ein Vorstadtkino Berlins. Die Schlacht bei Jena war gerade verloren. Die Königin schluchzte herzzerschmelzend. Dazu der Erklärer mit patriotischer Wärme: »Und nach der Schlacht bei Jena, da weinte nun unsere Königin Luise gar bitterlich. Doch seine Majestät der König umfaßte liebevoll seine Gemahlin, tröstete sie und sprach: Nu, weine man nich, Luise! Es kommt ja noch die Schlacht bei Leipzig, da werden wir's dem Napoleon schon geben!«
Ehe die Kurbler der Gründerjahre einen Filmstil fanden, plätscherten sie mit Versuchen herum. Große Mode wurden plötzlich die Theaterfilme. Da nahm sich der Produzent irgendein Erfolgsstück, schnitt den Text weg und verfilmte die rohe Fabel. Das wurde dramatischer als im Theater. Manchmal sogar besser. Auf alle Fälle aber billiger für den Zuschauer. Die Theater merkten es in ihren Kassen.
Da begann der Bühnenverein eine Kampagne gegen die geschäftstüchtigen Kintopp-Leute. Er forderte Zensur und Besteuerung für das neue Vergnügungsgewerbe. Er verbot seinen Mitgliedern, in Filmen mitzuwirken.
Der Intendant des Berliner Königlichen Schauspielhauses, Graf von Hülsen-Haeseler, fädelte eine Kabale gegen diese Parvenüs vom Zelluloid ein. Doch die Verschwörung platzte. Graf Hülsen hatte die Rechnung ohne seine Schauspieler kalkuliert. Die sahen dort bei den mißgeachteten Gesellen der neuen Film-Zunft die Möglichkeit, sich frei ausspielen zu können und leicht Geld zu verdienen. Der Agitationsfonds des Films zum Kampf gegen die Kino-feindliche Haltung der Theater wuchs.
Der Kampf wurde mit einem Schlag entschieden, als ein Mann im Film-Atelier auftauchte: Albert Bassermann.
Das war die Sensation des Jahres 1913 für Filmleute. Der 46jährige Bassermann hatte sich trotz unverlierbaren Mannheimer Dialekts und ständig brüchiger Stimme unter Otto Brahm und Max Reinhardt zum legitimen Nachfolger von Devrient und Iffland hinaufgespielt. Und dieser schlanke noble »Mannemer« mit dem Nimbus des größten lebenden deutschen Schauspielers stieg plötzlich hinab zum Kintopp. Oder hinauf. Denn die Ateliers lagen seinerzeit meist unter den Dächern von Berlin.
Die Zeitungen hatten schöne Schlagzeilen. Bassermann galt als einer der schärfsten Gegner der Photographie. Das hatte die Presse schon öfter zu spüren bekommen. Nirgends war von ihm ein Bild zu sehen. Heute bedauert der greise Mime, keine photographischen Zeugen aus der Zeit seines sprunghaften Aufstiegs zu besitzen. Noch 1912 verfolgte er erbost einen armen Photographen durch viele Instanzen preußischer Gerichte. Der hatte ihn heimlich geschossen und das Bild des »großen Bassermann« für gutes Geld an eine Illustrierte verkauft. Aber Albert Bassermann war versessen auf das »Recht am eigenen Bild«, jagte den Photoschützen von Termin zu Termin und verlangte Vernichtung des Konterfeis.
1913 ließ sich Bassermann von dem Regisseur Max Mack zu einem der ersten »Autoren-Filme« überreden. Es war »Der Andere« nach einem Bühnendrama des damals modernen Paul Lindau.
Die Premiere am Nollendorf-Platz wurde eine Sensation. Zum ersten Male wurde diese mysteriöse zehnte Muse »Film« von seriösen Kritikern streng unter den Federhalter genommen. Das Urteil war vernichtend. Grundtenor: Wie kann ein Künstler von Bassermanns Graden, vom Erbe Devrients und Ifflands verpflichtet, sich dem Kino verschreiben? Er entwürdigt sich und seine Kunst.
