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Kirche KIRCHENTAG MIT PETER FRANKENFELD?

aus DER SPIEGEL 30/1963

SPIEGEL: Was soll der Evangelische Kirchentag vom 24. bis 28. Juli 1963 in Dortmund sein - eine »Glaubensparade«, eine »Massenvolkshochschule«, ein »Super-Sängerfest«, »eine Art Ersatzkirche für unbefriedigte Christen«, ein »religiöser Sommerschlußverkauf zu stark verbilligten Preisen«, ein »kirchlicher Jahrmarkt«?

WILM: Ich glaube, wir tun gut daran, Ihre merkwürdigen Definitionen nicht im einzelnen zu untersuchen. Lassen Sie mich ganz kurz und allgemein sagen: Der Evangelische Kirchentag 1963 ist nichts von alledem.

SPIEGEL: Oder ist er von jedem etwas? Wir fanden die Formulierungen, die Ihnen nicht gefallen, in so kirchenfreundlichen Blättern wie »Christ und Welt«, der »Frankfurter Allgemeinen«, der »Welt«. Natürlich setzten die Autoren hinter diese »anstößigen« Begriffe vorsichtshalber Fragezeichen.

WILM: Es gibt durchaus auch innerhalb der Evangelischen Kirche eine starke Kritik am Kirchentag. Das ist nicht abzustreiten.

SPIEGEL: Gehören auch Sie zu den Kritikern?

WILM: Ich stehe dem Kirchentag durchaus nicht unkritisch gegenüber.

SPIEGEL: Trotzdem haben Sie als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, sozusagen als Gastgeber, gemeinsam mit dem Kirchentags-Präsidenten von Thadden-Trieglaff nach Dortmund eingeladen.

WILM: Ja, natürlich. Das zeigt, daß ich, wie die meisten anderen Kritiker, davon überzeugt bin, daß der Kirchentag trotz mancher Negativa ein bedeutendes Positivum im Leben unserer Kirche ist.

SPIEGEL: Man kann die Kritiken auf einen Nenner bringen: Der Kirchentag ist zu sehr »Schau« geworden.

WILM: Mindestens war - und ist auch noch - die Gefahr da, daß er sich in dieser Richtung entwickelt. Es wurde zuviel zentral gesteuert. Vieles lief einschließlich der Diskussionsreden so ab, wie es schon wochenlang vorher geplant worden war. Aber Dortmund 1963 wird beweisen, daß wir diese Gefahr erkannt haben.

SPIEGEL: Auch in Dortmund werden doch viele Elemente einer Schau nicht fehlen. Das kann ja auch bei der größten und teuersten Massenveranstaltung des Jahres nicht anders sein.

WILM: Solche Superlative sind uns evangelischen Christen eigentlich fremd. Vielleicht ist es die größte Veranstaltung; wir erwarten ja für den Schlußtag 500 000 Menschen. Aber kommt es sosehr auf die Zahl an? Daß es auch die teuerste Veranstaltung ist, glaube ich übrigens nicht.

SPIEGEL: Wenn in den fünf Tagen allein eine Million Mark aus öffentlichen Geldern, je zur Hälfte aus der Dortmunder Stadt- und der nordrhein-westfälischen Landeskasse, verbraucht werden ...

WILM: Zum Geld möchte ich nur soviel sagen: Umgerechnet auf die Zahl der Teilnehmer sind vergleichbare Veranstaltungen wie die Katholikentage, wie Sänger- und Turnerfeste keinen Pfennig billiger, und je Kopf zahlen öffentliche Kassen denen ebensoviel wie uns.

SPIEGEL: Wie dem auch sei - es fehlt nicht an Geld für Kundgebungen, Dichterlesungen mit Hausmann und Hagelstange, Mammutaussprachen mit CDU -Minister Osterloh aus Kiel und SPD -Senator Arndt aus Berlin, für Theater, Kabarett, den Bunten Abend mit Peter Frankenfeld und »Babysitter«-Bendix.

WILM: Der Kirchentag wird natürlich viel besser als durch diese wahllos herausgegriffenen Namen durch seine Losung »Mit Konflikten leben« gekennzeichnet.

SPIEGEL: Noch besser würde die Losung passen: »Mit Illusionen leben«.

WILM: Wie bitte?

SPIEGEL: Man käme der Wahrheit sehr nahe, wenn man eingestehen würde, daß der Kirchentag ein internes Erbauungsfest für die Minderheit der Frommen in unserem Lande ist. Aber es

ist doch wohl eine Illusion zu glauben, der Kirchentag erfülle jene anderen Aufgaben, die man ihm zuschreibt. WILM: Welche Aufgaben meinen Sie?

