POLIZEI Klacks im Schnee
Die Helden von Mogadischu robbten im Morgengrauen bei fünf Grad minus durch schmutzigen Schnee.
Zusammen mit Kollegen aus der Provinz, Spezial-Polizisten des Landes Rheinland-Pfalz, Mobilen Einsatzkommandos, lauerten die 80 Bundesgrenzschützer aus der GSG 9 in einem Waldstück bei Neuwied einem neuen Gegner auf: der fiktiven Terroristengruppe »Roter Morgen«. Die Bande hatte sieh im Prinzessinnenbau des abgebrannten Schlosses Monrepos mit einer Geisel verschanzt, dem Industriellen Karl Schneider.
Bei Büchsenlicht kamen die Kidnapper -- ihre Personenbeschreibungen paßten exakt auf die mutmaßlichen Schleyer-Entführer Christian Klar, Rolf Clemens Wagner und die untergetauchte Inge Viett -- mit dem Opfer heraus. Sie wollten einen 200 Meter entfernten Hubschrauber besteigen; in Frankfurt wartete bereits ein Jet vom
* im Hubschrauber: Terroristendarsteller.
Typ DC-8 mit »allen Kriegsgefangenen der RAF« (Drehbuch) und »fünf Millionen Mark Lösegeld« an Bord.
Doch ehe die Politgangster es sich versahen, fielen Schüsse, klickten Handschellen, floß etwas Ketchup statt Blut. Um 9.02 Uhr war der »Rote Morgen« erledigt.
Was sich wie lahmer Kintopp für Schmalfilmer ausnahm, war die Polizeiübung »Loreley«, Thema »Terroranschlag mit Entführung«. Und es hatte mit realistischen Fällen der jüngsten Vergangenheit -- etwa Lorenz, Palmers« Schleyer -- wenig zu tun: Man weiß nicht, was soll es bedeuten.
Denn so dämlich wie auf Monrepos mochte sich um 1800 vielleicht noch Johann Bückler, der Schinderhannes, mit seiner rheinischen Bande verhalten haben; eine Formation der »Roten Armee Fraktion« (RAF) aber würde wohl kaum so operieren, daß sie nach wenigen Stunden schon in einem leerstehenden Schloß umzingelt ist.
Wie schon der Mammut-Einsatz im Fall Schleyer, bei dem entscheidende Tips aus der Bevölkerung im Kompetenz-Wirrwarr der Fahnder untergegangen waren, offenbarte vorletzte Woche auch »Loreley« das Unvermögen der Kriminalbeamten, selbst »Großlagen« weit unter RAF-Niveau zu bewältigen.
»Loreley« war die erste Großübung der Polizei seit zehn Jahren. Sie sollte jene organisatorischen Maßnahmen auf ihre Tauglichkeit hin erproben, die die Konferenz der Länder-Innenminister und des Bundes-Innenministers (Polizei-Kürzel: Klimbim) nach dem sogenannten Höcherl-Bericht vom Juni 1978 beschlossen hatte. Ein Hickhack um Ermittlungskompetenzen zwischen Bundeskriminalamt (BKA) und Länderpolizeien, ein Gezerre um Asservate vom Tatort, die Blockade von Meldewegen und heiße Tips auf kalten Listen sollte es nach der Schleyer-Panne nicht mehr geben.
Allheilmittel, so jedenfalls wollte es das Drehbuch von »Loreley« vermitteln, sei die totale Leitung des Falls durch den Kripochef im Polizeipräsidium der nächstgrößten Stadt (im Übungsfall: Koblenz). Und so saß denn Kriminaloberrat Franz Barth, unterstützt von einem Expertenstab und gleichwohl total überfordert, am Drücker: Kanzleramt, Innenministerium, BKA, alle Landeskriminalämter, Bundesgrenzschutz, Bahn- und Wasserschutzpolizei, Sonderkommandos, Mobile Einsatzkommandos und Verfassungsschützer hatten allein Barths taktischen Weisungen zu folgen, nachdem vom Generalbundesanwalt der Fall trotz länderübergreifender und internationaler Zusammenhänge nicht dem BKA zugewiesen, sondern die »Selbstvornahme durch Rheinland-Pfalz« angeordnet worden war.