Aber eine Bresche war gerodet in den Urwald der Vorurteile. Albert Bassermann blieb dem Filmen treu.
Männer mit großen Theater-Namen wie er, wie Paul Wegener, wie Werner Krauß, wie schließlich auch Emil Jannings holten den Film aus dem Sumpf des Kleine-Leute-Kitsches. Diese Namen - wie überhaupt alle ernsthaften Bemühungen um die neue Kunst - mündeten nach 1917 in die Ufa. Die Universum-Film-A.G. wurde das Sammelbecken aller schöpferischen Kräfte.
Ein fruchtbarer Austausch zwischen Literatur und Film setzte ein, als 1913 Gerhart Hauptmann seinen Roman »Atlantis« zur Verfilmung freigab. Drei Schriftsteller setzten sich mit besonderer Leidenschaft für den rüpeligen Prügelknaben Film ein: Hanns Heinz Ewers, Björnstjerne Björnson und Hermann Bahr.
Oskar Messter gründete sogar eine eigene »Autor-Film-G.m.b.H.« (die später mit in die Ufa-Mitgift rutschte, um gute Schriftsteller für die Filmarbeit zu gewinnen. Das gelang. Denn die Filmvorführung belebte den Buchhandel. Das konnten die Schriftsteller, allezeit arme Schlucker, gut gebrauchen. So wurden nach der Premiere von »Der Golem« in wenigen Wochen 100000 Stück des gleichnamigen Buches abgesetzt. Und umgekehrt: Alle Leser des erregenden Romans mußten den Film sehen.
Noch einmal versuchte der Deutsche Bühnenverein, gegen die Entwicklung anzurennen. Als militärische Scheren die Filme zensierend zerschnitten, schien der Moment günstig. Rechtsanwalt Arthur Wolff, geschäftsführender Direktor des Vereins im Schatten des höfisch-angesehenen Grafen Hülsen, reiste von Fürstenhof zu Fürstenhof und sammelte dabei zeitgemäß Orden auf seine bürgerliche Brust.
Das Vereinsergebnis: Am 3. 8. 1917 erließen die Regierungen eine Bundesratsverordnung. Danach sollten Kinos ab sofort dem Konzessionszwang unterliegen. Wie Schnaps-Stampen, nach Maßgabe des Bedürfnisses. Und das sogar mit rückwirkender Kraft. Also konnten schon bestehende Lichtspieltheater wieder verboten werden.
Das gab einen kleinen Proteststurm im Reichstag. Die diskriminierende Verordnung des Bundesrates trat nie in Kraft und wurde am 26. 10. 1917 offiziell aufgehoben. Die Unmasse der Kinos beeinträchtigte natürlich den Theaterbesuch. 1917 gab es 3130 Kinos, mehr als das Doppelte von 1912. Sie wurden von den Angeboten von 178 Verleihgesellschaften überschwemmt.
Als die Ufa im Handelsregister auftauchte, war der Kampf schon für die Filmleute gewonnen. Der Bühnenverein zog nutzbringende Konsequenzen: Er konnte seinen filmenden Schauspielern die Gagen kürzen. Außerdem zeigte es sich, daß viele Kinobesucher neugierig wurden, ihre neuen Lieblinge »lebendig« auf der Bühne zu sehen.
Die Ufa war von der Gründung an eine kämpferische Marke. Bis zum bitteren Ende. Nie kam die Ufa in sorgenfreier Ruhe zu schöpferischem Arbeiten. Zu jeder Zeit standen Sturmzeichen wirtschaftlichen oder politischen Charakters über ihrem Haus. Seit 1917.