SPIEGEL: Meistens werden sie etwa so formuliert: Erstens müsse sich die Kirche bei dieser Gelegenheit selber vor aller Welt »darstellen«, zweitens solle in den vier, fünf Tagen mit modernen Mitteln unter kirchenfernen Protestanten für die Kirche geworben werden.

WILM: Ich hätte es anders, weniger säkular, ausgedrückt als Sie, aber im wesentlichen kann ich dem zustimmen. Doch über den Erfolg der Kirchentage bin ich ganz anderer Meinung als Sie: Ich bin überzeugt, daß jeder der zehn Kirchentage, die bislang stattgefunden haben, zu seinem Teil diese Aufgaben erfüllt hat.

SPIEGEL: Die Kirche behauptet, sie wolle und könne allen helfen, die »mit Konflikten leben«. Aber über ihren größten eigenen Konflikt - die Isolierung von den eigenen »nominellen« Mitgliedern - wird auf dem Kirchentag kaum gesprochen. Soll nicht sogar die Versammlung der 500 000 diesen Konflikt verdecken?

WILM: Über das, was Sie in Ihrer nüchternen Sprache »Konflikt« nennen und was ich als die tiefe, fast unbeschreibliche Not unserer Kirche bezeichnen möchte, wird in Dortmund auch gesprochen werden, ganz sicher. Ohne Prophet zu sein, darf ich außerdem behaupten: Kein einziger Teilnehmer des Kirchentages macht sich Illusionen

- das ist ja anscheinend Ihr Lieblingswort - darüber, daß die Evangelische Kirche heute nur von einer Minderheit ihrer Glieder ernst genommen wird.

SPIEGEL: Dann ist man sich auch darüber einig, daß auf dem Kirchentag die Frommen unter sich bleiben, daß also die Versammlung der 500 000 auf der Pferderennbahn in Dortmund-Wambel nicht repräsentativ ist für die Kirche, sondern nur für die Minderheit der aktiven Christen in der Kirche?

WILM: Ja, wenn Sie nur von den Teilnehmern ausgehen. Aber immerhin werden doch etwa zehn bis zwanzig Prozent, so würde ich schätzen, darunter sein, die nicht zu den allsonntäglichen Kirchgängern gehören.

SPIEGEL: Selbst wenn es so viele wären, müßte man diejenigen abrechnen, die nicht der Kirche zuliebe nach Dortmund fahren, sondern auf die 33 bis 53prozentige Fahrpreisermäßigung der Bundesbahn spekulieren. So billig wie zum Kirchentag kommt man sonst kaum ins Ruhrgebiet.

WILM: Mag sein, daß manchen die Fahrpreisermäßigung lockt. Aber weitaus die meisten kommen, um an dem wirklichen Geschehen des Kirchentags teilzunehmen, und das heißt, um zu beten und zu singen, um die Vorträge und Predigten zu hören, um an den Aussprachen teilzunehmen.

SPIEGEL: Also ist der Kirchentag doch nur ein internes Erbauungsfest?

WILM: Selbst wenn er »nur« das wäre, dann wäre es schon sehr viel. Vor allem für die vielen, die draußen in den Gemeinden einsam mit ihrem Glauben leben, ist er eine große Stärkung. Für den evangelischen Christen überhaupt ist das Erlebnis der Gemeinschaft ein Stück seines Christseins. Aber der Kirchentag will auch, das gebe ich zu, ausstrahlen. Er steht ja an der Schnittlinie zwischen der Kirche und der Welt. Wer das nicht sieht, kann das Wesen des Kirchentags nicht begreifen. SPIEGEL: Was bedeutet das praktisch?

WILM: Kürzlich hat es mal jemand so formuliert: Der Kirchentag müsse sich einmal an jene wenden, die aus falsch verstandener Frömmigkeit die Welt nicht mehr ernst nehmen, und zum anderen an jene, die aus falsch verstandener Weltlichkeit Gott nicht mehr ernst nehmen. Das ist ein guter Satz.

SPIEGEL: Aber die zweite, die wesentlich größere Gruppe ist doch, wie wir eben festgestellt haben, auf dem Kirchentag gar nicht vertreten.

WILM: Sie dürfen ihn nicht völlig aus seiner Umgebung lösen. Es soll ein Alltags-Kirchentag werden mitten im Alltag der Welt.

SPIEGEL: »Alltags-Kirchentag« - mit 21 Sonderzügen, 5000 Posaunen, 600 Versammlungen, mit Kundgebungen und Aufmärschen?