Schon die Geheimhaltung der Großübung, die vielleicht im späteren Verlauf ein wenig Realität hätte vermitteln können, war eine Farce. In Koblenz und beim BKA in Wiesbaden erschienen Kriminaler vorsorglich in Gummistiefeln und »mit doppelter Unterhose« (ein Übungsteilnehmer) zum Bürodienst.
Ob vorgewarnt oder nicht -- als wenig später, um 8.10 Uhr, in der Koblenzer Bahnhofstraße »bei einem bewaffneten Überfall mehrere Personen niedergeschossen« worden waren und die Täter »in einem bereitstehenden Pkw Mercedes ... vermutlich ... eine Person entführt« hatten (erster Notruf laut Drehbuch), juxten BKA-Männer beim Morgenkaffee und Uhrenvergleich: »Nun sagt denen doch mal, daß die eine WE-Meldung machen müssen.« Erst 70 Minuten später, um 9.20 Uhr, ging die Koblenzer WE-Botschaft ("Wichtiges Ereignis") über die Ticker, als Blitz-Fernschreiben.
Spitzenleistung der Kommunikations-Spezialisten: Die Übermittlung eines Blitz-Telex nach Stuttgart -- wo, wie auch in Hessen und Nordrhein-Westfalen, angenommene Parallel-Attentate auf Gefängnisse zu bearbeiten waren -- dauerte von 11 bis 15 Uhr.
Zu lange Telex-Texte, in denen Leerformeln Maschinenkapazität wie Manpower unnütz banden, führten rasch zum Zusammenbruch des Fernschreibnetzes. An die Möglichkeit, sofort nach dem ersten Alarm beim BKA Funk-Telex-Stränge und weitere Kommunikationswege wie Fernkopierer anzufordern (Aufbauzeit: eine Stunde), hatten Barth und sein Stab nicht gedacht. Spurensicherer des BKA brauchten nur 17 Minuten für den Hubschrauber-Flug nach Koblenz; dort dauerte es dann aber eine Stunde, bis sie zum Tatort gelangten -- ein Bus stand am Landeplatz nicht bereit.
Der Oberkommandierende Barth vergaß die Auslösung einer »Interpol«-Fahndung trotz der Koblenzer Grenznähe. Er verhielt sich taktisch aber richtig, als er die umstrittene Polizeiwaffe »Totalstopp -- alle Ampeln auf Rot« verwarf: Gefahndet wird konspirativ in Zivil -- und mit Lokalkenntnis
Hauptmanko aber: Wie schon im Schleyer-Fall kriegt die Polizei die Hinweis-Fluten nicht in den Griff. »Zwanzig unserer besten Kriminalbeamten« (Barth), später 38 Mann, suchten nach den fiktiven Rundfunkdurchsagen den »Tip von Tante Emmi, die was vom Hellseher geträumt hat«, von den halbwegs realen Hinweisen zu trennen. Gearbeitet wurde an der Telephonleiste mit neuen Formblättern, die in sechsfacher Kopie an EDV-Abfrager, Auswerter, Dokumentaristen und Außendienstler gehen.
Doch schon bei 312 eingespielten Hinweisen (ein BKA-Mann: »Das ist doch ein Klacks, bei Schleyer hatten wir insgesamt 30 000") reichten die vier Koblenzer Terminals mit ihren Verbindungen zum BKA-Computer-System »Pios« nicht aus. Vorrangige Überprüfungen wirklich heißer Spuren wurden nicht geübt. Daß ein paar Tips auf das »heiße Objekt« Schloß Monrepos sich binnen Stunden als richtig erwiesen, galt denn wohl auch nur als Gag der Regie.
Mit »Loreley«, so gab ein Übungsbeobachter den rheinland-pfälzischen Auswertern noch im Morgengrauen zu verstehen, sei »einmal bloßgelegt worden, wie man's nicht machen kann«.