Emil Georg Stauß vergaß nicht, was für ihn der Anlaß gewesen war, die Ufa zu zeugen. Er konnte es gar nicht vergessen. Dazu mußte er sich Tag für Tag viel zu sehr über die DLG ärgern. Denn diese Filmfirma der Rhein-Ruhr-Schwerindustrie hatte sich unter straff-kaufmännischer Leitung binnen kurzem zu einem Gewinn-werfenden Unternehmen gebläht. Der straffe Kaufmann hieß Ludwig Klitzsch.
Die DLG war überhaupt ein Produkt dieses gebürtigen Hallensers. Die Idee ging auf »Großvaters« Zeiten zurück. Der tüchtige Klitzsch, eigentlich noch »junger Mann«, hatte sich beim Leipziger Verlag I. I. Weber seine Sporen verdient. Er war bereits Herausgeber von Exportzeitschriften in deutsch, englisch, französisch, spanisch. Außerdem Direktor der renommierten »Leipziger Illustrierten Zeitung«.
Bei den Berichten seiner Korrespondenten las Klitzsch mehr und mehr von ausländischer Filmpropaganda. Er ließ nun systematisch Material sammeln. Das Resultat war erschütternd. Deutschland war überhaupt nicht vertreten, nicht mit wirtschaftlicher, nicht mit nationalpolitischer Propaganda. Die deutsche Filmindustrie, zersplittert in Handwerksbetriebe, hatte völlig versagt.
Klitzsch trommelte. Im Juli 1914 saßen im Saal des Verlagshauses I. I. Weber die Vertreter von 120 Verbänden. Ein buntes Sortiment seriösen Genres aus allen möglichen Industriesparten und Kulturvereinen. Graf Artur Posadowsky-Wehner, ehedem Staatssekretär des Innern, jetzt konservativer Abgeordneter, präsidierte. Hofrat Tillich, von Wilhelm II. entsandt, hörte zu. Ludwig Klitzsch, mit kleinem Aktenberg, referierte.
Er referierte mit beschwörendem Sächsisch: »Wir müssen heraus aus der Rolle des wohl beneideten, den Herzen aber ferner stehenden, vielfach sogar ausgesprochen wesensfremden Lieferanten und Kulturbringers und uns nicht nur bei den intelligenten ausländischen Trägern der wirtschaftlichen Wechselbeziehungen mit Deutschland, sondern - was mindestens ebenso wichtig ist - auch in der öffentlichen Meinung der fremden Nationen einen Platz erobern.« Das große Hilfsmittel hierbei müsse und werde der Film sein. Denn der Film sei international und überall in der Welt verständlich.
Die Rede des Exportfachmannes Klitzsch wurde mit verbindlichen Mienen aufgenommen. Die Herren über Stahl und Blech wußten, er hatte recht. Die deutsche Propaganda hatte in den letzten Jahren vor 1914 wirtschaftlich und politisch vollständig versagt. Aber die Herren wußten auch, es war jetzt zu spät. Die Schüsse von Serajewo waren schon gefallen.
Allerdings gründete man. Doch nur einen »Arbeitsausschuß zum Studium der Frage einer deutschen Film- und Lichtbildvortrags-Propaganda im Ausland«. Vorsitzender dieses nominellen Monstrums wurde natürlich Klitzsch.
Dabei blieb es die nächsten zwei Jahre. Man unterschätzte allgemein die Bedeutung des Films. Klitzsch war enttäuscht von der deutschen Tranigkeit. Endlich lernte er Herbst 1916 Herrn Dr. Alfred Hugenberg kennen, der in Essen dem Direktorium der Fried. Krupp A.G. vorsaß. Mit dem Segen und dem Geld der Schwerindustrie konnte die Deutsche Lichtbild-Gesellschaft starten.
Die DLG startete groß. Bald übernahm Klitzsch ganz ihre Leitung. 1917 wurden 21, 1918 129 Filme hergestellt. Die DLG eroberte vor allem den Balkan-Orient-Filmmarkt. Während 1913/14 in Konstantinopel fünf Prozent aller gezeigten Filme deutscher Herkunft waren, liefen 1917/18 sechzig Prozent aller Filme unter der DLG-Marke. Mit diesen Filmen kamen die Vertreter von Krupp, Thyssen, und den anderen Königen von Rhein und Ruhr an den Bosporus.
