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TOURISMUS Kirche im Dorf

Am Kärntner Faakersee entstand der neueste Urlaubshit: ein Kunstdorf aus 24 verlagerten Bauernhäusern.
aus DER SPIEGEL 31/1978

Vorstandsmitglied Jürgen Fischer von TUt bejubelt »Europas revolutionärste Urlaubsidee«. Das kürzlich eröffnete 300-Seelen-Feriendorf Seeleit'n in Südkärnten schafft nach Meinung des größten deutschen Touristikunternehmens eine »völlig neuartige Urlaubsmotivation«. Fischer. »Noch selten haben wir eine Novität ähnlich rasant verkauft.«

Die Novität besteht aus 24 neu aufgebauten Bauernhäusern, deren ältestes aus dem Jahr 1496 stammt. Rustikale Romantik und städtischer Komfort sind dort eine bislang einmalige Verbindung eingegangen.

Erfunden hat die amerikanisch anmutende Kombination ein Selfmademan, in dessen Händen schon mancherlei Stück Holz zu Gold wurde: der Villacher Robert Rogner, 37, Herr über eine Baufirma und rund 2500 Betten der »Ferien-Wohnhotel-Betriebsgesellschaft« (Fewotel) in Kärnten.

Rogner verließ einst mit 14 vorzeitig die Schule, war mit 17 Maurergeselle, mit 21 durch Abendstudium Ingenieur. Heute fährt er ein knallrotes Jaguar-Coupé, residiert in einem ehemals gräflichen Landhaus bei Warmbad Villach und hält sich eine 3,50 Meter lange Riesenschlange als Haustier.

»Geld gibt mir persönlich nix«, behauptet er gerne, was insofern stimmen mag, als er stets trachtet, es rasch und gewinnbringend loszuwerden.

Solch eine dringende Notwendigkeit ergab sich im Frühling 1977, als Rogner ein Hotel verkauft hatte und nach einer Gelegenheit suchte, 20 Schillingmillionen gewinnbringend zu investieren. Den wichtigsten deutschen Reise-Agenturen stellte er die Frage: »Was fehlt im Quartier-Angebot?« Überall bekam er die gleiche Antwort: »Kinderfreundliche Familien-Appartements.«

Es gebe, sagte man ihm, ein Vielzuviel an Hotelzimmern und ein Vielzuwenig an Urlaubswohnungen mit altzeitlicher Gemütlichkeit und neuzeitlichem Komfort. Gefragt sei sozusagen ein gehobener Club Méditerranée in rustikaler Manier ("ohne Strohhütten") -- worunter sich aber niemand etwas Rechtes vorstellen könne.

Rogner konnte. Gemeinsam mit seinem Freund Helmut Mayr, der im kärntnerischen Althofen die vielleicht modernste europäische Rheuma-Kuranstalt auf Moorboden gebaut hat, beschloß er alsbald: »Wir machen ein Sveti Stefan auf alpin.« Sveti Stefan, ein verlassenes Fischerdorf bei Budva in Südjugoslawien, wurde vor rund 20 Jahren für Urlauber hergerichtet.

Komplette verlassene Dörfer gleich Sveti Stefan fanden die beiden Freunde in Österreich nicht, dafür aber Einzelgehöfte, bilderbuchschön und wertlos zugleich: vor Jahrhunderten aus rohen Lärchenstämmen erbaut.

Rogner und Mayr kauften an die 250 wettergegerbte Blockhäuser aus dem 13. bis 18. Jahrhundert -- Bauernhöfe zumeist, auch Mühlen und »Troadkastn« (Getreidespeicher), das Stück zwischen 2000 und 20 000 Mark.

Mühsamer war es, die schwergewichtige Folklore fachgerecht abzutragen und wegzutransportieren. Jeder Balken wurde genauestens numeriert, am dickeren Ende mit l (links> oder r (rechts) bezeichnet und mangels Straßen oft mit Seilwinden zu Tal gebracht.

Noch mühsamer war dann das Wiederaufstellen. Im noch bäuerlichen St. Oswald bei Bad Kleinkirchheim, wo die Haustypen gut hingepaßt hätten, legten sich Gemeinderat und Hotellerie quer. Am modernistisch verschandelten Faakersee wiederum widersetzten sich seltsamerweise die Landschaftschützer: »Inmitten unserer neuzeitlichen Gebäude ist ein Bauerndorf als durchaus ortsfremd zu bezeichnen.« Erst ein Machtwort der Landesregierung sicherte endlich die Baugenehmigung für das rustikale Kunstdörfchen Seeleit'n am Ostufer des Faakersees.

Im März 1978 -- zu einem Zeitpunkt, da TUI die noch gar nicht existierenden Ferienwohnungen längst total ausgebucht hatte -- machten sich Rogners Bauarbeiter ans Werk. Sie schafften einen ganz unösterreichischen Temporekord: Pünktlichst zur geplanten Eröffnung Anfang Juli standen 24 Bauernhäuser mit mehreren Appartements zu zwei bis sieben Personen in altväterlicher Pracht mit Blumen und Balkons da.

Sie gruppieren sich gemütvoll um einen Dorfbrunnen und ein Kärntner Bildstöckl. Sogar ein Wirtshaus ist vorhanden; es duftet nach Räucherspeck.

Der Gast verzichtet in Seeleit'n auf keinen Komfort, auch nicht auf Sauna und Swimming-pool. Hinterm alten Holz verbirgt sich eine neuzeitliche Infrastruktur mit Fliesenbad« Kühlschrank und Nirosta-Spüle. Aber zwischen neorustikalen Betten, Tischen und Stühlen aus dem Warenhaus-Katalog steht jeweils zumindest ein echtes Möbel aus dem 17. oder 18. Jahrhundert.

TUI-Fischer begeistert·. »Die Ansprüche von morgen in Häusern von gestern für Leute von heute.«

Die »Touristik Union International« hat das Seeleit'n-Wettrennen mehrerer Reiseunternehmen durch einen Fünfjahres-Vertrag mit 12-Monats-Beleggarantie für sich entschieden. Sie prophezeit den Kärntnern eine große internationale Karriere. An weiteren Altneudörfern, die am Nassfeld und beim Aichwaldsee entstehen sollen, will sie sich sogar finanziell beteiligen.

Inzwischen sinnen Rogner und Mayr darüber nach, wie diese künftigen Feriensiedlungen noch traditioneller wirken könnten. Beispielsweise denken sie an die Verpflanzung einer Originalkapelle mit gotischen Heiligenfiguren. »Denn bei uns in Kärnten«, so Mayr, »bleibt die Kirche allemal im Dorf.«

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