MEXIKO Klar im Aufwind
Es war ein Tag wie aus dem Edel-Western »Rio Bravo«. Schläfrig lag die Stadt Culiacan in der Hitze des frühen Nachmittags, als Mexikos meistgesuchter Drogenhändler einzog. Miguel Angel Felix Gallardo wollte an einer Familienfeier für eine 15jährige Debütantin teilnehmen, und er war standesgemäß erschienen.
In Rio-Bravo-Manier patrouillierte ein Dutzend grüner Kleinlaster durch die Stadt, jeweils bemannt mit sechs schwerbewaffneten Leibwächtern. Sie waren entschlossen, jeden Versuch der Polizeibehörden, den Drogenboß womöglich festzusetzen, im Ansatz abzublocken.
Derlei Szenen gehören in der 600000 Einwohner-Stadt Culiacan, Zentrum des mexikanischen Rauschgifthandels, zum Alltag. Und derlei Zustände hatten amerikanische Beamte und Regierungsmitglieder im Sinn, als sie vorigen Monat die Lage im südlichen Nachbarstaat öffentlich geißelten.
»Die Drogensituation« in Mexiko gleiche »einer einzigen Horrorstory«, erklärte William von Raab, Chef der US-Zollbehörde, vor einem Senatsunterausschuß, der unter Leitung des erzkonservativen Senators Jesse Helms die prekäre Situation in Mexiko und die US-Politik gegenüber dem Nachbarstaat zu klären suchte.
Der mexikanischen Regierung unter dem Präsidenten Miguel de la Madrid Hurtado warf von Raab »Unfähigkeit« und »Untätigkeit« im Kampf gegen den Handel mit Rauschgift vor.
Auch die vermeintliche Ursache prangerte der US-Zollchef an: »Massive Korruption« auf sämtlichen Ebenen der mexikanischen Gesellschaft kurble den Drogenhandel an. Langfristige Erfolge gegen die Hersteller und Händler von Marihuana, Heroin und Kokain könnten mithin nicht erzielt werden.
Die Attacke des Zollchefs war so recht nach dem Geschmack von Senator Helms. Nach seiner Meinung ist die Politik der Regierung Reagan gegenüber Mexiko, das den US-Staatsfeind Nicaragua recht nachsichtig behandelt, zu lasch. Doch daß Raab mutmaßlich Beteiligte, unter ihnen ein Mitglied der Familie des mexikanischen Präsidenten, namentlich nannte, führte zum Eklat.
Die mexikanische Regierung traf sich unverzüglich zu einer Krisensitzung, auf der sie »gegen die verleumderischen Vorwürfe« eines »rangniedrigen Beamten« protestierte. Dies sei eine »klare und unannehmbare Verletzung der mexikanischen Souveränität«.
»Niemals, unter keinen Umständen, greift man die Familie eines ausländischen Staatsoberhauptes an, es sei denn, man will ihn loswerden«, erklärte ein Mitarbeiter des State Department. Das Außenamt formulierte eilends eine versöhnliche Note, worin es »Präsident de la Madrid und seinem Kabinett Ehrlichkeit und Redlichkeit« bescheinigte.
Helms aber, den eine mexikanische Zeitung als Pot-rauchenden Gringo karikierte, war ungerührt. Er ging ins Weiße Haus und erläuterte dort die Anschuldigungen. Im Glauben, seinen Präsidenten hinter sich zu haben, verschärfte Helms die Verstimmung. Unter Berufung und auf Geheimdienstberichte verkündete er, Mexikos amtierender Präsident sei durch Wahlbetrug ins Amt gelangt.
Den Vorwurf von Wahlmanipulation griff auch die mexikanische Oppositionspartei Pan vorletzte Woche auf, nachdem sie bei den Gouverneurswahlen im Bundesstaat Chihuahua gegen die seit 57 Jahren herrschende Präsidentenpartei unterlegen war.
Staatschef de la Madrid wehrte sich in einem TV-Interview mit einer US-Station gegen die »Verleumdungen« sowie »rücksichtslose leichtfertige Anschuldigungen« und verlangte Beweise für die US-Vorwürfe; Helms zog sich auf seine »geheimen Quellen« zurück.
Mexikos Empörung und Washingtons halbherzige Befriedungsversuche zeigten beispielhaft, wie gespannt das Verhältnis zwischen den beiden Ländern ist. Seit Jahrzehnten hängt der mexikanische Staat vom Wohlwollen der Wirtschaftsmacht im Norden ab. Amerikas Banken sind Mexikos größte Gläubiger, sie halten den Staat finanziell über Wasser. Zu Hunderttausenden strömen alljährlich Mexikaner illegal in die USA.
Die Amerikaner andererseits nutzen ihre Vormacht, um - mal mehr, mal weniger geschickt, doch meist in Verkennung mexikanischen Nationalstolzes - ihren Nachbarn zu schulmeistern.
Jüngste Gelegenheit: Mit über 98 Milliarden Dollar steht der lateinamerikanische Staat derzeit bei ausländischen Banken im Soll. Zwar hat Mexiko termingerecht vorigen Monat 600 Millionen Dollar Zinsen überwiesen. Doch daß die Regierung die weiteren rund 14 Milliarden wird zahlen können, die in diesem Jahr für Tilgung und Zinsen fällig werden, ist zumindest unwahrscheinlich. Das Darlehen in Höhe von sechs Milliarden Dollar das die USA, die Weltbank und der internationale Währungsfonds vergangene Woche Mexiko in Aussicht stellten, dürfte kaum mehr als eine Atempause bringen. Mexikos Öleinnahmen etwa, immerhin 70 Prozent seiner Exporterlöse, werden beim abgesackten Ölpreis nicht einmal die diesjährigen Schuldzinsen in Höhe von zehn Milliarden decken.
