Man hätte es sich ausrechnen können, und das war wohl immer selbstverständlich, daß ein neu zusammengefügtes Restdeutschland in der Mitte Europas neue Prioritäten setzen würde. Nur hatte niemand damit gerechnet, daß es zu unseren Leb- oder Amtszeiten noch dazu kommen würde.
So ist selbstverständlich, daß ein ziemliches Kuddelmuddel herrscht, wenn es um die künftige außenpolitische und militärische Position dieser neuen und größten Wirtschaftsmacht Europas geht. Mal will man zuviel von uns, mal hat man Angst vor uns.
In Demokratien wie auch in anderen Regierungsformen ist selbstverständlich, daß die Außenpolitik im Inneren gegen den politischen Gegner eingesetzt wird. Nun könnte der SPD passieren, daß sie trotz günstiger anderweitiger Faktoren die strategische Mehrheit verfehlt, weil sie sich über ein zum Wahlkampf geeignetes Thema nicht einigen kann, sei es nun wieder aus Prinzipientreue oder aus Opportunismus.
Sollten die führenden SPD-Leute weiter so hin- und herwackeln, wie sie derzeit tun, rückt die »strategische Mehrheit« in weite Ferne, jenes Wahlergebnis also 1994, wo in Bonn ohne und gegen die SPD nichts läuft. Jetzt muß sie sich zu einer haltbaren Position durchringen.
Das Ziel sollte nicht sein, um jeden Preis ständiges Mitglied des Weltsicherheitsrates zu werden. Es wäre sogar eine Diskriminierung, wenn man Deutschland das Veto-Recht der fünf ständigen Mitglieder verweigerte. Damit soll sich auch die Regierung herumschlagen.
Wohl aber muß die SPD darauf beharren, daß ohne qualifizierte Mehrheit des Bundestages keinerlei militärischer Einsatz außerhalb des Nato-Bündnisses möglich ist. Der Spielraum wird hier eng. Er reicht von einer Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder des Bundestages bis zu einer absoluten Mehrheit seiner Mitglieder. Dies könnte die jetzige Koalition nicht mitmachen, aber es würde die Haltung der SPD bei Wahlen verdeutlichen.
Militärisch haben die jeweils führenden Kreise in Deutschland während des bisherigen Jahrhunderts, manchmal sogar unter dem Einfluß der SPD, zu viel Schaden angerichtet, als daß die Partei hier nachgeben könnte. Sie muß auch nicht nachgeben, weil die ihr potentiell offene Wählermehrheit diesen Standpunkt verstehen würde.
Man weiß doch mittlerweile, wie sehr in kriegerischen Situationen gelogen und betrogen wird. Man weiß, daß astreines Völkerrecht nicht möglich ist und daß es, wo denn möglich, voller Absicht mißachtet wird.
Hier hat die Partei Pfähle einzuschlagen. Hier darf sie, nach zu langen Beratungen einmal geeinigt, nicht länger zurückweichen. Wähler zu verlieren, läuft sie hier am wenigsten Gefahr.
Andererseits kann sich Deutschland als Ganzes hinter einer ungeregelten Verfassungslage nicht auf Dauer verschanzen. Wo bewaffnetes Eingreifen im Rahmen geregelter Institutionen nicht eine Frage des deutschen und speziell des SPD-Inferioritätskomplexes, sondern objektiv geboten scheint, hat auch die SPD aktiv mitzuwirken. Sie kann das um so eher vor ihren Wählern vertreten, wenn sie jetzt eindeutig und klar die Positionen absteckt. Eine Kabinettspolitik alten Stils wird es nur dann nicht mehr geben, wenn die SPD jetzt nicht herumlaviert.
Stets wird Deutschland sich bemüht zeigen, nicht auf Prestige hin zu wirtschaften (im Fall Sloweniens und Kroatiens hat Bonn das getan). Ob allerdings die uns jeweils als dringlich vor Augen gestellten Probleme (es gibt manchmal dringlichere) ohne Abschaffung der Wehrpflicht, besser also mit einer Berufsarmee zu bewältigen wären, müßte wohl doch gründlich untersucht werden.
Auch hier können frühere Konzepte nicht tabu sein. Das Entscheidende ist, daß die SPD sich nicht wieder in die Ecke der verantwortungslosen, und sei es auf Wählergunst bedachten, Gesellen drängen läßt. Sie muß die Vorstellungen im eigenen Haufen klären und durchsetzen. Sie würde es bitter bezahlen, wenn sie weiterhin unklares Hin- und Hergenuschel für werbewirksam hielte.
Wehe denen, die besiegt werden wollen!