WILM: Diese Zahlen besagen nichts. Es ist sozusagen der multiplizierte Alltag der evangelischen Christen. Wir tun ja in Dortmund das, was wir sonst zu Hause auch tun: Wir beten, singen, sprechen miteinander.

SPIEGEL: Multipliziert sich auch die Wirkung? Ist die Predigt, die Sie am Schlußtag vor 500 000 halten, 2000mal mehr wert als eine Predigt in Bielefeld vor 250?

WILM: Natürlich nicht. Das Denken in Zahlen ist der Kirche fremd. Auch der Kirchentag ist für uns nicht ein Schwelgen in Superlativen, wie Sie es anscheinend vermuten. Gott handelt ja nicht durch lauter Einzelleitungen. Oft ist es auch wie ein großer Regen, der über das Land geht, und der einzelne ist dann eine Ackerkrume, die mit durchfeuchtet wird. Auch in einer großen Versammlung kann ein Wort gesagt werden, das einen Einzelmenschen in seiner Existenz trifft. Der Herr Christus hat ja schließlich auch vor Tausenden gepredigt. Vielleicht muß hier auch noch gesagt werden, daß die Sendungen über den Kirchentag und vom Kirchentag nachgewiesenermaßen von sehr vielen Rundfunkhörern und Fernsehzuschauern gehört und gesehen werden.

SPIEGEL: Herr Präses, was hat nun dieser »multiplizierte Alltag« der Kirche mit dem normalen Alltag der Welt in Dortmund zu tun?

WILM: Der Kirchentag stellt sich bewußt hinein in die Welt der Arbeit, in dieses Dortmund mit seinen Zechen und Gruben, Banken und Versicherungen.

SPIEGEL: Können Sie dieses Vorhaben an einem Beispiel verdeutlichen?

WILM: Zum Beispiel beginnen die großen Vorträge zu Themen, die jeden angehen, jeweils um 15 Uhr. Wir wollen den Werktätigen, die von der Frühschicht kommen, eine Gelegenheit bieten, hieran teilzunehmen. Das ist eine der Neuerungen.

SPIEGEL: Glauben Sie wirklich, daß aus den Zechen und Gruben viele kommen?

WILM: Vielleicht nicht gerade die, die unter Tage arbeiten. Aber aus den Büros, den Werkstätten, den metallverarbeitenden Fabriken, den Geschäften wohl doch.

SPIEGEL: Das sind die wenigen, die immer kommen, wenn die Kirche ruft.

WILM: Ich muß Ihnen nun aber einmal energisch widersprechen. Sie scheinen die evangelischen Christen, die sonntags nicht in die Kirche gehen, für eine homogene Gruppe zu halten, der das Geschehen in der Kirche absolut gleichgültig ist.

SPIEGEL: Ja. In der Hinsicht sind sie sich fast alle gleich.

WILM: Aus den Erfahrungen, die ich vor allem hier in meiner Landeskirche gesammelt habe, kann ich Ihnen sagen: Sie sehen das völlig falsch. Man muß unter diesen Abseits- oder Außenstehenden sehr sorgfältig differenzieren. Mindestens zwei Gruppen muß man unterscheiden: Zu der einen gehören die, die wirklich teilnahmslos »draußen vor der Tür« leben. Zu der anderen aber gehören die, die im Vorhof leben.

SPIEGEL: Im Vorhof?

WILM: Ja, so nenne ich es. Sie fühlen sich nicht ganz dazugehörig, aber sie stehen der Kirche auch nicht fern. Sie beobachten sie, sie hören auf sie. Diesen suchenden Menschen will der Evangelische Kirchentag helfen. Er kümmert sich um sie mit Methoden, die sonst in der Kirche nicht gebräuchlich sind.

SPIEGEL: Darum also Kabarett, Film, Theater, Dichterlesung, Bunter Abend - ein bißchen »kirchlicher Jahrmarkt«. Auch professionelle Spaßmacher fehlen ja nicht.

WILM: In der Form seiner Mittel ist der Kirchentag freier als die Kirche sonst in ihren Gottesdiensten. Warum soll man sich nicht weltlicher Gefäße des Wortes bedienen?

SPIEGEL: Ist Ihnen nicht ein bißchen unheimlich bei dem Gedanken zumute, daß sich Ihre Kirche der Medien Frankenfeld und Bendix bedienen muß, um sich attraktiv zu machen, um für die Frömmigkeit zu werben?

WILM: Wenn Sie mich so fragen, dann muß ich antworten: Mit einer gewissen Zurückhaltung lasse ich die Dinge auf uns zukommen.

SPIEGEL: Sie denken da eher konservativ?