Die finanzielle Situation verschärft sich nahezu täglich, seit der Peso in den Sturzflug gegangen ist. Mußte der Mexikaner 1982 nur 22 Pesos für einen Dollar ausgeben, lag der Wechselkurs letzte Woche bei 634 Pesos pro US-Dollar.
Die Inflationsrate liegt bei 80 Prozent, während das Bruttosozialprodukt in diesem Jahr um drei bis fünf Prozent schrumpfen dürfte. Seit 1983 sind die Reallöhne um die Hälfte gesunken, die Mexikaner leben auf einem Standard wie vor 25 Jahren.
Freilich nicht alle. Die Super- und vor allem die Neureichen machen klotzige
Gewinne, die sie eiligst in Dollar tauchen und ins Ausland transferieren. Die Gesamtsumme erreicht mit 90,3 Milliarden Dollar nahezu die Höhe der Auslandsverschuldung.
Einen wachsenden Anteil an diesen Transfersummen bilden Einkünfte aus dem Drogenhandel, der als einziger Sektor der mexikanischen Volkswirtschaft klar im Aufwind liegt.
Hatte Mexiko Anfang der 80er Jahre noch als musterhaft in der weltweiten Bekämpfung des Rauschgifthandels gegolten, ist es mittlerweile zum Hauptlieferanten und größten Umschlagplatz für den US-Drogenmarkt geworden.
Über drei Millionen Kilogramm Marihuana, die im vergangenen Jahr in die USA gelangten, stammten von mexikanischen Pflanzern. Auch im Heroinnachschub für die US-Szene rückte Mexiko an die Spitze.
Zwar ist Kolumbien noch immer der Welt größter Kokainproduzent. Doch die südamerikanischen Exporteure nutzen die »total aus der Kontrolle geratene Drogensituation« (so ein Report des US-Kongresses), um in Mexiko kolumbianisches Kokain zwischenzulagern.
Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres stellten etwa die kalifornischen Behörden drei Tonnen Kokain aus Mexiko sicher, mehr als in den vorhergehenden sechs Jahren zusammen.
Im unterbezahlten und unterbeschäftigten Mexiko verschafft der Drogenmarkt samt seiner Bekämpfung vielen Mexikanern einträgliche Jobs. Die Piloten der Sprüh-Hubschrauberflotte etwa, die Marihuana- und Mohnfelder mit Pflanzengift einnebeln, erhalten das für mexikanische Verhältnisse enorme Gehalt von 400 Dollar pro Monat.
Dennoch: »Ein Briefumschlag mit mehr als einem Jahresgehalt«, so ein US-Beobachter, »verleitet einen Piloten leicht - und kaum überraschend - dazu ein bestimmtes Feld auszulassen. Ähnlich und für weniger Geld ließen sich die Leute am Boden dazu bringen, beim Giftanmischen einfach mehr Wasser in die Tanks zu füllen und damit die Sprühaktion unwirksam zu machen.
Die Belieferung des weltgrößten Drogenmarktes (US-Gesamtvolumen 100 Milliarden Dollar pro Jahr) stellt die mexikanischen Händler vor keine großen Probleme. Der Grenzfluß Rio Grande ist vielerorts so seicht, daß er mit vierradgetriebenen Lieferwagen durchquert werden kann. Grenznahe Radaranlagen sind auf die Flughöhen einfliegender Sowjet-Raketen eingestellt, tieffliegende Sportmaschinen werden nicht erfaßt. Und unter den Grenzbewohnern gibt es genug, die sich für ein paar Dollar Handgeld Marihuana auf den Leib binden und durch den Rio Grande in die USA waten.
Die Drogenzufuhr aus dem Süden will Washington nun erstmals frontal angehen. Laut Vizepräsident George Bush hat Ronald Reagan in einer »top secret directive« den Drogenhandel zu »einer Bedrohung der nationalen Sicherheit« erklärt.
Mit seiner Enthüllung wollte Bush »jedem Amerikaner die sehr reale Verbindung von Drogen und Terrorismus einsichtig« machen. Eigentlicher Sinn von Reagans Order: Künftig können auch die Streitkräfte massiv zur Abwehr des Rauschgifthandels, in den nach Ansicht der Regierung vor allem Nicaragua und Kuba verwickelt sein sollen, eingesetzt werden.
Um die Drogenhändler nicht vorzuwarnen, schwieg sich Bush über geplante Einzelmaßnahmen vorerst aus. Dahin steht freilich, wie und ob es Soldaten gelingen kann, was Amerikas Politiker und Grenzschützer seit Jahrzehnten vergeblich in den Griff zu bekommen versuchten: die 3110 Kilometer lange grüne Grenze zu Mexiko abzuschotten. _(In Ciudad Juarez verbrennt ein ) _(mexikanischer Wahlhelfer eine Wahlurne ) _(mit falschen Stimmzet teln für die ) _(Gouverneurswahl. )
In Ciudad Juarez verbrennt ein mexikanischer Wahlhelfer eineWahlurne mit falschen Stimmzet teln für die Gouverneurswahl.