Der Direktor der Deutschen Bank, Stauß, hatte wirklich allen Grund, sich zu ärgern und die Ufa zu gründen. Von der Geburt der flimmernden Konkurrenz erfuhr Ludwig Klitzsch in Bukarest. Da saß er gerade dem Balkan-Beauftragten der DLG gegenüber. Der hieß Erich Pommer und sollte später eine der wichtigsten Personen in der Ufa-Geschichte werden.
Pommer, ehedem deutscher Filialleiter der französischen Konzerne Gaumont und Eclair, trug feindliches Eisen im Kreuz und war nicht mehr fronttauglich. Dafür durfte er als Besatzer die feindlichen Filmgesellschaften in Rumänien lenken. Nach dem zweiten Weltkrieg hatte er einen ähnlichen Job, als Besatzer in seiner ehemaligen deutschen Heimat.
Bei der Ufa machte man das so mit dem Kampf gegen die DLG: Stauß nützte wieder einmal seine Verbindungen zur Obersten Heeresleitung und zum Auswärtigen Amt aus. Er betätigte sich mit Erfolg als Scharfmacher.
Ludendorff war sowieso böse auf Klitzsch. Er hatte dem wackeren Exportkämpfer nachdrücklich die Leitung des »Bufa« (Bild- und Filmamt) angetragen. Klitzsch hatte abgelehnt. So etwas konnte der eitle Ludendorff nicht vergessen. Die Oberste Heeresleitung sprach gewaffnet: Man stehe jetzt »am Scheideweg und vor der Frage, ob der Staat oder die Schwerindustrie die Sache in der Hand behalten soll«.
Das Auswärtige Amt ließ die DLG-Arbeit im Ausland durch die Gesandtschaften überwachen. Alle Behörden aller Bundesregierungen erhielten die Anweisung, die DLG in keiner Weise zu unterstützen.
Es war schon recht leichtsinnig, Herrn Emil Georg Stauß zum Feinde zu haben. Die DLG sollte es schnell merken.
Schon im Frühjahr 1918 waren die Schwierigkeiten für den Krupp-Sprößling so angewachsen, daß man sich mit der Ufa vergleichen mußte. Die Ufa verzichtete auf die Herstellung wirtschaftlicher Propagandafilme. Aber im Auslands-Geschäft, dem wichtigsten Faktor des Unternehmens, mußte die DLG mit der Ufa gemeinsam eine Tochtergesellschaft gründen: Die »Auslandsfilm G. m. b. H.«.
Das war der erste strategische Sieg der Ufa im Kampf gegen die übrige deutsche Filmwirtschaft. Neun Jahre später hatte Ludwig Klitzsch die große Gelegenheit, sich für diesen Sieg der Konkurrenz zu revanchieren. Er revanchierte sich.
In den ersten Monaten ihres Bestehens sah die Ufa Feindschaft ringsum. Man redete der Ufa Trust-Bestrebungen nach. Den Fachleuten war das alles sehr verdächtig. Denn an der Spitze dieses 25-Millionen-Unternehmens standen Persönlichkeiten, die kein Mensch in der Filmbranche kannte. Dazu roch das Ganze penetrant nach Verstaatlichung einer jungen Industrie.
Dann hatte die Ufa noch verschiedene Sonderrechte, die die kleinen Filmleute der Friedrichstraße in Harnisch brachten. So konnte die Ufa dank ihrer engen Verbindung zur Nordisk frisch und munter ausländische Filme importieren. Das war den anderen vom Staat verboten worden, der Ufa jedoch nicht. Der neue Generaldirektor Carl Bratz (früher führend im Kriegsausschuß des deutschen Jute-Großhandels) hatte schon während des Krieges in Kopenhagen mit amerikanischen Filmhändlern verhandelt. Die Konkurrenz bemerkte es schnell. Auch dem Reich war gar nicht wohl bei dem Gedanken, was für Geschäftchen mit dem Ausland die Staatsmillionen decken sollten.