WILM: Auf diesem Gebiet, ja. Aber ich bin bereit, andere die neuen Wege gehen zu lassen, wenn sie es wollen. Ich

würde sie wahrscheinlich von mir aus nicht gehen. Aber warum soll nicht einmal dieser oder jener Versuch gemacht werden?

SPIEGEL: Sehr fromme Leute sagen, daß man sich an das Christuswort aus Matthäus 21,13 halten müsse: »Mein Haus soll ein Bethaus heißen, ihr aber habt eine Mördergrube daraus gemacht.« Jesus hat ja laut Matthäus alle, die nicht beteten, aus dem Tempel gejagt.

WILM: Das Wort wurde gelegentlich auf den Kirchentag gemünzt, aber es paßt nicht. Erstens ist er nicht Kirche, und zweitens geschieht in Dortmund nichts, aber auch wirklich nichts, was nicht irgendwie zum Wort Gottes hinführt.

SPIEGEL: Von den Späßchen Frankenfelds bis zur Bibel ist ein weiter Weg; da bleibt mancher unterwegs auf der Strecke. Aber Kirchentag mit oder ohne Frankenfeld und Bendix - die Frommen bleiben doch unter sich. Warum die krampfhaften Versuche, den Kirchentag attraktiv zu machen? Es kommen ja doch kaum Außenstehende; da werden doch Zeit und Geld verschwendet.

WILM: Es geht ja gar nicht so sehr um die »Werbung«, wie Sie es vermuten. Der Nerv sitzt ganz woanders.

SPIEGEL: Wo, bitte?

WILM: Es geht darum, das Auseinanderklaffen zwischen unserem »weltlichen« und unserem »christlichen« Leben zu verhindern oder aufzuheben.

SPIEGEL: Dazu brauchen Sie weltliche Spaßmacher?

WILM: Es ist doch so, daß der Christ sonntags in den Gottesdienst geht und montags auf dem Bildschirm den Frankenfeld sieht.

SPIEGEL: Und nun soll er, um in Ihrem Bilde zu bleiben, ihn auch noch sonntags sehen? Das ist nicht gerade eine kulturelle Großtat.

WILM: Mancher Christ denkt vielleicht immer noch, er müßte ein schlechtes Gewissen haben, wenn er sich am Montag den Bunten Abend anschaut oder ...

SPIEGEL: Vielleicht wäre das schlechte Gewissen manchmal angebracht.

WILM: ... oder wenn er sich eine Oper anschaut oder ein Musical. Er hält das für eine ganz andere Welt als die, die sich ihm sonntags in der Kirche erschließt - für eine irgendwie sündige Welt.

SPIEGEL: Wirklich? Gibt es das noch?

WILM: Ganz gewiß. Ich könnte Ihnen viele Beispiele aus meinem Bekanntenkreis erzählen. Und nun wollen wir ihm das schlechte Gewissen nehmen. Der Kirchentag soll zeigen, daß es nur eine komplexe menschliche Existenz gibt. Wir wollen dem Frommen zeigen, wie er in der Welt leben kann, und dem Unfrommen, daß er mit der Kirche leben muß.

SPIEGEL: Sie sind überzeugt, daß der Kirchentag dieser Aufgabe gerecht wird?

WILM: Ja.

SPIEGEL: Wenn der Kirchentag überhaupt auf Außenstehende wirkt, dann doch nur in der nächsten Umgebung, jetzt also in Dortmund, in Westfalen.

WILM: Hier wird man es am stärksten spüren.

SPIEGEL: Und wie? Wird sich die Zahl der Kirchgänger erhöhen?

WILM: Es ist in der Tat zu hoffen, daß mancher durch das Erlebnis des Kirchentages den Weg zur Kirche findet.

SPIEGEL. Es hat nun schon zehn Kirchentage gegeben. Es ist viel darüber geschrieben worden. Aber nirgends wurde vermerkt, daß der Kirchentag zu einem meß- und spürbaren Aufschwung des kirchlichen Lebens geführt hat.

WILM: Wie kann man das feststellen? Das geht ja gar nicht.

SPIEGEL: Liegt nicht die Vermutung nahe, daß sich die Kirche und die Welt durch die Kirchentage kaum verändert haben?

WILM: Ja nun, ist das nicht überhaupt immer die Situation der Kirche? Sie hat im Grunde genommen nur auszustreuen und auszusagen, wie es um das Evangelium steht. Sie muß immer versuchen, es so vielen zu sagen, wie es möglich ist. Was dann aus dieser Saat wird, das läßt sich erstens nicht feststellen und zweitens müssen wir es Gott überlassen.

Präses Wilm

Beim Bunten Abend ...

Präsident von Thadden-Trieglaff

... kein schlechtes Gewissen

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