GEWERKSCHAFTEN / DDR Klar Schiff
Obermeister Werner Bänsch durchforstete die Schubladen des Volkseigenen Betriebes (VEB) Chemische Werke Buna in Schkopau und fand, was er suchte: 700 Verbesserungsvorschläge der Werktätigen ruhten unerledigt in Aktenheftern.
Bänsch hatte im Auftrag des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) bei den Buna-Werken, dem größten Karbid-Hersteller der Welt, überprüfen sollen, woran es lag, daß in Schkopau (Bezirk Halle) das Plan-Soll 1968 nicht erfüllt worden war. Bei einer »plötzlichen Kontrolle« kam der »Skandal« (SED-Organ »Neues Deutschland") ans Tageslicht. Die Werksleitung hatte Millionen vergeudet, weil sie Vorschläge der Belegschaft nicht realisiert hatte.
Jung-Ingenieur Peter Trabitsch beispielsweise legte Ende 1967 einen Plan zur »Beseitigung der Reduzierung der Rauchgas-Zwischenüberhitzer« vor, dessen Realisierung dem Werk einen Nutzen von 316 000 Mark gebracht hätte. Mit dem Vermerk des Betriebsleiters: »Wenn dem Einreicher der Nachweis des Nutzens gelingt, wird der Vorschlag eingeführt«, ging das Schriftstück in die Ablage.
Buna-Meister Hans Leistner empfahl eine Verbesserung des Pumpensystems in der PVC-Produktion. Der Vorschlag wurde mit Dank akzeptiert, aber nicht verwirklicht, da angeblich das neue Gerät hätte importiert werden müssen. Leistner wühlte im Kombinats-Schrott, fand eine ungenutzte Pumpe und baute sie ein. Seit einem halben Jahr läuft sie einwandfrei und mit dem gewünschten Effekt.
Mit solchen Entdeckungen löste Bänsch in der gesamten DDR eine große Fahndungsaktion aus. Fortan forschten von Gewerkschaft und Partei beauftragte Funktionäre nach Betrieben, deren Verantwortliche die Rationalisierungsvorschläge von Werktätigen nicht energisch genug bearbeitet hatten. Die Hauspostille des FDGB »Tribüne« donnerte gegen »Mittelmäßigkeit, Überheblichkeit, Schönfärberei, Selbstzufriedenheit und Verantwortungslosigkeit« von Werkleitern sowie Verbandsfunktionären. »Neues Deutschland« wetterte über die »Mißachtung der Arbeiterklasse« durch etablierte VEB-Manager und fragte böse: »Was gilt bei uns der Vorschlag eines Arbeiters?«
Freudig griff das Fußvolk des Sozialismus zur Feder und spießte die negativen Helden der Arbeit beim FDGB-Bundesvorstand auf. So murrte die Brigade »Friedensfahrt 1960« vom Traktorenwerk Schönebeck (Bezirk Magdeburg) über fehlende Kotflügel, Seiten- und Fußbleche bei der Montage des Traktors GT 124. Verbesserungsvorschläge waren vom staatlichen Leiter nicht bearbeitet worden. Brigadier Zöge zog daraus den Schluß: »Kein Wunder, wenn manche Kollegen wenig Interesse für das gewerkschaftliche Leben zeigen.«
Kollegin Mechthild Nagel vom VEB Kraftwerke »Völkerfreundschaft« in Hagenwerder (Bezirk Dresden) »platzte der Kragen«. Vorschläge, wie an zwei Kesseln 500 Arbeitsstunden jährlich eingespart werden könnten, hatte Bereichsleiter Mauermann übergangen.
Überdies fühlen sich viele Belegschaftsmitglieder ausgebeutet, weil sie für wertvolle Vorschläge zuwenig Prämie erhalten. In der Gonschiar KG in Görlitz hatte beispielsweise Karl Achtzehn eine Säge zur Herstellung von Federballschlägern derart verbessert, daß er rund 64 000 Schläger ohne Beanstandung ausschneiden konnte. Die Werkleitung hielt eine Prämie von zehn Mark für angemessen.
Derartige Pannen sind den Politökonomen nicht allein wegen der ungenutzten Rationalisierungschancen peinlich. Anders als in kapitalistischen Ländern hat das innerbetriebliche Vorschlagswesen in der DDR eine wichtige gesellschaftspolitische Funktion. Es soll »Ausdruck der wachsenden Klassenverantwortung der Arbeiter für ihren sozialistischen Staat« sein (FDGB-Sekretär Kurt Hoppe).
Als Indiz für gefährdete Betriebsmoral der Arbeitnehmer sieht der FDGB die Tatsache an, daß zwar der wirtschaftliche Nutzen der Vorschläge in den letzten Jahren erheblich gewachsen Ist, die Beteiligung der Werktätigen an der sogenannten Neuererbewegung aber kaum zunahm. Obwohl Partei und Gewerkschaft in ihrer agitatorischen Arbeit in den Betrieben das Hauptgewicht auf das Vorschlagswesen richteten, sank der Anteil derjenigen, die sich am Neuerer-Wesen beteiligten, in verschiedenen Industriezweigen unter 15 Prozent.
Um die Werktätigen und die Betriebsleiter an ihre »Klassenpflicht« ("Tribüne") zu gemahnen, löste der FDGB unter der Losung »Klar Schiff« seine Spüraktion aus. Bis zum 7. Oktober, dem 20. Jahrestag der DDR, dürfen die Kolleginnen und Kollegen saumselige Werksleiter und Gewerkschaftsfunktionäre aufs Korn nehmen. Drohend verkündete das Sekretariat des Bundesvorstandes des FDGB: »Wer Arbeitervorschläge mißachtet, Empfehlungen negiert, wo Selbstzufriedenheit und Überheblichkeit festgestellt wird, sind die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.«