Besonders übel vermerkte man, daß Bratz entgegen dem allgemeinen Fahrverbot munter mit seinem großen Auto nach Swinemünde rollte, um dort das Linienschiff nach Kopenhagen zu besteigen. Der restlichen Berliner City waren bereits lange die Benzinhähne abgedreht.
Was Bratz da eingehandelt hatte, kam gleich nach Kriegsende in Massen an: Amerikanische Filme. 900 Sujets hatte Hollywood angeboten. Für 20 Millionen Mark hatte die Ufa gekauft. Damit überschwemmte sie die Kinos. Diese Ware war jetzt das Richtige, die kriegsmüden Deutschen wollten sich in einen Vergnügungstaumel stürzen.
Das geschah sehr zum Leidwesen des deutschen Films. Die anderen Filmproduzenten fluchten laut. Einer der gemäßigsten unter ihnen war der Direktor der neuen Decla-Film-Gesellschaft. Es war der aus Bukarest heimgekehrte Erich Pommer.
Am 10. 6. 1919 schrieb er über den amerikanischen Filmimport im »Filmkurier«. Er schrieb Sätze, die etwa 30 Jahre später von besonderer Aktualität sind:
»In diesem Augenblick muß eine durch niedrige Zollsätze erleichterte Ueberschwemmung des deutschen Marktes mit Auslandsfilmen für die deutsche Filmindustrie von geradezu katastrophaler Wirkung sein. Zwar schützt die augenblicklich äußerst ungünstige Valuta den deutschen Filmfabrikanten vor einer zu großen Preisunterbietung seitens der Ausländer, die, nachdem sie ihre Negative im Ausland bereits vollkommen amortisiert haben, an und für sich bedeutend billiger sein können als deutsche Fabrikanten.
»Ich gebe ohne weiteres zu, daß die ausländischen Filme, vor allem amerikanische, besonders durch ihre Technik und hervorragende Photographie bestechen. Andererseits ist es Tatsache, daß sie inhaltlich und gedanklich fast durchweg nicht an den deutschen Film heranreichen.
»Auf alle Fälle ist es notwendig, daß die Regierung nachdrücklichst auf die der deutschen Industrie drohende Erdrosselung hingewiesen wird. Sollte es gelingen, den deutschen Markt durch hohe Schutzzölle nicht gegen den Auslandsfilm überhaupt, aber gegen eine unfeine und unlautere Konkurrenz gewisser ausländischer Produkte zu schützen, so braucht der zielbewußte, solide deutsche Fabrikant nicht zu verzweifeln.«
Das war Erich Pommer am 10. 6. 1919. Knapp 30 Jahre später kehrte er als amerikanischer Filmkontrolloffizier nach Deutschland zurück. Da waren seine Worte von 1919 wieder hoch aktuell.
Mit ihrem großen Kapital fiel der Ufa der Konkurrenzkampf leicht. Schnell holte sie sich die besten Ateliers, die besten Regisseure, die besten Schauspieler. Mit Eifer ging sie daran, den Film in Deutschland gesellschaftsfähig zu machen.
In Berlin bekam sie das neue »Riesenglashaus« in der Oberlandstraße von Tempelhof. Das ließ sich Oskar Messter erbauen, als es ihm in der Innenstadt direkt unter dem Dach zu heiß und zu eng wurde. Neben Messters Glashaus lag das Atelier der Union. Das hatte die Ufa ja sowieso mitgekauft. Aus diesen beiden Filmwerkstätten mauerte man in den nächsten Jahren den Tempelhofer Ufa-Komplex.
(Fortsetzung folgt)
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